DIS

Ein fiktives Gespräch über den Begriff Post-Internet

2015:Mai // Stephanie Kloss

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05-2015

Is Dis So Over?

Jörg Heiser  /  Aber zunächst einmal: Was bitte ist „Post-Internet-Art“? Wie sieht das aus? Wie fühlt sich das an? Ich sag mal: Große Rindfleischstücke, mittels 3D-Scan aus veronesischem Marmor gefräst, drapiert auf Aluminiumrampen. Von Hitze verformte Wasserflaschen, wie edle Handtaschen auf einem Leuchttisch drapiert. Videobilder von vollgekotzten Computertastaturen – Schnitt – dann ein Typ im Ganzkörper-Fuchskostüm nebst Sadomaso-Lederriemen, der auf einem Sitzball hüpft.
Katja Novitskova  /  Ey, dieser Begriff, ich kann es nicht mehr hören, nenn es bitte „Real Contemporary“!
Carson Chan  /  Können wir das nicht „Internet State of Mind“, also einen internetgeprägten Geisteszustand nennen?
Kito Nedo  /  Post-Internet ist eine Haltung und kein Stil.
Sascha Kösch  /  Ehrlich gesagt: Ich finde [den Begriff] blöd. „Nach dem Internet“ werden wir nicht mehr erleben. Das Netz geht nicht weg.
Marisa Olson  /  „Post“ bedeutet hier nicht „schon vorbei“, sondern wird im Sinne von „längst Alltag geworden“ benutzt.

Jan Kedves  
/  Beim Post-Internet (ähnlich übrigens wie beim Begriff der Postmoderne) geht es nicht um ein „danach”, sondern vielmehr um eine Omnipräsenz, der man nicht entgehen, sondern die man nur bejahen kann.
Christa Benzer  /  Eine exakte Definition ist bis dato zwar ausständig; von der Netzkunst der Nullerjahre hebt man sich aber schon deswegen ab, weil man post-internet auch den Realraum erobert hat.
bianca, 2011a  /  Der zweite Frühling der Netzkunst!
Katja Novitskova  /  Diese jungen Künstler, die sich langsam unter dem Banner einer „Neuen Netzkunst“ sammeln und aus gutem Grund schon wieder gar nichts mehr damit zu tun haben wollen, sie sind nicht nur postideologisch oder postironisch, sondern in gewissem Sinne – nämlich dem, dass das Netz als Bezugsrahmen tatsächlich nicht mehr der Rede wert ist – auch „post-internet“
Ben Kaden  /  Was Katja für den Kunstbetrieb proklamiert, nämlich den Wegfall des Internets als Referenzpunkt, gilt dann auch für das Leben an sich, ein Indikator für ein entsprechendes Verschmelzen von Kunst und Leben.
Ryan Trecartin  /  The real Internet is inside you.
Lauren Cornell   /  Eine Welt, in der die Auswirkungen der Technologie und des Spätkapitalismus von unseren Körpern absorbiert worden sind und unsere Wahrnehmung verändert haben.
Sascha Kösch  /  Selbstverständlichkeit macht Dinge nicht automatisch besser. Nur weil man ständig von etwas umgeben ist, heißt das nicht, dass man nicht darüber nachdenken oder ein Quäntchen Kritik dafür übrig haben sollte. Mir ist klar, dass gerade das rein Affirmative, Unkritische die Post-Internet-Kunst interessant machen soll. Aber dieses bunte Nebeneinander von lustigen Logos…Kann diesen Leuten mal jemand erzählen, wie gut Daniel Pflumm mit Logos umgehen konnte?!
Sebastian Frenzl  /  Lauren Cornell spricht von einer neuen „Elastizität“ des Werkbegriffs, in der Malerei aus 3-D-Modellen entstehe, digitale Fotografie zur Skulptur werde, Text in Bild oder Sound in Performance übergehe: Die Genregrenzen werden durchlässiger und mit ihnen die Unterscheidungen zwischen Industrieprodukten und dem, was man einmal als autonomes Kunstwerk bezeichnete.
Kolja Reichert  /  Die Kunstgeschichte ist hier nichts mehr, vor dem man sich andächtig verbeugen müsste, sondern eine Abfolge witziger Klischees.
Kerstin Stakemeier  /  Im Gegensatz zur sogenannten Post-Internet Art könnte man hier eher von einer „Post-Digital-Art“reden, die sich durch ein prothetisches Materialverständnis auszeichnet, aus dem ersichtlich wird, dass das Digitale als gesamtgesellschaftliches Produktionsparadigma bereits in seine erste Krise geraten ist.
Boris Pofalla  /  Trotzdem: Dein Computer kann eine Waffe sein, auch wenn du gar nicht hacken kannst.
Nikola Kuhn  /  Nur so viel ist gewiss: Wir sind angekommen in einer neuen Epoche. Der Künstler schafft sein trauriges Alter Ego als computeranimiertes Wesen, das schwermütig über den Zustand der Welt räsoniert.
Atkins Avatar  /  Und das Ganze ist eigentlich ein Zugeständnis. Ein Kompromiss, ein Ersatz dafür, etwas beschissen Echtes zu erleben.
DIS  /  Post-Internet ist doch Vergangenheit, das ist ja schon wieder Jahre her. Früher war vielleicht auch klarer, was das bedeuten könnte. Heute ist es eine Marketingfloskel ohne jeden Inhalt. Solche Begrifflichkeiten interessieren uns im Moment generell nicht. Damit sind Erwartungen verbunden, sich in einer gewissen Art und Weise zu verhalten. Diesen Druck brauchen wir nicht.
Andreas Schlaegel  /  Hey, Mama, we’re all post-internet now!
Zusammengestellt von Stephanie Kloss


