WEST:BERLIN

Ephraim Palais

2015:Mai // Flavia Stagi

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05-2015

Ein Keil im Roten Meer

Direkt an der Spree im Nikolaiviertel im ehemaligen ­Osten findet die Ausstellung statt. Eine relevante Rolle spielt die Auswahl des Ephraim-Palais als Location: ein Rokoko-Gebäude, das in den 1980er-Jahren rekonstruiert wurde, ursprünglich unter Friedrich II. als Symbol des monarchischen Deutschlands erbaut. Man fragt sich gleich: Was bedeutet dieses Gebäude im Kontext der Ausstellung? Welches sind die Beziehungen zwischen dem Gebäude und dem Inhalt der Schau? Außer der Tatsache, dass Fassadenteile des Palais nach dessen Abriss 1935 im ehemaligen Westberlin gelagert und renoviert wurden, um dann eben in den 1980er-Jahren wieder aufgebaut zu werden.
Der erste Eindruck beim Eintreten des pompösen Palais ist für mich – auf die Bedeutung der Ausstellung bezogen – zwiespältig, ambivalent.
Im Atrium mit der großen Schneckentreppe steht das Westberliner Auto, neu, als wäre es frisch gekauft: ein „Amphicar“ aus dem Jahr 1961, wie eingeschrieben in diesen im Verhältnis zum Objekt recht kleinen Raum. Dahinter eine Karte von Berlin und Umgebung: Westberlin ist ­rausgeschnitten, ein weißes Loch. Die enge Komposition ruft ein Gefühl von Klaustrophobie hervor, verstärkt durch die voluminöse Treppe, die zu den zwei großen Ausstellungs-Etagen führt.
Die ausgestellten Objekte sind durch Linien und in genau abgetrennte Felder geordnet. Diese Raumgestaltung verweist auf die Trennungen und die parallelen Realitäten, die sich im damaligen Westberlin zeigten.
Zu sehen ist eine reiche, reportageartige Sammlung, die versucht, nicht eindeutig zu sein: Jeder Raum hat seinen Titel, der jedoch nicht auf einen Begriff begrenzt ist – es gibt Wortspiele, die alleine schon nachdenken lassen, zum Beispiel: „Befreier–Besatzer–Beschützer“.

