Angst-Spezial

Eine Einführung

2015:Mai // Andreas Koch

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05-2015

Angst-Spezial

Tatsächlich habe ich seit Wochen Angst, mit diesem Einleitungstext anzufangen. Zu vage, gleichzeitig zu umfassend, vielleicht allem zu Grunde liegend, ist dieses Gefühl. Wo anfangen? Machen wir das nächste Mal ein Liebe-Spezial, ein Glück-Spezial? Wird „von hundert“ immer mehr zu einem Kunst-und-Therapie-Heft? Alle, denen ich in letzter Zeit von unserer Trilogie Arbeit-Alter-Angst erzählte, bestätigten vor allem bei Angst, was für ein Super-Thema das sei. Ich gab immer zu bedenken, dass es sehr schwer greifbar ist und dann noch im Zusammenhang mit Kunst. War ich zu verliebt in diese Triple-A-Aliteration? Sollten wir jetzt etwa den Munch-Schrei besprechen? Das kitschigste Angst-Motiv der letzten 150 Jahre. Das in unserer Jugend als Ikea-Posterdruck an der Innenseite der Klotür hing.
Schon beim Thema Alter gab es neben viel Lob auch eine starke ablehnende Fraktion. Ihr jammert zuviel, war eine Reaktion. „So was lese ich nicht, das zieht mich total runter“, eine andere.
Das ist das Dilemma, wenn man als Zeitschrift den Anspruch hat, Zusammenhänge zu benennen, die sonst ­verschwiegen werden – oft aus Angst. „von hundert“ versteht sich ja als furchtloses Blatt im von Konventionen und Klüngeln geprägten Kunstbetrieb. Ohne Angst, sich damit den eigenen Ast, auf dem man sitzt, abzusägen. Oder doch mit Angst, aber wir machen es trotzdem. Das Dilemma liegt jedoch genau darin, dass Angstfreiheit sehr viel mit der Fähigkeit zu tun hat, Probleme, Missverhältnisse und Gefahren zu verdrängen. Das ist bis zu einem gewissen Maß sehr gesund, nur so kann man leben, nur so kann man arbeiten und dieser eigentlich schrecklichen Welt etwas Gutes abgewinnen, ihr etwas Eigenes hinzufügen. Ohne Verdrängung würde man in einer dauernden Depression leben.
Wenn wir jedoch aufschreiben, was wir für schlecht erachten, als Kunst- und Lebenskritiker, dann verdrängen wir nicht, dann verbreiten wir auch Angst und bekommen oft selber welche. Dann ist da nicht mehr der sublimierende, der reinigende Kunstgenuss, dann ist da der Abgrund in den wir alle zusammen hinabblicken. Dieser war in der Altersausgabe besonders tief und hier jetzt bei der Angstausgabe landen wir sozusagen in unserem eigentlichen Kerngebiet. Angst ist der Schatten, den unser ganzes Aufklärungsgeleuchte wirft.
Ja, wir müssen sterben, ja, der Kunstbetrieb ist ein neokapitalistischer Sumpf, in dem wir uns prekär, aber freiwillig tummeln. Nein, wir werden nicht mehr reich und berühmt und wenn doch, verteidigen wir dies entgegen all unseren moralischen Vorsätzen.
Dies zu benennen ist zugegebenermaßen etwas redundant. Und heilt eine Therapie, indem wir an die Wurzeln unserer Ängste gehen oder machen wir damit alles nur noch schlimmer? Oder ist nur der eigene Standpunkt wichtig, von dem aus wir die Welt betrachten und nicht die Welt? Also alles schön zudecken, nur coachen, „think positive“ à la américaine, Yoga und Meditation inklusive?
Angst zu haben, ist ein Urzustand. Er schützte uns damals vor Zehntausenden von Jahren davor, von Feinden getötet und gefressen zu werden. Mittlerweile ist es gerade in unserem satten Westeuropa meist absurd, Angst zu haben. Dennoch halten sich zum Beispiel Existenzängste gerade bei zigfach abgesicherten Menschen hartnäckig. Das macht nur noch mehr Stress. Eigentlich müsste es mir doch gut gehen, gerade im Vergleich zu den Millionen von Flüchtlingen, die nur über meinen Plasmafernseher in mein sicheres Eigenheim hineinschauen. Angst hat also nicht unbedingt mit den ­Umständen zu tun, sonst wären Tausende von Therapeuten arbeitslos.
Angst ist das nackte, ungeschützte Gehirn. Es kann nicht mehr verdrängen und abwehren, es schaut in alle Richtungen und Zeiten und sieht dort nur Bedrohliches. Die Zukunft sieht düster aus und von der Vergangenheit pickt es sich die schlechten Momente und Perioden heraus. Die Gegenwart ist ein Graus, obwohl sich an den Umständen hier in Berlin oder Deutschland nichts geändert hat. Es sieht viel präziser und schärfer den Unbill der menschlichen Existenz, die Vergänglichkeit, das Böse und Schlechte.
