Some Random Mid Career Notes

2014:Dez // Peter K. Koch

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12-2014

Chor: „Wir sind die Künstler, wir leben ewig, durch unsre Arbeit sind wir unsterblich. Wir sind die Künstler, wir brennen heller, denken das Gold und gehen nicht tot.“

Frank*, 47, Volloptimist
Für sein Alter sieht Frank super aus. Obwohl er auf kurzem Weg zur Vollglatze ist und auch schon einen altersgerechten Bauchansatz hat, der, zugegebenermaßen, schlimmer hätte sein können bei seinem Alkoholkonsum, den man regelmäßig nennen muss. Und genau genommen weiß er auch gar nicht mehr, ob er noch trinkt, weil er intensiver empfinden will, um „zu brennen und die Lebenswut zu spüren“, wie er das früher immer getan hat oder ob er doch schon eher trinkt, um etwas weniger zu empfinden, um das eigene Ausglühen mit einer angemessenen Ablöschung zu begleiten. Er ist mittendrin in der schwerelosen Rutschpartie, die Alterungsprozess heißt und die, unaufhaltsam, alles mit sich reißen wird, was jetzt noch klar und fest ist. „Das weiß ich doch auch“, sagt Frank. „Ist aber alles auch eine Frage der Sichtweise“, sagt er dann noch. Frank hat drei Kinder mit drei Frauen, die jetzt von ihrer Umgebung allerdings überwiegend als Mütter wahrgenommen werden. „Kann ich ja nichts für“, erklärt Frank, „ich habe es den Kindern immer wieder angeboten, mal bei mir zu wohnen“, aber die wollten nicht und so hat er sich seine häusliche Unabhängigkeit bewahrt und lebt mit wechselnden Partnerinnen. Leisten kann er es sich und außerdem „ zahl ich ja die ganze Kohle für die Schulen in England, da muss ich schon ganz schön für rödeln.“ Frank möchte unbedingt anonym bleiben, weil er seinen Namen auf keinen Fall in irgendeinem Zusammenhang „mit diesem ganzen Altersscheiß“ lesen möchte. „Kunst und Alter, was ist das denn für ein beschissenes Thema. Wie willst du denn da auf den Punkt kommen, das ist doch für jeden vollkommen anders, das ist wie Metzger und Alter, das ist mir zu beliebig. Ich fühle mich gut, ich hab zu tun und reite die Welle noch ein paar Jährchen. Der Rest ist mir scheißegal.“

Chor: „Wir sind die Künstler, wir leben ewig, durch unsre Arbeit sind wir unsterblich. Wir sind die Künstler, wir brennen heller, denken das Gold und gehen nicht tot.“

Silke*, 53, Richtigmacherin
Silke hat von außen betrachtet erst mal alles richtig gemacht. Sie hat früh alles ihrer Karriere untergeordnet und hatte damit auch genau den von ihr angestrebten Erfolg. Stipendien, Ausstellungen in wichtigen Galerien und Institutionen, dann Lehre und Professur. Obwohl in ihrer künstlerischen Arbeit die Ungenauigkeit durchaus eine Rolle spielt, hat sie sich nach außen nie zu Emotionalitäten hinreißen lassen, die ihre generelle Strategie hätten gefährden können. „Ich weiß gar nicht, was du damit genau meinst, klar steht die Kunst bei mir an erster Stelle, das habe ich auch nie in Zweifel gezogen. Und das ist auch gut so. Aber mich als überrationale Persönlichkeit zu bezeichnen, das trifft es vielleicht nicht so ganz.“ Sie hat sich ganz bewusst gegen eine eigene Familie entschieden, um absolut frei planen zu können. Dieser von außen betrachtet leicht nüchtern erscheinende Lebensentwurf ist auch voll aufgegangen, was ihr aber, sagen wir mal, als Nebenprodukt den Spitznamen „Teflon-Silke“ eingebracht hat, was sie selber natürlich gar nicht weiß und auch nicht nachvollziehen könnte. „Ich bin da wie alle, ganz normal. Schlechte Laune ist was Privates, das bleibt in meinen vier Wänden, das kann ich auf professioneller Ebene nicht brauchen. Ich will auch nicht mit den Gefühlen von anderen belästigt werden.“ Ihre neue Gleitsichtbrille scheint daher auch ihr bisher einziges Altersmanko zu sein, aber auch darüber macht sie sich wenig Gedanken. „Ich habe kein Interesse über Befindlichkeiten zu sprechen. Wir können über meine Kunst sprechen. Der Rest geht keinen was an.“