Beim Durchschreiten der Räume wird klar, dass das getrennte Berlin nicht in zwei Teile geteilt war, sondern in vier: einen amerikanischen, einen französischen, einen britischen und einen sowjetischen. Die ersten drei waren als Alliierte zusammengefasst Westberlin, jedoch merkt man, dass jeder Stadtteil seine eigene Kultur und gesellschaftliche Struktur hatte.
Trennungs- und Warn-Schilder waren überall um die Sowjetische Zone herum zu erkennen, aber auch im Westteil wurden sie häufig benutzt, um die verschiedenen Gebiete zu kennzeichnen. Es gab drei Luftkorridore und drei Fluggesellschaften, die Westberlin anfliegen durften (Pan Am, British Airways und Air France); jede Zone hatte ihre eigenen Hilfsorganisationen etc.: gemeinsam gegen die Sowjetunion, aber trotzdem auch getrennt.
Hätte Westberlin nur zu einer der Besatzungsmächte gehört, hätte sich vermutlich eine einheitlichere, mehr von dogmatischen Werten beherrschte Gesellschaft entwickelt.
Die Ausstellung zeigt die Präsenz, das Zusammenleben und die Konkurrenz der drei verschiedenen Kulturen und Mächten, aber auch die Lust der Westberliner, in dieser isolierten Stadt Leben aufzubauen. Und dass dieser Zustand es erst ermöglicht hat, dass sich dort so viel Kunst, Kultur und auch unterschiedliche Lebensentwürfe entwickeln konnten. Um die Leute nach Berlin zu locken, zeigte man eine moderne, aufgeschlossene, kulturendurchmischte Stadt.
Dazu beigetragen hat vermutlich auch, dass die Autoritäten besonders tolerant waren, weil sie sich der besonderen Situation der in der Stadt eingeschlossenen Bürger bewusst waren.
So kann man sich zum Beispiel erklären, dass sich in Westberlin das „Nightlife“ in ausgeprägter Form entwickelt hat, dass sich „Underground“-Szenen verbreiteten, die versuchten, einem neuen Lebensmodell zu folgen: man denke an die Hausbesetzer-Szene, die ganze Bezirke vor den großen spekulativen Aufbauprogrammen zu verteidigen suchte. Es war den Führungskräften bestimmt bewusst, dass Westberlin von der ganzen Welt als Sonderfall gesehen wurde.
Berlin war Schaubühne der drei großen Blöcke: Europa, Amerika und Sowjetunion.
Eine in sich eingeschlossene Insel von Freiheiten und Kontradiktionen: da war einerseits viel freier Raum für antikonventionale Bewegungen wie „Freie Presse“, eine „Freie Universität“ und Kunstexperimente aller Art. Andererseits waren auch die großen Lobbys sehr präsent, zu denen eine konsumistische Lebenskonzeption gehört. Trotz der vielen Schwierigkeiten wuchs Westberlin in allen Bereichen in diesen Jahren, gefördert von internationalen Stiftungen und großen Firmen.
Was in der Ausstellung nicht besonders deutlich gezeigt wird, ist die enge Beziehung, die Westberlin mit Ostberlin hatte.
Die Stadt neu aufzubauen war das Hauptziel, besonders auch als Antwort auf die urbanistischen Pläne der DDR. Die neuen Baupläne Westberlins waren Ausdruck der in der Stadt wachsenden westlichen Mächte. Es kam zu einem „Wettbewerb“ zwischen den beiden Teilen. Man musste sich gegenseitig übertreffen beim Aufbau einer von neuen Werten geprägten Stadt.
Beim Verlassen der Ausstellung fällt mir wieder der Titel auf … Westberlin eine Insel (im Roten Meer?), auf der Suche nach Festland. So wie die Dinge standen, hat diese Insel nie nach Festland gesucht. Sie hat viel eher als Schaubühne westlichen Lebens gedient, supersubventioniert und unterstützt von den westlichen Großmächten – ein Keil im Roten Meer.
Die Ausstellung verdeutlicht, dass Berlin Zentrum der internationalen Spannungen war: der Standort von zwei kämpfenden Giganten: Ostkultur und Westkultur.
Dieser nahe, aber indirekte Kampf hat aus Berlin gemacht, was es heute noch ist. Berlin ist nicht Deutschland, sagt man bis heute … Damals hat das angefangen.
Das Ephraim-Palais als Location für die Ausstellung hat mir nicht gefallen: die pompöse Architektur passt zwar zu dem mondänen Night- und Fashion-Life des damaligen Berlins. Sie ist aber für die anderen Themen („Studieren–Protestieren–Rebellieren“, Hausbesetzungen, Kunst …) nicht passend. Ich hätte einen eher anonymen Raum bevorzugt, in dem jedes Thema unterschiedlich gestaltet wird.
Außerdem habe ich mich gefragt, warum man dieses ganze Material genau jetzt und hier zusammengefügt hat. Und wieso Westberlin alleine? Wieso als Insel der Freiheiten? Hat man sich mit dem östlichen Stadtteil auch so ausführlich auseinder­gesetzt?
Und wieso wird beim Betrachten der Ausstellung nicht klar, warum man wieder nur von Westberlin spricht, da doch heute Ost- und Westberlin ein Ganzes sind, sein sollen? Welche Bedeutung hat diese Ausstellung im Kontext von heute? Was könnte sie symbolisieren?

Quellen:
– Booklet „WEST:BERLIN – Eine Insel auf der Suche nach Festland“,
hrsg. von Franziska Nentwig und Dominik Bartmann, Berlin 2014
– http://west.berlin/die-ausstellung
– http://west.berlin/antworten-der-kuratoren
– http://de.wikipedia.org/wiki/Ephraim-Palais
– http://www.feuchtwanger.de/index.php?id=thomas-beutelschmidt
- http://www.jmnovak.de/copyright.html
Ludwig Menkhoff „Punks an der Ecke Eisenbahnstraße, Muskauer Straße“ © Verlag M – Stadtmuseum Berlin GmbH