Altersaussichten verschiedener Sparten im Kunstbetrieb

Eine Liste von hundert

2014:Dez // Andreas Koch

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12-2014

Alle werden alt, sicher, aber alle werden anders alt. Je nach Berufsgruppe steigen oder fallen die Chancen auf einen erfolgreichen Restlebensabend. Papst oder Bundespräsident wird man leichter mit über 60 – Jüngere geben für ein solches Amt keine so gute Figur ab, siehe Christian Wulff. Ein Bauarbeiter hat jedoch durch seinen körperlichen Starkverschleiß wenig Möglichkeiten, mit 60 (oder vielleicht auch schon früher) noch weiterzuarbeiten. Diese Ungleichheit herrscht auch im Kunstbetrieb. Wir veröffentlichen hier eine kleine Typologie der Berufssparten und ihr jeweiliges Altern.


Künstler
Wie schon in der Einleitung zum Alter-Spezial beschrieben, haben jüngere Künstler bessere Erfolgschancen als ältere. Oft beobachtet man bei Künstlern mit einer 6 vorne im Geburtsjahr, dass sie diese lieber verschweigen. Besser gar nicht geboren sein. Wichtig für eine Künstlerkarriere ist der frühe Erfolg in den späten Zwanzigern, dann der weitere behutsame Aufbau. Mittlerweile wird jedoch oft sofort auf den großen Erfolg gesetzt, ob das zu schnell ist, ist die Frage. David Ostrowski oder Alex Israel von Peres Projects erzielen im zarten Alter von um die dreißig sechsstellige Auktionspreise. Anselm Reyle war nicht viel älter, ist aber mittlerweile mit 44 marktechnisch relativ durch. Er zog einen temporären Schlussstrich, hat sein Studio geschlossen, denn er hat genug Geld bis ans Lebensende verdient. Nachhaltige Karrieren zu befördern. ist zwar Teil des normalen Galeristensmalltalks und wird stets als erstes betont, Fakt ist jedoch, dass die meisten so angegangenen Wege auch im Absturz enden. Mit fünfzig ist es für die meisten vorbei, ob mit oder ohne Einstiegs-Karriere …
Warum also nicht gleich Geld verdienen, solange es noch möglich ist, also eher wie ein Fußballer sein, bei dem mit 35 spätestens Schluss ist, und eben kein Golfer, der auch mit 60 noch beachtlichen Erfolg haben kann (Bernhard Langer, 57, hat zum Beispiel in der Saison 2014 so viel Geld wie nie zuvor in seiner Karriere verdient)?
Der alternde Künstler verliert also, wenige Grandseigneurs und -madames der Szene ausgeschlossen. Diese reifen und erfahren im Alter eine immer größere Institutionalisierung und ganz wenige werden erst spät entdeckt und starten mit 50 einen ersten Run, werden als bisher unterbewertete Künstlerkünstler aus der Versenkung gezogen.
Ok, es wird auch nicht jeder Papst, und das Gros der Künstler macht weiter, auch wenn immer weniger Leute ihre Arbeiten sehen wollen. Die Folge ist oftmals zunehmende Verbitterung, ein weiteres prekäres Dasein und ein schleichender Ausschluss aus der Kunstszene.
Alter ist beim Künstler kein Effekt, der von alleine eine Qualität kreiert. Der Künstler kann es höchstens nutzen, um mit einer gewissen Nonchalance (Gelassenheit, Chuzpe, Angstfreiheit, Weisheit) seine jüngeren Zeitgenossen zu überraschen. „Hätte ich von dem oder der nicht gedacht, Hut ab!“

Galerist
Der Galerist hat den Vorteil, dass man älter meist auch seriöser wirkt. Der gepflegte Mann, die gepflegte Frau um die 60, gewaschen mit allen bürgerlichen Konventionen, bewegt sich nach wie vor galant übers Kunstparkett und kann so Arbeiten besser verkaufen. Man ist auf Augenhöhe mit seinem Klientel, dem Sammler. Als Junggalerist ist die Beziehung zu älteren Käufern nicht ganz so stabil, die Sammler freuen sich zwar, auch Kontakt zu 30-Jährigen zu haben, so richtig nahe kommt man sich allerdings nicht, spätestens auf der abendlichen Tanzfläche nach dem Vernissagendinner könnte es peinlich werden.
Sollte man als Galerist auf die ständige Erneuerung seines Programms setzen, was monetär sicherlich sinnvoll ist, entsteht möglicherweise eine kommunikative Lücke zu den zu betreuenden Künstlern. Man versteht sich seltener, ungute Ersatz-Eltern-Kinder-Beziehungen entstehen. Oft krachen diese Verbindungen wieder auseinander. Andere Galeristen setzen eher auf ständiges Wachstum mit der gleichen Generation an Künstlern. Man wird gemeinsam alt. Das erleichtert den alltäglichen Umgang, aber man muss dann gemeinsam die Mid-Career-Crises überstehen. Sollte dies gelingen, steht einem geruhsamen Lebensabend bei bestem Wein und gepflegtem Landsitz nichts im Wege.
Schwierig wird es für die gescheiterten Galeristen, denn sie haben, genau wie die meisten erst erfolgreichen, dann abgestürzten Künstler, nichts anderes gelernt. Haben sie dann nicht genug Geld zur Seite geschafft, wird’s blöd. „Was macht eigentlich …?“ ist dann die am häufigsten zu erwartende Frage, bis man in Vergessenheit gerät. Im Unterschied zum Künstler hat man als Galerist in der Regel kein Werk geschaffen, das man in depressiven Phasen zu späteren Katalogprojekten verarbeiten kann, um sich dann doch noch eine Professur zu ergattern. Der Galerist lebt von der momentanen gesellschaftlichen Achtung. Meist versucht sich der gescheiterte Galerist als Art-Consultant, wenn er richtig Glück hat, bekommt er eine lukrative Stelle im Auktionshaus.

