Onkomoderne

Soziale Eiszeit

2014:Dez // Christina Zück

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12-2014

Soziale Eiszeit

Am Wochenende vor der Art-Week-Eröffnung hatte Roseline Rannoch zu einer Vernissage oder Performance  – die Email-Einladung klang ebenso wie der ­Titel, „Doom Spa – Vanitas Canapé – The Fountain of Bloody Youth“, mysteriös – in die Russisch-Römische Sauna im Stadtbad Mitte eingeladen. Spätabends war ein gemeinsamer Saunagang geplant, nur Frauen und das dritte Geschlecht sollten dabei sein, weiße Bademäntel tragen und eine Frucht mitbringen, die zum Essen bereit sei. Vor dem Eingang des ambulanten Rehazentrums im Stadtbad wartete bereits eine Gruppe gutaussehender, arty gekleideter Frauen. Gemeinsam mit einer Freundin stieß ich dazu. Wir grüßten freundlich und wurden von einer Wolke unangenehmen Beklemmtseins umfangen. Der Kreis öffnete sich nicht für uns. Da merkt man ja gleich wieder, dass man bei einer Kunstveranstaltung angekommen ist, lachte meine Freundin. Unsere Gespräche hatten sich immer wieder darum gedreht, dass es eigentlich Irrsinn war, in einem beruflichen Umfeld zu arbeiten, das weder Anerkennung, einen gemeinschaftlichen Zusammenhalt, noch ein ausreichendes Einkommen zu bieten hat. Dass es gleichzeitig unmöglich war, die künstlerische Arbeit und unser Werk im Stich zu lassen. Hinten in der Gruppe erkannte ich eine alte Freundin und blickte lange hin, doch sie schien mich nicht zu erkennen. Keine Brille dabei? Oder war es schon wieder die Zuweisung an den Platz außerhalb der als bedeutungsvoll erlebten Peer-Gruppe? Der Plan schien zu sein, miteinander nackig in der Sauna zu liegen und ein temporäres Gemeinschaftlichkeitsritual gegen die eisige Wettbewerbsgesellschaft zu performen. Roseline kam nun herunter und öffnete uns die Tür zum Reha-Zentrum, durch das wir außerhalb der Öffnungszeiten den Weg nehmen mussten. Vorbei ging es an Rollatoren, Rollstühlen und Gehhilfen, die im Gang vor dem Fahrstuhl aufgereiht waren und die uns atmosphärisch auf die künstlerisch modifizierte Ü40-Wellness einstimmten.
Im dritten Stock der ehemaligen Volksbadeanstalt, die 1929 in der Gartenstraße im Stil des Neuen Bauens errichtet wurde, wird heute noch eine kleine Sauna mit Dampfbad betrieben. Im Hauptraum mit Tauchbecken und Duschen befinden sich vier farbige vom Expressionisten Max Pechstein gestaltete Glasfenster. Einige der in Blei eingefassten Glasmalereien zeigen Frauenfiguren mit nacktem Torso, die kleine Kinder um sich haben, ihnen die Hände auf den Kopf legen und sie im Arm halten. Es ist das Motiv„Herbst“, das zusammen mit „Winter“ (einem bärtigen Mann, der von einem anderen Mann im Mönchsgewand an der Schulter gehalten wird, beide sind von fächerartigen weißen Blüten oder stilisierten Schneeflocken umgeben) zum Zyklus „Die vier Jahreszeiten“ gehört. Auf einem anderen Bild wird ein Kind von einer Frau mit goldenen Strahlen übergossen, die Wasser andeuten. Rote Spiralwirbel bilden sich im Hintergrund als wären sie Pflanzen. Auf einem anderen Bild, das ebenfalls zum Zyklus „Das Bad als Jungbrunnen“ gehört, wird ein liegender muskulöser Mann mit fliederfarbenem Hüfttuch von einem anderen Mann mit einem goldenen Füllhorn voller Früchte übergossen. Die Bilder lassen den bräunlich grau geklinkerten Raum sakral wirken, und in dieser neuen Situation, aus dem Wellness-Alltag in die Kunstbetrachtung hineingeführt, erinnerten sie uns daran, wie schwierig es geworden ist, künstlerisch eine ähnliche Imagination von Üppigkeit zu erreichen. Bilder von Fülle und Sinnlichkeit werden in der aktuellen Kultur vorwiegend