Younger than Rihanna

2014:Dez // Seraphine Meya

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12-2014

Alter – eigentlich sollte man meinen, dass ich mit noch nicht einmal dreißig wenig bis nichts zum Thema Alter zu sagen haben sollte. Ich ahne nur, was kommen könnte, wenn meine Mutter mich wieder einmal mahnt, daran zu denken, dass ich nicht mein ganzes Leben so viel Energie wie jetzt haben werde. Doch Alter ist relativ. Denn ich bin schon nicht mehr „younger than Rihanna“ und somit fehlt mir ein grundlegendes Kriterium, um mich auf den von Kunstguru Hans-Ulrich Obrist ausgeschriebenen Preis mit eben diesem Namen zu bewerben. 1989 ist die magische Grenze, danach fängt … das Alter an? In dem Werbevideo zum hochdotierten Preis, der sich die Förderung des trendigen Nachwuchses auf die Fahnen schreibt, tanzen asiatische Teenies zu „Shine bright like a diamond“ von Rihanna. Wie ist das, kann man nicht mehr strahlen wie ein Diamant, wenn man vor 1989 geboren wurde?
Neben Hans-Ulrich Obrist kuratiert ein junger Franzose namens Simon Castets die Talentshow der jungen Künstler. Er dürfte etwa in meinem Alter sein und leitet das Swiss Institute/Contemporary Art in New York. Ich bin ein Kind meiner Zeit, ich bin mit dem Bewusstsein aufgewachsen, nur junges Humankapital ist gutes Humankapital, weshalb man das Studium in Regelstudienzeit abschließen sollte, um dann dem Arbeitsmarkt uneingeschränkt und hoch qualifiziert zur Verfügung zu stehen. Und obwohl ich zufrieden bin, mit dem, was ich bisher so im Leben gemacht habe und ich gleichzeitig dem Wettbewerb „jeder gegen jeden“ sehr kritisch gegenüber stehe, setzt bei solch einem Gegenüber das Vergleichen ein. Es ist wie ein Mechanismus, dem ich mich trotz aller Reflexion kaum entziehen kann. Ähnelt das Geburtsjahr pi mal Daumen dem meinen, kann das frohe Vergleichen und Bewerten der eigenen Wirtschaftlichkeit beginnen. Kurz darauf bin ich, abhängig von der Tagesform, entweder etwas niedergeschlagen ob meiner biografischen Rückständigkeit im internationalen Kunstvergleich oder ich komme wieder zur Besinnung. Denn warum ich eigentlich in der Kunst gelandet bin, hat nichts damit zu tun, dass man in dieser Welt so fantastische Karrieren hinlegen kann. Nein, vielmehr geht es um den kritischen Austausch über die Welt, in der wir leben und die Zukunft, die wir uns wünschen. Dieser Austausch gestaltet sich bestens in sich ständig neu formierenden Kollektiven, in der Zusammenarbeit mit anderen. Schnell ist klar, dass man zusammen viel schöner weiter kommt, als immer nur im eigenen Saft zu garen. Die Genie- und Autorenkritik ist nichts neues und immer wieder fühle ich mich in den Diskussionen, die ich mit Freunden über Kollektive führe, in die 1970er zurückversetzt. Damals begann der Kapitalismus damit, sich die kritischen Positionen einzuverleiben, um sie zu seinen Zwecken zu nutzen. Heute sind wir so weit, dass die subste aller Subkulturen für Werbevideos für internationale Großkonzerne herhalten darf. So werben die brasilianischen radikalen „Wandbeschmierer“ Pixadores für Puma und Karl Lagerfeld schickt Models in Chanel mit Feminismus-Bannern und Demonstrations-Chic auf den Laufsteg.
