Künstler, die nächsten fünf Jahre werden hart …

2014:Dez // Christoph Bannat

Startseite > 12-2014 > Künstler, die nächsten fünf Jahre werden hart …

12-2014

Der legendäre 64er kommt in die Jahre. Du fickst, als würde es um Leben und Tod gehen, und nicht unbedingt deine Frau, die Mutter deiner Kinder. Als wäre es das letzte Mal. Das Bruttosozialprodukt steigt. Das Verhältnis von demnächst Sterbenden zur Geburtenrate kippt zugunsten der Alten. Hanns Henny Jahnn ließ Visitenkarten drucken, auf denen stand: „Die Toten sind Viele.“ Die Lohnstückkosten sinken. Deutschland ist seit Jahren Exportweltmeister. Also alles kein Problem. Rein rechnerisch gibt es so betrachtet immer mehr Geld für immer wenige Menschen – gemeint sind hier natürlich nur Deutsche. Leider haben wir, also die Plus-Minus-64er keine Arbeitskampfübung, um Forderungen die Verteilung dieser Gelder betreffend durchzusetzen. Und das Training, Verfall und Aufstieg des Geldes von denen unserer Körper zu entkoppeln, hat noch nicht begonnen. So ist selbst ein zerknitterter 50er, anders als der menschliche Körper, ebensoviel wert wie ein glatter – ach dieses Gefühl zwischen den Fingerspitzen … Du erinnerst Dich mit den Händen, indem Du ihr den Finger tief in den Anus steckst, noch einmal testest, was geht, und Dich mit alten Bildern neu, diesmal bewusster, wie Du glaubst, auflädst. Der Genuss der Gewohnheit, nach Hause zu kommen, zu Frau und Kind, ist schal geworden. Du genießt nur noch das verblassende Bild, dem Du einmal nachgehangen hast. Oder, Deine Klamotten dunsten Einsamkeit aus. Deine Sozialkraft lässt nach. Deine Ausstellungen werden besucht, es sind aber immer die gleichen Leute, und bei jeder zweiten sind es einige weniger. Im harten Galerielicht zeichnen sich die Spuren der Schwerkraft in ihren Gesichtern ab. Die Frauen werden durchsichtig, die Männer zotig. Die nächsten fünf Jahre werden hart. Im Atelier senkt sich der Staub. Der Staub ist Deine Freiheit, hier muß Du nicht aufräumen. Diesen letzten Widerstand durch Passivität, meinst Du für Dein Glück, die Wahrung Deiner inneren Proportionen zu brauchen. Oder Du räumst auf und planst. Schreibst Antragslyrik für Kataloge und Projekte. Alles ist an seinem Platz. Du bist in Berlin. Nichts fehlt und nichts ist da. Die nächsten fünf Jahre werden hart. Und wenn Du willst, kannst Du in Berlin hauptberuflich einfach nur wichtig sein. Und wenn nötig: Alkohol bekommst Du immer irgendwo umsonst. Dann bist Du eben der Typ mit den Turnschuhen und der Plastiktüte. Oder der ohne Gürtel, dem die verwaschene Jeans im Schritt hängt. Oder der, dessen Uhr schon lange stehengeblieben ist. Berlin wird enger. Plötzlich sind die Männer, die immer rumgezickt haben, wenn es um die Kinderfrage ging, froh, dass ihnen der Tag durch Kinder strukturiert wird, jenseits von Bundesliga, Tatort und runden Geburtstagen der West-Verwandtschaft. Gefangen in ihrem Traum. Selbstständig. Sein Leben als Risikokapital einsetzen, in der spannendsten Stadt Deutschlands, in Berlin, sich durchsetzen, im Kampf Mann gegen Mann. Natürlich nur gespielt. Aber, kein Spiel ohne Ernst. Das Leben als einen einzigen Ernstfall betrachten. Vielleicht sind Tattoos das Zeichen für diesen spielerischen Ernstfall. Wir rutschen immer mehr in die Langeweile der Biedermeierzeit. Fragt sich nur, wer der nächste Spitzweg, Büchner, E.T.A. wird. Der Schmerz der langen, der zu lange weilenden Weile. Es ist zu lange Herbst, zu lange Sommer, Winter, Frühjahr. Nur das Atelier müllt immer mehr zu. Der Müll greift immer mehr in den Lebensraum ein. Verschenken? Und, wenn den keiner in seinem Lebensraum haben will? Zurück in die elterliche Garage, solange die noch leben? Und dann? Wenn der Ausdrucksmüll tatsächlich, jenseits des Unbewussten, wertlos ist? Was ist der Künstler in diesen Lücken zwischen den Ausstellungen? Was machen, wenn die Zeit-Lücken zwischen den Ausstellungen immer größer werden? Was machen, wenn es nicht weitergeht? Ein Gefühl, das sich auch einschleichen kann, wenn die Arbeiten wie geschnitten Brot weggehen. Aber was heißt dies weiter, und was bedeutet in diesem Zusammenhang Gehen überhaupt? Sollte es nicht reichen, das, was man macht, gut zu machen und das Wissen darum weiterzugeben? Nur hat die Moderne mit der Tradition, dem Weitergeben, in der freien Kunst gebrochen. Der Maßstab für das Gutgemachte ist verlorengegangen. Originalität und/oder Authentizität sind an dessen Stelle getreten, die man bekanntlich nicht weitergeben kann. Nehmen wir Carl Spitzweg. Kann man von einem Künstler, der seine Sache gut macht, verlangen, dass es bei ihm weitergeht? Doch heute meinen die meisten Arbeiten eben nicht das, was sie darstellen, sondern etwas anderes. Sie sind nur Signifikant, verweisen als Zitat auf einen Metatext, oder als Fragment auf ein erdachtes Ganzes. Bruchstückhaft. Jenseits des Anspruchs des (Kunst-)Marktes nach Neuem haben die Künstler den Anspruch danach heute bereits verinnerlicht. Viele Künstler erstarren. In Angst, dem Erfolg dermaßen schnell hinterher laufen zu müssen, dass dieser sie nie einzuholen vermag. Also: Augen zu und durch’s Leben. Doch ist dies kein guter Tipp bei visuellen Medien. Dann: Rette sich wer kann – das Leben. Wer setzt heute noch auf Schwarmintelligenz – auch so eine vergessene Kulturtaktik. Doch beginnt hier der Weg des Weisen. Scheiß die Wand an. Jenseits der Kunst. Wir sind das Kunststudium angetreten, um Künstler zu werden. Jetzt müssen wir uns in Lebenskunst üben. Und? Meine Mutter sagt ja immer: Lieber ein glücklicher Lagerarbeiter (heute: Logistiker, doch lassen wir uns davon nicht täuschen) als ein unglücklicher Künstler. Und Vatern: Aber lieber ein unglücklicher Künstler als ein unglücklicher Lagerarbeiter. Packen wir’s an. Denn es führt kein Weg daran vorbei: Wir müssen weise werden. Früher oder später. Mit oder ohne Kunst. 

Zeichnung: Christoph Bannat