Chor: „Wir sind die Künstler, wir leben ewig, durch unsre Arbeit sind wir unsterblich. Wir sind die Künstler, wir brennen heller, denken das Gold und gehen nicht tot.“

Thomas*, 45, Ex-Rock-Sänger
Obwohl er nicht müde wird zu betonen, „dass man das nicht sagen kann, weil sich kein vernünftiger Mensch als Ex-Rock-Sänger bezeichnen kann, weil man danach ja dann gar nichts mehr sein kann außer ein schlabbriges Nichts.“ Aber wahr ist es trotzdem. Im Grunde ist Thomas aber viel eher ein Ex-Punk der Künstler geworden ist, weil es gar nicht anders ging, weil er sonst tot gegangen wäre. „Ich wäre sonst totgegangen. Als Kind war ich scheiße und bis 15 habe ich rein gar nichts verstanden. Ab 15 dann überwiegend pickelübersät, hier und da Sperma abladen und wahnsinnig viel Kiffen. Ab 20 habe ich dann plötzlich nur noch mich gesehen. Und Kunst, Kunst, Kunst. Mindestens 10 Jahre lang. Mit 30 habe ich dann ganz schemenhaft den einen oder anderen in meiner näheren Umgebung wahrgenommen. Mit Mitte 30 waren dann plötzlich welche da, die ich nicht mehr übersehen konnte. Familie. Seit 40 kann ich von Glück reden, wenn ich noch gesehen werde. Aber seit Mitte 40 sehe ich da plötzlich wieder Licht am Ende des Tunnels. Ist natürlich das ewige Licht, dass mich eines Tages mit seiner ganzen Weichheit umfangen wird und dann alles von mir nimmt. Schmerz, Vergänglichkeit, Unvermögen. Bis dahin will ich noch ein bisschen durchhalten und meinetwegen auch weiter Kunst machen. Aber moderat, weil ich ja sowieso nur bei mir bleiben kann und mich nicht treiben lassen will von dem Müssen. Ich möchte ins Zeitalter des Könnens und Dürfens übergleiten, weil die kurze Zeit, die noch bleibt, die kann ich nicht nur mit diesem Kunststress verbringen. Meine Religion ist jetzt das Leben und nicht mehr die Kunst.“ Im Grunde war die Kunst für Thomas von Anfang an nur eine therapeutische Maßnahme. Vielleicht ist die Therapie einfach erfolgreich abgeschlossen. „Ich weiß es ja auch nicht.“

Chor: „Wir sind die Künstler, wir leben ewig, durch unsre Arbeit sind wir unsterblich. Wir sind die Künstler, wir brennen heller, denken das Gold und gehen nicht tot.“