Die verführende Macht des neoliberalen Herrschaftssystems (Byung-Chul Han, Süddeutsche Zeitung, 2.09.2014) kriegt uns doch alle. Wir verkaufen unsere Seele in Form unserer Hochzeitsbilder für ein paar Likes auf facebook, wir optimieren unseren CV für ein gutes Standing im internationalen Vergleich. Warum wir das tun? Weil wir es können und weil wir ach so frei sind, uns selbst zu verwirklichen. Selbstverwirklichung heißt heute, Freunde, Familie, Fairness und manchmal sogar Gesundheit zu opfern, um an eine dieser raren Positionen zu kommen, die Anerkennung und Lohn versprechen. Denn nur mit einer solchen Lohnarbeit können wir uns den Lebensstil leisten, der uns durch die Werbeindustrie als Glück verkauft wird. Und so arbeiten sich wenige mit vielen Überstunden durch ihr Leben, während andere laut System gar nicht leben dürfen, weil sie zu arm und zu unproduktiv sind. Ein Versprechen von Glück und vielleicht Macht ist es, das mich dazu bringt, mich zu vergleichen, auch wenn ich das nicht möchte. Bleibe ich nämlich bei meiner Position (kollektiv, kein Wettbewerb, weniger, nachhaltig etc.), droht mir das vollständige Herausfallen aus dem verführerischen Konzept von Jugendlichkeit, Schönheit und Macht. Meine Freiheit, mich selbst zu verwirklichen ist eigentlich keine, denn ich bin mit meinen shiny Gadgets wie Iphone und Macbook ständig angeschlossen an eine Welt, die mir etwas anderes vor­lebt. Doch ist das der Punkt, an dem man entmutigt den Kopf in den Sand stecken muss? Ich denke nicht. Es gibt da draußen genug Gleichgesinnte, mit denen man sich verbünden kann, um eine andere Realität zu leben. „Avantgarde“ ist ursprünglich ein militärischer Begriff und bezeichnet die Vorhut, die das unbekannte Gebiet auskundschaftet, um es abzusichern für das gesamte Heer. Genau in diesem Sinne ist es also heute zu begreifen, wenn man sich gegen die Regeln stellt. Man bildet die kleine Avantgarde, die die Freiheit, eine Welt ohne Wettbewerb, ohne Werbung und ohne radikale Verlierer-Selektion austestet. Dabei sind kleine Schritte nötig, an die man sich selbst gewöhnen muss, um sie auch für andere zugänglich zu machen. Anfangen könnte ich zum Beispiel damit, die Mechanismen des Vergleichens, die sich einschalten, wenn ich mit dem Slogan „Younger than Rihanna“ konfrontiert werde, zu analysieren und ihnen so ihre Bedrohung zu entziehen.
Stehenbleiben um der ewigen Jugend willen? Das Fortschreiten der Zeit verhindern? Nicht für mich – lieber quäle mich mit Freuden wie Sisyphos einen Berg hinauf, um am Ende wieder von vorne anzufangen – doch zumindest wähle ich selbst den Stein. Denn: „Der absurde Mensch sagt Ja, und seine Mühsal hat kein Ende mehr,“ schrieb Albert Camus in der Mythos des Sisyphos. Das Älterwerden hat all dem gesellschaftlichen Misstrauen dem Alter gegenüber zum Trotz doch wirklich unschlagbare Vorteile. Mit jedem Jahr werden es mehr Erfahrungen, die das Leben weniger beängstigend erscheinen lassen, mehr Bücher, die man gelesen hat und mehr Wissen, das man mit anderem Wissen verknüpfen kann, um dem ewigen „Ich weiß, dass ich nichts weiß!“ furchtlos ins Auge blicken zu können. Der Kult um die Jugend ist einer, der nur der Schönheitsindustrie einen Gefallen tut. Dem absurden Menschen hingegen nicht. Der Moment ist, was zählt. Nicht die Vergangenheit und nicht die Zukunft. Sich vergleichen? Sinnlos, denn dem Vergleichen ist kein Ende gesetzt und im ewigen Vergleich unglücklich unterzugehen, ist trauriger als manchmal etwas einsam auf unbekanntem Gebiet umherzuirren, um den Weg zu finden, der möglicherweise in die genau richtige Richtung weist.