Dem Hirn fehlt die Watte, in die es sonst gepackt ist, es hat keine Scheuklappen, mit dem es alles Schlechte und Gefährliche ausblendet. Mit denen es vielmehr auf den Moment, das Jetzt fokussiert ist. Das angstlose Ich ist vielleicht das dümmere Ich, das ignorantere Ich, es ist aber auf jeden Fall das glücklichere und meist auch erfolgreichere. Es trampelt sich seinen Weg nach oben, weg von der Angst, die natürlich auch ihm immer im Nacken sitzt.
Auch wir als Gesellschaft gesehen, scheinen reichlich Watte um unser kollektives Bewusstsein gepolstert zu haben. Sonst ist es eigentlich unerklärlich, wie wir zum Beispiel die drohende Klimakatastrophe so gut verdrängen können, die Angst davor in ein paar Hollywoodfilme verpacken und weitermachen wie bisher. Mal eben nach Hongkong fliegen, warum nicht? Gerade die Stars der Kunstszene, die Topgaleristen, -künstler und -sammler sind in einem weltweiten Kunstmarkt auch die Top-Miles-and-More-Sammler, ohne jegliches schlechte Gewissen.
Ein Weg sich vor der Angst zu schützen, ist der Weg der Regeln, der Ordnung, des Nicht-Hinterfragens. Soll ich mich mit mehr Bürgerlichkeit, Eigentum und Selbstinstitutionalisierung wappnen? Von der Redaktions-/Museums-/Galerie-/Atelierarbeit im SUV zur Waldorf-Kita, dann ins Baugruppen-Heim, den guten Wein aufmachend, auf Facebook all die anderen „guten“ Leben meiner Mitmenschen verfolgen, wie sie in den hippen Lokalen den neuesten Foodie-Trend posten. Ukraine-Krise versus Schwarzwurzel-Risotto.
Das führt zu der oftmals auftauchenden Diagnose einer „konformen“ Gesellschaft. Nie gab es in der sogenannten Mitte der Gesellschaft weniger Widersprüche, weniger Widerspruch. Nie war die Kunstszene so gut angezogen, waren die Arbeiten so marktkonform. Gerade die sogenannte Post-Internet-Kunst verschmilzt Life-Stye, Soziale Medien und Fashion zu hochaufgelösten schicken Oberflächen – 2D- oder 3D-geprintet – die jegliche Kritik und Selbstkritik abperlen lassen. Hipsterkunst for the better people.
Und genau dieses Wegdrücken, dieses Immer-weiter-Rein in eine globalisierte, unökologische, kapitalistische, ungleichgewichtige Welt macht Angst. Wenn man sich die Seite von den designierten Berlin-Biennalen-Kuratoren DIS anschaut (www.dis-magazine.com), wird einem erst recht mulmig. Natürlich wird dort auch Kritik geübt, über Gender, Big Data, Social Media, New Capitalism, Klimakollaps und künstliche Intelligenz geschrieben.
Aber alles ist so medial miteinander verwoben und ineinander verwurstet – es stehen die neuesten Style-Options und Mode­-Tipps neben Artselfies und Apokalypse-Renderings, obligatorische Obrist-Interviews zusammen mit postmodernen Systemanalysen, abgeschmackte Studiofotografien neben Werbe-Simulationen und Kunstbetriebspersiflagen (zum Beispiel streicheln sich drei schwangere Frauen die Bäuche und man hört dazu eine säuselnde Offstimme „the world is waiting for the next emerging artist“) –, es ist ein so kruder Misch, dass einem schlecht wird und man sich förmlich nach den Bronze­skulpturen eines Jonathan Meeses zurücksehnt, so ehrlich und natürlich erscheinen sie einem plötzlich. Die DIS-Seite bildet präzise eine zynisch gewordene Bild- und Textsphäre ab, eine urkapitalistische Kokser-Welt in der jegliche Kritikmöglichkeit einverleibt und als Popfilmchen wieder ausgekotzt wird.
Wenn man im anfänglichen Therapiebild bleibt, Analyse versus Coaching, Benennen ­versus Verdrängen, so landet man hier in einer Art All-Inclusive-Therapie, die einen so durchnudelt, dass man an deren Ende nur noch Gänseblümchen in Brandenburg pflücken will und einmal die Woche über das polnische Mobilfunknetz mit seiner Mutter telefoniert. Vielleicht auch das ein Weg, seine Angst zu bekämpfen.
Hans Martin Sewcz „Adidas am Alex“, 2004