Ralf*, 48, Kunstmarktschlager
Durch seinen unfassbaren Erfolg, „kann ich ja nichts für“, so­wohl monetär als auch durch die kunsthistorische Einzementierung seines gesamten Werkes ist Ralf allgemeines Hass- und Neidobjekt der weniger Erfolgreichen. Ralf war schon immer ein radikaler Utopist und Querdenker, ist dazu smart und kann irre schnell denken. Im Grunde wäre er in jedem anderen Beruf mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit exakt genauso erfolgreich geworden. „Ich weiß gar nicht mehr genau, warum ich Künstler geworden bin. Ich habe damit so angefangen, dann hat es gut funktioniert, deswegen mache ich das immer noch. War mehr so ein Zufall und für mich einfach der angenehmste Weg.“ Von Beginn an lief es für Ralf reibungslos. Darüber hat er aber eigentlich nie weiter nachgedacht, weil er es nicht anders kannte, was vielleicht auch mit seiner Herkunft aus einer Kunstdynastie zu tun hat, in der das Selbstverständnis immer schon sehr ausgeprägt gewesen ist und sich alle der eigenen Kapazität bewusst waren. Im Grunde hat er aber auch gar keine Zeit über Zeit nachzudenken, weil Projekt auf Projekt folgt. Deswegen interessiert ihn das Altern auch nur bedingt, denn die Sorgen anderer Künstler, zum Beispiel die Angst vor der Altersarmut und der Vereinsamung kann er nicht nachfühlen. „Das mit dem Altern sehe ich relativ pragmatisch. Ich kann es ja nicht ändern und finanziell bin ich unabhängig, war ich eigentlich immer. Kunst hin oder her. Ich bin auch nicht so eitel, dass ich ständig Ausstellungen haben muss oder unter der Bedeutungslosigkeit leiden werde, wenn andere in der ersten Reihe stehen. Ich gehe dann auf die Insel und lass meine Eier im Wind baumeln. Meine Kinder sind jetzt alt genug, die können sich schon alleine durchschlagen. Ich habe, sag ich jetzt mal, überhaupt keine Sorgen.“ Die Neider mögen jetzt darüber abkotzen, aber so ist es eben. Ralf ist ein Sonnenkind und das wird er bleiben.

Chor: „Wir sind die Künstler, wir leben ewig, durch unsre Arbeit sind wir unsterblich. Wir sind die Künstler, wir brennen heller, denken das Gold und gehen nicht tot.“

Susanne*, 49, Totalverbitterte
Während ihrer Kunstakademie-Zeit war sie so etwas wie der Star an ihrer Schule. „Ich hatte so was Genialisches. Ich konnte alles immer sofort am besten und alle haben zu mir aufgeschaut, weil sie wussten, dass ich es irgendwie kann, dass ich besser bin.“ Nur der Kunstmarkt hat das dann leider nicht so gemerkt. Nach ein paar annehmbaren Postakademieausstellungen wurde es sehr schnell ruhig um Susanne und eigentlich hat sie nie mehr den Status erlangt, den sie während ihres Studiums hatte. Seitdem versucht sie verzweifelt, Anschluss zu finden, was ihre Arbeit, von außen betrachtet, nicht unbedingt leichter erscheinen lässt. Genau genommen hat sie nur noch verkrampften Mist fabriziert und die Verzweiflung klebt in jeder Pore ihrer Arbeit. „Meine Sachen sind definitiv genauso gut wie die von den anderen, die mehr Erfolg haben als ich. Qualitativ kann ich da überhaupt keinen Unterschied erkennen, die haben das ja auch nur geschafft, weil sie mehr geschleimt haben als ich, das habe ich aber nie machen wollen und das habe ich auch nicht nötig. Ich habe mein Studium mit Auszeichnung abgeschlossen und ich weiß, was ich kann. Die Scheißkunstwelt ist total kacke und ungerecht.“ Susanne hat für ihre Arbeit auf Familie verzichtet und fällt nach jedem kurzen Hoch in ein schlimmes langes Tief. Sie kennt es nicht anders. So war es immer und so wird es bleiben, denn Hoffnung auf Besserung hat sie eigentlich keine mehr, auch wenn sie das so niemals zugeben würde. Sie ist immer noch wie besessen von ihrer Idee von Karriere. „Abgerechnet wird zum Schluss.“ Möglicherweise ist der Schluss gar nicht mehr so weit entfernt, wenn man mal bedenkt, dass sich Unzufriedenheit oft Krankheit holt.