vom Kitsch oder der Werbeindustrie okkupiert. Im Ruheraum des Saunabetriebs hat Roseline nichts verändert, er ist mit Raumteilern aus lackiertem Furnierholz, Stahlröhren und orangefarbenem Markisenstoff möbliert, einer Bistrotheke in Baumarkt-Ästhetik und Liegen auf Drahtgestellen. An den mintgrün gestrichenen Wänden hängen die gewohnten Digitalfotodrucke auf Leinwand mit Motiven von Gräsern im Sonnenuntergang und einer aufs Meer hinausführenden Holzbrücke. Zeitgenössische bildende Kunst kann sich nur noch negativer, kritischer oder ironischer Methoden bedienen, um als solche in einem bürokratisch gewordenen Kunstsystem als ernstzunehmend bewertet zu werden. Mit der Bezugnahme auf die Glasfenster und das in der Emailankündigung verschickte „Anthropophagische Manifest“ des brasilianischen Schriftstellers Oswald de Andrade erstellte Roseline für ihre Installation das übliche Netz aus kulturellen Verweisen, das für die dominierende recherchebasierte oder neo-konzeptuelle Kunst notwendig geworden ist. Neben den Liegen, verborgen hinter einem der Raumteiler, begegneten wir einem Kapuzenmann in weißem Frottee – der Komponist Felix Profos – der sphärische, an Meditations-CDs erinnernde Musik auf einem Keyboard spielte. Hinter der Glastür zum zentralen Raum hin hatte Roseline eine große Arbeit aus Silikon („Untitled (Metabolism)“) wie einen Vorhang angebracht, den man beim Hereintreten beiseite schieben musste. Die Arbeit erinnerte an ein Bild von Rothko, auf einem in Blau und Rot geteilten Hintergrund breitete sich ein riesiger brauner Fleck mit Reliefs von Riffelblech-Mustern aus. In der feuchten, warmen Umgebung begann das Material einen unangenehmen chemischen Geruch zu verbreiten. Wir begannen mit den Saunagängen. Die meisten der Frauen waren um die 40 und Bekannte und Kolleginnen aus dem Kunstbereich. Entspannungsarbeit war nun unumgänglich. Gesprächslockerheit, freundliches Networking, sich gut präsentieren mit all den erfolgreichen und scheiternden Projekten, Erregung unterdrücken, zur inneren Reinigung aus allen Poren ordentlich schwitzen. Dann in den Eispool springen. Auf der Bahre liegend dem Meeresrauschen mit Meta-Bedeutung zuhören. Zwischen Alles-super-Finden und genauer Beobachtung pendeln. Mehr Wahrnehmung, mehr Details, größere Zusammenhänge, alles gleichzeitig. Vor diesen Tätigkeiten flüchtete ich mich normalerweise genau in diese Sauna. Die Vernissage fand ihren Weg dorthin, wo sonst Fremde nackt, demokratisch und im Geist still einen körperlichen Extremzustand genossen. Es war zu erwarten, dass mit uns Besucherinnen auch etwas Außergewöhnliches passieren sollte. Die Kunst will raumgreifen, die Erfahrung, das Wissen, die Körperzustände wollen erkundet und erlernt und ihr Potenzial, ihre höchstmögliche Intensität, ihre Bestimmung will erreicht werden. Ein Gespräch während eines Schwitzgangs drehte sich ums Gebären, ein paar der Besucherinnen hatten gerade Kinder bekommen. Eine erzählte, wie die Mütter auf der Gebärstation ihre Erlebnisse verglichen, dass es bei manchen viel sanfter, viel kürzer, unkomplizierter verlief und dass man sich sofort schlecht fühlte, wenn’s bei einem selbst Komplikationen und Schmerzen gab. Selbst bei den Presswehen wird noch Konkurrenzdenken betrieben, sagte eine ihrer Freundinnen. Naja, die andere, je mehr man leidet, desto enger soll ja die Bindung zum Kind sein.
