Julia Oschatz

Gemäldegalerie

2015:Mai // Anne Marie Freybourg

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05-2015

Grafisches Grübeln über Bruegel

„Wer Feuer frisst, scheißt Funken.“ Dieses Sprichwort charakterisiert das Tun der Künstlerin Julia Oschatz sehr gut. Sie bringt in ihrer Kunst mühelos Zeichnung, Malerei, Bühnenbild, Installation und Videoperformance zusammen. Ausgehend von der Zeichnung entfaltet sich wie selbstverständlich ein historisch breitgefasstes Cross-over der Medien, das in der Gegenwartskunst selten ist. Zudem markiert Julia Oschatz in ihrer Kunst gerne den Narren. Auch das eine unter Gegenwartskünstlern selten gewordene Rolle. Der Trend geht eher zum Auftritt als Rebell oder Pop-Star. Bei einer solchen ungewöhnlichen und mutigen künstlerischen Position kann man nur sagen: Wer Feuer frisst, weiß, dass er Funken scheißen wird.
Auf gut Deutsch oder wie Angelsachsen denken: no guts, no glory. Es ist ein sehr altes Sprichwort, dass Julia Oschatz in ihrer Ausstellung anlässlich der Verleihung des Hannah-Höch-Förderpreises des Landes Berlin aufgegriffen hat. Dieses Jahr wurden die Ausstellungen der Hanna-Höch-Preisträgerin Nanne Meyer und der Förderpreisträgerin Julia Oschatz vom Kupferstichkabinett ausgerichtet. Bemerkenswert ist, dass die Jury bei der Vergabe des Förderpreises über den Deich der klassischen Zeichnung geblickt hat und einstimmig für die Cross-over-Künstlerin Oschatz gestimmt hat.
Gleichsam als Dank hat Oschatz dem Kupferstichkabinett eine herausfordernde und famos verrückte Ausstellung inszeniert. Sie hat sich in die benachbarte Gemäldegalerie begeben und mitten zwischen den Highlights der Kunst einen Kabinettraum als Inszenierungsort gewählt. Aus billiger Pappe hat sie dort einen verwinkelten, ausgreifenden Raumteiler eingebaut, Videomonitore installiert, einige Ölbilder hineingestellt und in die umlaufenden Vitrinen, wie improvisiert, Papierarbeiten gestellt. Sie zeigt aber nicht nur ihre Zeichnungen, Monotypien und Radierungen, sondern hat sich aus den wunderbaren Beständen des Kupferstichkabinetts einige alte niederländische Druckgrafiken geholt und wie selbstverständlich dazu arrangiert. Unter dem Titel „grueBel“ ist so eine die Kunstgeschichte mit frechem Ausfallschritt durchquerende Installation entstanden.
Der Schlüssel zum Verständnis dieser gesamtkunstwerklichen Arbeit liegt in der räumlichen Nachbarschaft dieses Kabinettes. Das Konzept, das die verschiedenen Einzelstücke, Zeichnungen, Videoperformances und Malereien ­zusammenführt, ist, dass sie alle Bezug nehmen auf das im benachbarten Raum 7 der Gemäldegalerie befindliche Meisterwerk „Die niederländischen Sprichwörter“ (1559) von Pieter Bruegel. Das eingangs erwähnte, in unseren heutigen Ohren verrückt klingende Sprichwort und noch einige andere hat Oschatz ihren Bildwerken zugrunde gelegt.
Bruegel hat fast 120 Sprichwörter, die damals sehr bekannt waren, in seinem Bild versammelt. Weil Bruegel die Sprichwörter nicht metaphorisch nimmt, sondern sie wörtlich nehmend illustriert, brauchen wir heute eine Liste der dargestellten Sprichwörter samt einer Erläuterung ihrer Bedeutungen, um seine Bildfindungen zu verstehen. Aber auch die in den Sprichwörtern aufgezeigten Laster sind uns nicht mehr vertraut. Bruegels Bild ist eine große Darstellung der Schwäche des Menschen und seines vergeblichen Bemühens, sich durch Sprichwörter für den rechten Weg zu ermahnen. Man fragt sich: Ist das Bild spöttisch oder ist es melancholisch?
Gerade diese Ambivalenz muss für Oschatz sehr reizvoll gewesen sein, denn sie, als eine Künstlerin, die sich lieber als Narr denn als Moralistin versteht, sucht die Zwiespältigkeiten unseres heutigen Alltagsleben. In Hommage an den Altniederländer hat sie ihre Ausstellung auch „grueBel“ betitelt. Oschatz ist schon seit Langem von den bildlichen Absurditäten und Verrücktheiten, die Bruegel als bildliche Übersetzungen der Sprichwörter erfunden hat, begeistert. Sie hat nun Bruegels Bildmethode zur Darstellung der Sprichwörter adaptiert, hat seine Bildfindungen wiederum ganz wörtlich genommen und in eine heutige Bildsprache übersetzt. Aber Oschatz sucht auch die Widersprüche, die in unserem heutigen Bildverständnis stecken, in unserem nach wie vor ungebrochenen Vertrauen ins Bild.
Ihren Arbeiten ist deshalb eine Doppelbödigkeit eigen, die nicht nur aus dem dargestellten Absurden kommt, ­sondern auch aus der Nachdenklichkeit, wie denn Kritik an den menschlichen Verhältnissen in Kunst überhaupt ausgedrückt und transportiert werden kann. Mit dem Titel „grueBel“ schließt sich der Kreis zu der Rolle des Narren, die Oschatz vor allem in ihren Videoperformances ausführt. Hier werden mit Witz und Genuss die Absurditäten menschlichen Bemühens vorgeführt. Das Scheitern wird nicht als zu verachtende, sondern als geradezu großartige Chance menschlichen Tuns gefeiert. Mit dieser Haltung steht Oschatz in einer ­dadaistisch-fluxuriösen Tradition, die in Form von Narretei und Dilettantismus das Scheitern gezielt als anti-akademische Strategie in ihre Kunst eingebaut hat.

Julia Oschatz „grueBel“, Gemäldegalerie, Matthäikirchplatz,

10785 Berlin, 21.11.2014–22.02.2015


Eine Ausstellung des Kupferstichkabinetts im Kabinett in der Gemäldegalerie.
Julia Oschatz, Videostill aus dem Film: „Erschuttet die federn in den wind“, 2014, Courtesy Galerie Mikael Andersen