Alter-Spezial

Einführung

2014:Dez // Andreas Koch

Startseite > 12-2014 > Alter-Spezial

12-2014

Kürzlich vor dem Späti in der Choriner Straße: zwei Frauen um die 20, maximal 25 und ein Typ unterhielten sich über eine abwesende Gleichaltrige, die ginge doch immer in die King Size Bar. Der Typ: „King Size Bar? Kenne ich nicht.“ Daraufhin eine der Frauen: „Da gehen auch nur alte Männer hin, aber Sandy steht drauf, echt krass.“
Tja, liebe Altersgenossen, liebe in den sechziger und siebziger Jahren Geborene, die wir anfingen, um die Jahrtausendwende den Kunstbetrieb zu rocken, oder zumindest uns das vorstellten, als wir aus Deutschlands Akademien nach Berlin strömten oder schon hier waren, jung in eine gleichjunge Kunstszene hineinkamen, ja, liebe Mitstreiter, Konkurrenten, Freunde, Feinde und Bekannte, wir sind alte Männer und alte Frauen, und das ist krass!
Der Künstler ist eine seltenere Spezies und ihm eigen ist, dass er sich meist länger jung fühlt, als er es in Wirklichkeit ist und länger als dies andere Menschen tun, die das natürlich auch meist fühlen, sich jünger, aber der Künstler ist der Unangepasste, der Nonkonforme, der Andere, und in seinen Pressemitteilungen steht bis in die vierziger Jahre hinein: „Der junge Künstler, die junge Künstlerin…“ Die wenig älteren Galeristen glauben, so verkaufen sich die Arbeiten besser und sie haben recht. Die Arbeiten der jüngeren Künstler verkaufen sich oft erst mal besser. Da steckt Fantasie drin, wie der Börsenspekulant sagen würde, was wenn ich jetzt den nächsten jungen Reyle, oder Rauch, oder Richter gekauft habe, wow, und ich war als einer der ersten dabei. Aber einem Vierzigjährigen das Label „jung“ anzuhängen, funktioniert leider nicht, die Sammler sind ja nicht blöd und können rechnen, dieses Jahr feiert der Jahrgang 74 den runden Geburtstag, z.B. Jeppe Hein, Björn Dahlem oder Anca Munteanu Rimnic, die kürzlich das monopol-Spezialheft zur Berlin Art Week zierte, allerdings als Bär verkleidet, eher alt und mit leerem Glas in der Hand, resigniert vor einem Scherbenhaufen.
Mid-Career-Crisis, diesen Begriff hörte ich auch 2014 das erste Mal, vielleicht in einem Interview mit Brunnet und Hackert, ebenfalls in einer monopol. Ja, auch sie hätten Künstler, die in der Mid-Career-Crises wären, der Markt wäre ja sowas von abgefuckt. Ich dachte, ich les nicht richtig, unser Flagshipstore jammert. Aber dann fielen mir all die Geschichten ein, die kursieren, der Reyle hätte sein Atelier zugemacht, verkaufe nichts mehr, macht ein Sabbatical, der Meese sei raus bei CFA, verkaufe auch nichts mehr, ein anderer, der noch bei fünf Galerien vertreten war, lebe seit zwei Jahren von Hartz IV.
Unsere Generation bricht gerade ein. All die, die eine klassische Kunstmarktkarriere hinlegten, nach der Akademie von Galeristen gefördert wurden, langsam aufgebaut wurden, von ihrer Kunst leben konnten, und das zehn bis fünfzehn Jahre relativ stabil, all die zwei bis fünf Prozent, zu denen die anderen immer aufgeschaut haben, fangen an zu zittern, schauen, dass sie sich noch eine Professur schnappen und ihr Geld in Immobilien anlegen, sofern noch was übrig ist. Denn jetzt kommt die nächste Hürde, bei der von den eh schon Wenigen, die man als erfolgreich bezeichnete, noch mal der größte Teil hängenbleibt.
Wieviele landen denn im Alter im sogenannten Kanon? Da fallen einem auf Anhieb in Deutschland vielleicht 20, 30 Namen ein – 60-, 70-, 80-jährige Künstler, die sich soweit institutionalisiert haben, dass sie auch posthum noch gehandelt werden, also das Baselitz-Plateau (ist der nicht auch bei CFA?) erreicht haben.
Das bedeutet, dass von den ungefähr 300, 400 Künstlern, die in Berlin vom Kunstmarkt leben können, noch mal 90, 95 Prozent wegfallen und das passiert in relativ kurzer Zeit. So wie sich viele Menschen in der Dekade zwischen 40 und 50 vom noch jungen Menschen in atemberaubendem Tempo in einen Alten verwandeln und dabei das mittlere Stadium weitestgehend überspringen, so werden diese Künstler plötzlich als unattraktiv, ausgereizt, langweilig, als Kassengift aussortiert. Man hat sich satt gesehen, der Sprung war nicht der erhoffte, die Arbeiten zu Hause kann man auch nicht mehr zur Auktion geben, sieht aber immer noch schön aus, der Platz über dem Sofa wird dennoch geräumt, da kommt jetzt der neue Alex Israel hin. Der Abstieg ist härter als der Aufstieg, das weiß jeder Bergsteiger.