Draußen im Raum mit den Pechstein-Fenstern präsentierte Roseline neben dem kleinen Tauchbecken aus Edelstahl nach und nach einzelne Arbeiten. Auf den Beckenrand legte sie ein Grabbouquet aus künstlichen Blumen, braunen Silikonhäufchen mit eingegossenen Pflanzen- und Wurzelteilen, einem gelben Gummihandschuh und einem weißen Styroporherz, das ich zuerst für ein herzförmiges Vollkornbrot mit Fetakäsescheibe hielt, „Vanitas Canapé I (My Studio is in Front of a Cemetery)“. In kleinen Häppchen wurden barocke, ein wenig an benjaminsche Allegorien erinnernde Assoziationen an Tod, Ekel und Verfall kredenzt. Im Dampfbad-Raum waren transparente Arbeiten, in Epoxitharz gegossene Silikonkleckse in hautartigen Farbtönen, aufgestellt, die an innere Organe, zerquetschte Quallen oder Kaulquappen erinnerten. Wir holten sie raus und schauten sie im Licht an, man musste an die eingefrorenen Föten denken, die gerade als Aufreger durch die Medien gehen, die neue Mode des Social-Freezing. Weil es eine Debatte gab, die ein Kind mit dem Verlust der Karrierechancen in Verbindung brachte, ließen berufstätige Frauen im Silicon Valley fruchtbare Eizellen einfrieren, bis sie die Zeit haben würden, sie wieder aufzutauen und befruchten zu lassen. Das Leben war eine Timeline. Negativbilder des Klonens und der zeitoptimierten Menschenproduktion wurden in den Berichten und Artikeln wachgerufen, sowie der von der Reproduktionsmedizin gesponserte Diskurs ihrer Verharmlosung und Normalisierung. Diese Vorstellungen passten gut ins Dampfbad – in Kunstharz gegossen und mit lustvollem Ekel und bösem Humor an die Wand gehängt. Harz klang fast wie Herz, das jemandem tiefgekühlt, plastiniert und im Querschnitt geöffnet in Gunther von Hagens Labor abhanden gekommen war. Wie mehrmals durch das Mikroskop der Metareflexion vergrößert, waren hier die Objekte des weiblichen Sich-schlecht-Fühlens ausgestellt, das mit dem Essen und dem Körper zu tun haben soll. Irgendwer schien zu erwarten, dass Künstlerinnen solche Themen bearbeiten, und in der „Doom Spa“ wurden die falschen Erwartungen erstmal erfüllt. Doch das freudmäßig stereotype Verdrängte schlug bei Roseline Rannoch bewusst und grotesk zurück – die dunkle Unterseite der Leistungsbeschleunigungsgesellschaft ließ sich fruchtbar wie Eizellen aus den Eierstöcken pressen. Im Ruheraum stand ein größeres Tablett mit den Früchten, die die Gäste mitgebracht hatten. Ich griff in eine Tüte voller Süßigkeiten und zog ein braunes Fruchtgummitier heraus, igitt, eine handtellergroße Spinne. Wieder reinstopfen ging nicht, ich musste sie aufessen. Schmeiß sie ins Wasser, meinte jemand, nein, irgendein dunkler Impuls zwang mich dazu, sie tatsächlich zu essen. Der Zuckerflash zog mir von innen jede Flüssigkeit aus dem Körper. Neben dem Becken präsentierte Roseline noch ein paar Arbeiten mehr. Eine transparente Silikonscheibe schwamm im Wasser: eine vergrößerte Kontaktlinse mit eingegossenen echten Kontaktlinsen und dem Relief eines Mundes, auf dem eine Fliege saß. Ein großer runder Silikonteppich mit bräunlichen bis rötlichen Farbformen, die an den Querschnitt einer Blutwurstscheibe erinnerten, oder den einer Vene, in der die Plasmateilchen schwimmen: „Vanitas Canapé III (The Fountain of Bloody Youth)“wurde auf dem nassen Boden ausgebreitet. Es gefiel mir gut. Trotz der Erhitzung passierte auf der Erlebnisebene neben den gewohnten sozialen Verkümmerungen nichts besonderes mit uns Besucherinnen. Am Ende waren wir aufgeweicht und müde. Das Wohlfühlen lief einer kritischen Haltung entgegen. Soviel Verdrängtes blieb auch weiterhin verdrängt, Freud hätte sich amüsiert, der Sex sowieso, der Leerlauf und Wiederholungszwang der zeitgenössischen Kunstproduktion, und überhaupt die zum Körper- und Wahrnehmungstraining mutierte Lebendigkeit. Und irgendwann würde alles auftauen und metabolisch zurückschlagen.