(im Text nicht erwähnte Galeristen in der Reihenfolge ihrer Erscheinung: Monika Sprüth, Gisela Capitain, Max Hetzler etc. … Johann König, Martin Kwade etc. … Neu, Arndt, Carlier Gebauer etc. … neugerriemschneider etc. … Giti Nourbakhsch, Joanna Kamm, Rüdiger Lange, Klara Wallner etc. … Olaf Stüber etc. … Martin Klosterfelde)

Sammler
Dem Sammler spielt das Alter in die Karten. In Galerien wird per se jeder alte Mensch, der einigermaßen ok angezogen ist und nicht mit Plastiktüten voller Flyer als erstes zu den Getränken marschiert, als Sammler angesehen. Jeder Alte ist potentieller Kunde und wird freundlich informiert, auch wenn am Ende nur ein kleiner Teil wirklich Käufer ist. Manche „echten“ alten Sammler spielen ihre Rolle voll aus. Sie gockeln auf Messen von Stand zu Stand und fühlen sich genau da am wohlsten. Hier ist ihr Alter keine Last, hier sind sie ganz bei sich und nicht peinlich, wie eben noch im Porsche auf dem Marktplatz. Junge Sammler haben ähnlich wie junge Galeristen ein Legitimationsproblem: Wo kann der so schnell so viel Geld verdient haben, kennt der sich überhaupt aus? Ihnen wird dann meist teurer Ramsch angedreht.
Die Sammlung reift erst mit der Zeit – nach Jahren des Sortierens, Aussortierens und bewussteren Neuakquisen. Dann, erst im hohen Alter, kommt die Frage, wohin damit. Der Sammler betrachtet seine Kunstwerke ja auch als Lebenswerk (Vorteil gegenüber dem Galeristen) und das soll möglichst beieinander bleiben. Museumsschenkung, eigenes Museum oder vererben? Luxusfragen, die der 75-jährige Rentenaufstockungskünstler auch gerne hätte, dessen Werk meist früher oder später in der Tonne landet.

Kritiker
Der klassische Kunstkritiker stirbt mittlerweile aus. Er hat kaum noch bezahlte Foren, in denen er seine Texte unterbringen kann. Die Feuilletons streichen, zahlen schlechter und Redaktionsstellen werden, wenn überhaupt, mit so jungem Nachwuchs besetzt, dass dieser bei einem angebotenen Artikel z.B. über eine große institutionelle Einzelausstellung erst mal den Künstlernamen googeln muss.
Für den alternden Kunstkritiker sieht es also schlecht aus. Die auch nicht zahlreiche junge Konkurrenz, meist eher mit Schwerpunkt auf Journalismus ausgebildet, drückt ihn einfach raus. Dann wird die lebenslang angesammelte Expertise zum Groschentarif abgedruckt. Sozialhilfe mit Nebenverdienst, der dann wieder von der Sozialhilfe abgezogen wird, bleibt als Perspektive. Die gesammelten Texte kommen dann noch mal als Print-on-demand-Buch raus.

Professor
Der Professorenjob ist der Notnagel der Künstler. Es gibt längst nicht genug Stellen, um all die aus dem Markt herausfallenden Künstler absichern zu können. Dennoch ist es für viele die letzte Chance, sich noch ein finanziell abgesichertes letztes Lebensdrittel zu erhalten. Viele Kunstprofessoren sind eigentlich Frührentner, die zuvor mit Lehre nicht viel am Hut hatten und nur zum geringen Teil Interesse an diesem Beruf haben. Es ist leider immer noch Usus, eher dem erfolgreichen Marktkünstler den Job zu geben, als demjenigen. der die Lehre schon immer ausübte (sei es aus Leidenschaft oder aus finanziellem Zwang, jedenfalls mit der ungleich höheren Lehr-Erfahrung). Viele jüngere Künstler haben bei solch teilfrustrierten Ex-Marktkünstlern studiert und entwickelten, Gott sei Dank, den Ehrgeiz, so bitte auf keinen Fall zu enden. Sie sind ja noch nicht 50.
Dennoch, der Professor hat sich gerettet, hat Ansehen und Auskommen und kommuniziert mit jüngeren Menschen. Das Alter steht ihm nicht schlecht und er erwartet eine echte Rente.

Kurator
Sie sind eigentlich ein Mischkonstrukt aus Galeristen, Künstlern und Kritikern. Das heißt, sie vernetzen und fördern wie Galeristen, handeln prekär und projektorientiert wie Künstler (die Ausstellung ist dann das Werk), und reflektieren ähnlich dem Kritiker über den Stand der Kunst und der Welt. Die Auswirkungen des Alters auf Kuratoren ist dann auch die Schnittmenge der anderen Gruppen.
Das heißt, bis auf wenige, die es bis in die Kasper-König-Klasse schaffen, werden sich die meisten Kuratoren im mittleren Alter in der mannigfaltigen Kunstvereinsszene umschauen­ müssen, um dort auf dem Land ihre noch betagteren Kunstvereinsmitglieder zu unterhalten. Die Bezahlung ist meist mau, der lokale Kampf hart und die Rentenaussicht gering. Aber hier verlockt immerhin die frische Luft und der ruhige Lebensabend.Andreas Koch