Auch trifft die Mid-Career-Crisis ganze Galerien. Joanna Kamm verpasste es, ihr Programm schnell genug mit deutlich jüngeren Positionen zu unterfüttern. Wenn sich ihre Topseller dann plötzlich nicht mehr so gut verkaufen, kann sie ihre Erstliga-Ambitionen nicht mehr halten, Messen sind dort zu teuer, eine Art-Basel-Miami-Beach setzt man bei ihrer Größe nur ein Mal in den Sand. Also absteigen, zumachen, aufhören, was anderes machen?
Die anderen nicht so Erfolgreichen haben sich mittlerweile im Tal eingerichtet, sich Alternativen gesucht, unterrichten eh schon lange, bauen Rahmen, verleihen Beamer, gestalten Kataloge, jobben beim Ausstellungsbau, sie kommen zurecht. Wenn die Bergsteiger dann erschöpft unten ankommen, ist es erst mal sehr schwer für sie. Sie können ja nichts anderes und sie können sich vermutlich auch nichts anderes vorstellen. Das ist ein Hauptalterssymptom, das Sich-nichts-anderes-vorstellen-Können.
An diesem depressiven Punkt der Analyse ist jetzt vielleicht ein Cut von Nöten, das Szenario ist ja recht klar geworden. Vielleicht hilft ein Blick aufs Alter im Allgemeinen, vielleicht finden wir dabei Trost, dass es ja allen ähnlich geht. Den Ingenieuren, Krankenpflegern, Anwälten, Prostituierten, Kritikern und IT-Beratern.
Alter ist eine Massenvernichtungswaffe, die wirksamste die es überhaupt gibt. In 80 Jahren wird kaum einer der Menschen, die heute diesen Planet bevölkern, noch hier sein, ein paar Jetztkinder vielleicht. In 100 Jahren dann keiner mehr, alle weg. So wie alle Menschen nicht mehr existieren, die wir auf den ersten Farbfotografien (ohne den historisierenden Schwarz-weiß-Filter) betrachten können, so wie bis vor kurzem im Martin-Gropius-Bau. Wie sie da in die Kamera grinsten, die Menschen der ganzen Welt von um 1910, alle tot.
Als ich darüber nachdachte, überkam mich paradoxerweise ein emphatisches Gefühl, und zwar zu all meinen Zeitgenossen. Dieses Zeitfenster, in dem wir uns hier auf der Erde tummeln, kam mir plötzlich unendlich klein vor, und deshalb wuchs in mir ein Gefühl der Verbundenheit mit allen anderen Lebenden, über alle sozialen Grenzen hinweg. Zeitgenossenschaft als größtes verbindende Glied – was zählt ist das Jetzt und das Wir (sorry, das klingt jetzt extrem nach SPD), aber so könnte man zeitgenössische Kunst, entgegen aller Auf- und Abwertungsmechanismen, entgegen aller Zukunftsfantasien und kunstgeschichtlichen Einsortierungen, einfach als größtmögliches Zeichen dieses Jetzt begreifen. Was interessieren uns die abertausenden völlig vergessenen Künstler, deren Werke sich längst genauso im Kreislauf der Elemente aufgelöst haben wie ihre Körper und Geschichten. Jede neue Arbeit, die wir erstellen, ist ein Zeichen, dass wir noch leben, ob’s jemanden heute oder in 100 Jahren interessiert, who cares?
Und hier die zweite Chance des Alters. Man hat immer weniger zu verlieren. Wenn man den schon in einer älteren Ausgabe etwas kryptisch veröffentlichten subjektiven Lebensbalken betrachtet, der die Beschleunigung der Zeitwahrnehmung mit einbezieht und davon ausgeht, dass jedes Jahrzehnt zwei Drittel so kurz erscheint wie das Jahrzehnt zuvor (nur eine Annahme, es kann auch schneller oder langsamer gehen, aber manchmal erscheinen mir diese zwei Drittel noch optimistisch, 2014 ist auch schon wieder vorbei) so rücken die älteren Generationen enger zusammen – wir 35- bis 50-Jährigen schauen gemeinsam auf einen ähnlich armseligen Restschniepel. Macht man sich diesen Umstand des schon verbrauchten Lebens bewusst, könnte man anstatt Angst vor dem zu Verlierenden (der Status, das Geld, der Ruhm) eine ungeheure Freiheit entwickeln. Die Freiheit der Alten … und wir könnten dann wirklich anfangen, den Kunstbetrieb zu rocken, je älter, desto verwegener. Ich organisiere schon einen Opiumclub für in 20 Jahren, da machen wir dann wahnsinnig tolle neue Arbeiten und zeigen die dann im MoMA, oder auch nicht, ist eh egal.
Geld besorgen wir uns dann schon, und wenn’s nicht klappt: Mit 80 als Freigänger im Knast leben oder mit 95-jährigen Schnabeltassentrinkern im Altersheim vegetieren, das wären dann die Alternativen. Im Knast hat man wenigstens Kontakt zu Jüngeren…
Illustration: Andreas Koch
Illustration: Andreas Koch