WEST:BERLIN

Ephraim Palais

2015:Mai // Duc Quang Nguyen und Peter Sörries

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05-2015

Multiperspektivisch oder multisubjektiv?

Anlässlich des 25. Jahrestags des Mauerfalls präsentiert das Stadtmuseum Berlin im Ephraim-Palais, wie im Ausstellungsflyer beworben, eine „multiperspektivische Schau“ auf ein vergangenes West-Berlin. Die Kuratoren Julia M. Novak und Thomas Beutelschmidt laden die Besucher dazu ein, sich auf die „Spurensuche“ nach der Geschichte dieser „Insel“ zu begeben.
Wir folgten dieser Aufforderung, ohne uns vorab informiert zu haben, und erkundeten die laut Tagesspiegelrezension von Christian Schröder versammelten „640 Exponate“ basierend auf den vier Hauptthemen Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur, verteilt auf „zwanzig Räume“ und drei Stockwerke. Auf einem nicht festgelegten Weg besichtigten wir die unterschiedlich verteilten Objekte, Installationen, Bilder sowie Film- und Hörbeispiele mit den jeweiligen Erläuterungstexten.
Einerseits beeindruckt von der Masse an Informationen und Ausstellungsobjekten waren wir anderseits überfordert mit der Raumaufteilung und der Anordnung der Exponate. Durch die Menge an Informationen und der visuellen Eindrücke kam bei uns schnell das Gefühl auf, verloren zu sein. Aus allen Richtungen der jeweiligen Räume kamen immer mehr Impressionen, sodass wir uns letztlich etwas erschlagen fühlten. Unter diesem Aspekt trifft der häufig verwendete Begriff „Spurensuche“ die Ausstellungsgestaltung ziemlich gut.
Aus dieser Erfahrung heraus stellten wir uns später die Frage, wie wir WEST:BERLIN empfunden hätten, wenn wir uns vor dem Ausstellungsbesuch mithilfe von Flyern, Zeitungs- und Onlineartikeln informiert hätten? Hätten sich unsere Erwartungen erfüllt? Deckt sich die tatsächliche Ausstellung mit dem Internetauftritt, dem herausgegebenen Werbematerial und wie reagiert die Presse auf WEST:BERLIN?

