Je weniger Geist, desto weniger Angst

Und noch einmal nach Kierkegaard denken

2015:Mai // Matthias Raden

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05-2015

Ich habe vor nichts Angst, damit scheint schon alles Wichtige über die Angst als selbstreferentielles geistiges Phänomen gesagt, von dem ich vereinfachend annehme, dass es nur Menschen (keine Tiere und Pflanzen) betrifft. Beiläufig stimme ich dem, was Konsens zu sein scheint, zu: Furcht ist mit ­einem äußeren Grund verknüpft und birgt deshalb die wunderbare Gewissheit, dass sie außerhalb des Furchtsamen begründet liegt. Weglaufen ist da eine einfache Lösung – vor der Angst allerdings (ent)fliehst du nicht.
Zurück zum ersten Satz, zur geistigen Selbstbezüglichkeit der Angst, die ich nicht noch einmal wie der junge Theologe Kierkegaard mit der Bürde der Schwermut betrachten möchte. Um der Angst zu entkommen, gilt es den Kurzschluss des Geistes, die bodenlose Zirkularität, zu durchbrechen. Kierkegaard schreibt diese Befreiung dem Glauben zu. Er rechnet mit einer göttlichen Transzendenz, die nicht im Zirkelschluss des Geistes verharrt. Der Glaubende gewinnt aber nicht einfach eine neue Naivität und keine harmlose Geistlosigkeit. Der Glaubende weiß um die Angst und ist nicht mehr ahnungslos. Kierkegaard vergleicht den Glaubenden mit einem über dem Abgrund Schwebenden. Dieser überwindet so die Angst und bleibt sich ihrer dennoch bewusst. Welch herrliches Paradoxon. An dieser Stelle widerstehe ich der Versuchung des feinsinnigen Spotts , den der große Theologe Karl Barth aufbrachte, wenn er meinte, dass die Enttäuschung groß sei bei denen, die sich mit Kierkegaard aufs Schweben verlegen, diese Leidenschaft aber bei anderen nicht zu wecken vermögen.
Und noch einmal kehre ich zurück zur Denkfigur der Unterbrechung der Zirkularität. Diese Denkfigur, habe ich philosophisch (theologisch) Transzendenz genannt. Ich mache sie mir gleich bewusst klein, alltäglich und übersehbar trivial. Bevor ich dies tue, schaue ich noch einmal auf, suche einen erlösenden Moment der Gewissheit und finde sie im mich übertreffenden Außen des Erhabenen. Ich genieße Gesten des Zuspruchs und der (göttlichen) Zuwendung, die mir keine Aneignung erlaubt. Es ist ein religiöser Begriff. Für die Zuversichtlichen ist es vielleicht auch eine Erfahrung, auf jeden Fall eine selbstferne Trostformel. Etwas, das auch ich anderen zuzusprechen vermag, ohne dass ich darüber verfüge, es gar besäße. Religiös qualifiziert, nennen wir es Segen, in der Sprache des scheinbar Säkularen bezeichnen wir es manchmal als Glück. Segensworte und Glück lassen sich als Wunsch aussprechen und beide implizieren eine Unverfügbarkeit und setzen ein Außerhalb voraus. Wer Glück wünscht oder Segen zuspricht, vermag weder das Glück noch den Segen aus sich heraus zu übertragen. Im abendlichen Alltag der Fernsehnachrichten erlebe ich die Trivialform des Segens mit vermeintlich höherer Gewissheit. Nach den Bildern von Leichen, Stürmen und Krisenmeetings in einer offensichtlich sehr bedrohten Außenwelt beruhigt mich der Bordeaux im Glas, der Weinvorrat im Keller und die Prognose des Wetters, das im Satellitenbild von den Azoren heranzieht und spürbar ein Von-Außen und hie und da ein Von-Oben verheißt – auf jeden Fall denen, die der IS nicht bereits enthauptet hat. Darum keine Angst!
Zeichnung: Andreas Koch
Zeichnung: Andreas Koch