Quellen
Jörg Heiser: Die Kunst der digitalen Eingeborenen, Deutschlandfunk ­ESSAY UND DISKURS, Beitrag Januar 2015; Katja Novitskova: Für eine Handvoll JPGs. De:Bug / de-bug.de, April 2011; Carson Chan: Post-internet Curating, Denver Style: An Interview with Carson Chan von Karen Archey, Rhizome Juli 2013; Kito Nedo: Furchtlos im Datensturm, zeit online, erschienen in Weltkunst, April 2015; Sascha Kösch: Jan Kedves, ­Sascha Kösch: Unplugged. Interview. FRIEZE d/e, No.14, Mai 2014; Marisa ­Olson: in We make money not art.com. Interview mit Marisa Olson, März 2008; Jan Kedves: Jan Kedves, Sascha Kösch: Unplugged. Interview.
FRIEZE d/e, No.14, Mai 2014; Christa Benzer: Post-Internet-Art, Ebay und gerötete Wangen, Der Standard, Februar 2015; bianca (2011a): Netzkunst-Neutod. Oder: Der Netzkunst zweiter Frühling. De:Bug / de-bug.de, April 2011; Ben Kaden: Konzepte für den Gegenwartsdiskurs. Heute: Post-Internet.in www.libreas.eu, Mai 2014; Ryan Trecartin: The white review, 2012; Lauren Cornell: Pressetext, New Museum-Triennale in New York, 2015; Sebastian Frenzl: Alles eins? Interpol, Monopol Februar 2015; Kolja Reichert: Live aus dem Studio, Welt am Sonntag, Januar 2015; ­Kerstin Stakemeier: Prothetische Produktionen. Die Kunst Digitaler Körper über „Speculations on Anonymous Materials“ im Fridericianum, Kassel, Texte zur Kunst Nr. 93, 2014; Boris Pofalla: Künstler, die uns aufgefallen sind, Monopol Nr.5, 2014; Nikola Kuhn: Zuckende Zeichen, Junge Kunst der Post-Internet-Generation; Der Tagesspiegel, Dezember 2014; DIS: roundtable discussion „History in a Time of Hypercirculation“ , Spike Art Quarterly, Berlin Januar 2015; Andreas Schlaegel: Post-Internet Art Criticism, Kunstkritikk, April 2015