Chor: „Wir sind die Künstler, wir leben ewig, durch unsre Arbeit sind wir unsterblich. Wir sind die Künstler, wir brennen heller, denken das Gold und gehen nicht tot.“


Stefan, 44, Zufallsüberlebender
Stefan wundert sich so gut wie jeden Tag, dass er überhaupt noch am Leben ist. „Live fast and die young! Das war definitiv mein Ding. Seit ich 16 war, habe ich nur noch Vollgas gegeben, meistens leider in die falsche Richtung. Was soll’s. Paar Typen die ich kannte sind draufgegangen. Ich nicht. Als ich dann älter wurde, habe ich mehr auf die Kunst Bock gehabt als auf Heroin. Ich war nie so der Penner, der sich nur voll­dröhnen wollte.“ Sieht man ihm nicht wirklich an. Stefan ist für sein Alter ziemlich klapperig und würde am Kotti kaum aus dem Rahmen fallen. „Ich sauf halt relativ viel. Ist mir aber scheißegal.“ Aber wie es halt so ist, wenn man die Demarkationslinie zum eigenen Abrauschen einfach überschritten hat, hat man dann plötzlich doch wieder Lust auf ein paar weitere Jahre und deswegen malt Stefan jetzt auch weiter seine Bilder. Wenn er nicht betrunken ist. „Sorry, aber als Künstler arbeitet man doch sowieso nur gegen die Vergänglichkeit. Sag mir einen verdammten Grund, warum man sich sonst so quälen sollte, das ist nur der vergebliche Kampf gegen die Vergänglichkeit. Man will halt auch einen Fliegenschiss machen und was hinterlassen. Das wollen doch alle. Ich male auch nur gegen den Tod an. Aber ich sag immer: Mach’s dir ruhig selber, Tod, ich komm erst später!“

Chor: „Wir sind die Künstler, wir leben ewig, durch unsre Arbeit sind wir unsterblich. Wir sind die Künstler, wir brennen heller, denken das Gold und gehen nicht tot.“

Astrid*, 49, Entspannteste
Wenn man jemand als entspannt bezeichnen kann, dann ­Astrid. In dieser Hinsicht ist sie ein absolutes Vorbild, obwohl sie selbst sagt, dass sie da keinen großen Unterschied zu anderen Menschen sieht. „Ich sehe da keinen Unterschied. Ich bin auch nicht privilegiert oder so. Ich habe mir nur einfach nie so den Kopf gemacht. Genau genommen ist das auch so ziemlich das einzige, was ich mir selber vorwerfen könnte. Vielleicht hätte ich mehr aus meinen Möglichkeiten machen sollen. Doof bin ich ja nicht, aber so supervollehrgeizig war ich eben auch nie. Mir ist das relativ leicht gefallen und ich hab’s halt gern nett.“ Künstlerisch agiert sie vielleicht nicht so ganz in der allerersten Reihe. Ihre Arbeit ist nicht schlecht, man merkt ihr vielleicht ein ganz kleines bisschen an, dass andere Dinge in ihrem Leben eine höhere Priorität besessen haben. „Ich wollte auf jeden Fall Kinder, das war mir immer klar. Das habe ich gemacht und ich bin total glücklich. Kunst liebe ich auch und ich bin auch da hinterher, aber ich bin auch Realistin. Ich hatte nie so die Lust mich zu opfern, mir war einfach das Risiko zu groß, dass ich ein sinnloses Opfer bringe. Ich habe das Gefühl, als ob mir das ganz gut gelungen ist, beide Welten in meinem Leben zu vereinen.“ Da kann man nicht widersprechen, das ist Astrid tatsächlich gelungen und sie schaut der Zukunft deswegen weder gelangweilt noch hysterisch entgegen, sondern gelassen. „Bis jetzt ging es ganz gut und ich denke, so geht es auch weiter.“

Chor: „Wir sind die Künstler, wir leben ewig, durch unsre Arbeit sind wir unsterblich. Wir sind die Künstler, wir brennen heller, denken das Gold und gehen nicht tot.“

 *Alle Namen sind frei erfunden.
Illustration: Andreas Koch
Illustration: Andreas Koch