Zu Beginn unserer Recherche widmeten wir uns der Website „west.berlin“:
Beginnend mit Informationen zur eigentlichen Ausstellung und aktuellen Veranstaltungen lädt die ansprechend gestaltete Homepage zum Besuch von WEST:BERLIN ein. Darüber hinaus bietet die Website Besuchern die Möglichkeit alte Erinnerungsfotos aus der damaligen Zeit auf der Plattform zu teilen und präsentiert unter dem Reiter „Die Insel“ weitere geschichtsträchtige Orte, die sowohl real, im heutigen Berlin, als auch über die Ausstellung entdeckt werden können.
Zur Ausstellung WEST:BERLIN ist außerdem ein ausführliches und klar gegliedertes Booklet mit Erläuterungen zu den jeweiligen Schwerpunkten und passend ausgewählten Bildern erhältlich (im Eintrittspreis enthalten, sonst vier Euro), sowie ein Flyer, der einen kurzen informativen Einblick bietet.
Tatsächlich ist das Spektrum an Themen innerhalb der Ausstellung immens, auch wenn man sagen muss, dass die Darstellung dieser nicht annähernd so überschaubar ist wie in der bereits erwähnten Buchbroschüre.
Zudem ist auch die Intensität, mit der die Themen im Buch und in der Ausstellung selbst behandelt werden unterschiedlich. Im Gedruckten wird den einzelnen Bereichen und deren Unterkategorien fast nahezu gleich viel Text gewidmet, wohingegen in der Ausstellung beispielsweise das Unterthema Homosexualität im Raum „Alternative und Autonome“ fast übersehen und leider nur angeschnitten wird.
Wirft man nun einen Blick auf die Presseartikel, fällt auf, dass die Reaktionen überwiegend positiv ausfallen, wobei zwischen den Zeilen auch Kritik wahrnehmbar ist.
Beispielsweise bemängelt Jens Bisky am 14. November auf Süddeutsche.de, dass man sich „gegen eine chronologische Anordnung“ entschieden hat und titelt in der dazugehörigen Unterüberschrift „Veränderungen der Atmosphäre werden nicht recht deutlich“. Dennoch vermutet er die Entscheidung für eine solche unterteilte und nicht schlüssige Ausstellungsstruktur in der damaligen Gesamtsituation der auf sich gestellten und abgetrennten Insel West-Berlin.
In Bezug auf die zahlreichen Exponate teilen wir zum einen die Meinung der Autoren auf Tagesspiegel.de und zum anderen auf Qiez.de. Ersterer spricht bei einem solchem Überangebot eher von einer möglichen „Erschöpfung“ als von einer eintretenden „Erkenntnis“.
Eve-Catherine Trieba auf Qiez.de lobt zwar die variationsreiche Ausstellung, vermisst aber den unzensierten Blick hinter die Kulissen des vergangenen West-Berlins und gibt trotz des Einsatzes von interaktiven Medien klar zu verstehen: „Wahnsinnig spektakulär ist das Ganze nicht.“
Abschließend kann man „WEST:BERLIN – Eine Insel auf der Suche nach Festland“ als eine abwechslungsreiche und vielschichtige Ausstellung bezeichnen, die zumindest weder durch das Werbematerial des Stadtmuseums Berlin noch durch diverse Presseartikel an Sympathie verloren hat.
Weiterhin problematisch aber werden die abrupten und nicht eindeutig nachzuvollziehenden Themenwechsel zwischen den einzelnen Räumen und Etagen bleiben. Gerade für Besucher, die durch das klar strukturierte Ausstellungsheft einen ersten positiven Vorgeschmack erhalten haben, könnte die Verwunderung über die eigenwillige Gliederung und Visualisierung sowie die teilweise versteckten Erläuterungen der Objekte von WEST:BERLIN groß sein.
Zudem fanden wir es als Studenten der Kunsthochschule Berlin-Weißensee schade, dass einzelne Objekte der Gestaltung und der Bildenden Kunst oftmals nur als beispielhafte Veranschaulichung jener Zeit dienen und daher eher oberflächlich behandelt werden.
Demnach hatten wir beim Verlassen der Ausstellung den Eindruck, dass die Inszenierung der Insel WEST:BERLIN lediglich für damalige Zeitzeugen nachzuvollziehen ist und dass das Gefühl und Verständnis der alten Tage nicht unbedingt für „Außenstehende“ in die Gegenwart transportiert werden kann. So kann man zwar Teil der Insulaner sein, wird aber Schwierigkeiten haben, die Atmosphäre WEST:BERLIN nachempfinden zu können.


Quellen:
– Flyer und Booklet zur Ausstellung, Berlin 2014
– Website der Ausstellung: west.berlin/die-ausstellung (Stand: 16.02.2015)
– Bisky, Jens: „Freiheit in geschlossener Gesellschaft“, in: SUEDDEUTSCHE.DE, 19.11.2014, http://www.sueddeutsche.de/kultur/ausstellung-westberlin-ganz-koestlich-amuesiert-1.2225784 (Stand: 16.02.2015)
– Schroeder, Christian: „Die Bäreninsel“, in: TAGESSPIEGEL.DE, 16.11.2014, http://www.tagesspiegel.de/kultur/ausstellung-west-berlin-im-ephraim-palais-die-baereninsel/10985378.html (Stand: 16.02.2015)
– Trieba, Eve-Catherine: „Schluss mit Ostalgie – jetzt wird’s westalgisch“, in: QIEZ.DE, 14.11.2014, http://www.qiez.de/mitte/kultur/ausstellungen/besuch-der-neuen-ausstellung-westberlin-im-nikolaiviertel/168567923 (Stand: 16.02.2015)


Anzeige des Merian-Reisemagazin im Jahr 1970, Leitmotiv für die Ausstellung „west:berlin“, Courtesy Stadtmuseum Berlin