Willkommen im Angstrondell

2015:Mai // Peter K. Koch

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05-2015

Ich lese die E-Mail und mir schießt sofort die Angst ins Gebein. Verdammter Mist, die hätte ich so spät nicht mehr lesen sollen. Jetzt kann ich wahrscheinlich die halbe Nacht nicht mehr schlafen. Dafür bin ich einfach zu aufgeregt. Seit Tagen habe ich schon drauf gewartet, aber es jetzt schwarz auf weiß zu lesen ist eben doch schlimm. Da ist die ganze Angst wieder da. Völlig unbegründet, natürlich. Angst vor Alltagssituationen ist ja immer unbegründet. Löst sich im Angesicht der Situation meistens auch so schnell auf wie Frühnebel in der Sommersonne. Die Vorfreude reicht aber leider trotzdem aus, um mich jetzt und hier wachzuhalten. Völlig irrational, denke ich und steigere mich tiefer in das Gefühl hinein. Das muss ich als Künstler auch tun, mich immer tiefer in etwas hineinsteigern, ob in tiefe Ängste oder in tiefes Was-auch-immer. Nur so mittel geht leider nicht. Alles oder nichts. Euphorisierung oder Verängstigung. Eine lapidare Angstfreiheit wäre natürlich auch mal gut. Aber gibt es die überhaupt? Und wäre die dann sinnvoll? Über den Gedanken bin ich dann doch noch eingeschlafen, morgens war sie dann aber sofort wieder da, die Angst, etwas diffuser zwar als am Abend zuvor, aber immer noch deutlich spürbar. Auf dem Weg zur Arbeit habe ich dann darüber nachgedacht, ob ich eigentlich ursprünglich Künstler geworden bin, weil ich ängstlicher bin als die anderen oder bin ich Künstler geworden, weil ich vielleicht doch angstfreier bin. Oder ob das möglicherweise überhaupt keine Rolle gespielt hat. Werden genau soviel ängstliche Menschen Künstler wie unängstliche? Oder sind weniger die Ängste ausschlaggebend als doch vielmehr die Neurosen? Angst ist ein alltäglicher Begleiter und evolutionsgeschichtlich gesehen auch sinnvoll, wissen wir ja alle, aber heute gesellschaftlich doch eher stigmatisiert, ja fast peinlich: Haste etwa Angst? Als Künstler kann man aus seiner Angst wenigstens noch was machen, wenn man die eigene Unzulänglichkeit, die Peinlichkeit, die Minderwertigkeit zum Thema macht, wofür man aber zuerst einen Haufen Hemmungen verlieren müsste, was mit Angst grundsätzlich nicht so gut geht. Dann doch lieber kollektive Ängste der Allgemeinheit thematisieren. Den Finger in die Wunde legen. Kollektiven Schmerz bereiten. Dann wird aus der lästigen Angst plötzlich ein veredelbares und möglicherweise sogar vermarktbares Produkt. Und ist auch gar nicht mehr so persönlich. Man könnte das Künstlerleben sowieso als einen einzigen Parcours der Angst bezeichnen. Erst ist da die Angst, dass man sich selbst vielleicht falsch einschätzt und man gar kein Künstler ist. Hat man die einigermaßen im Griff kommt die Angst, dass sich ein Leben lang keine Sau für einen interessiert. Wenn sich dann plötzlich Leute dafür interessieren, dann kommt die Angst, dass das wieder aufhören könnte und so weiter und so fort. Irgendeine Angst ist immer. Als ich später im Atelier bin überlege ich mir, wann ich meine besten Arbeiten gemacht habe und welche Rolle die Angst dabei gespielt hat. Zum Beispiel die Angst vor der öffentlichen Blamage, wenn bei einer Ausstellung plötzlich alle merken, dass ich ja eigentlich gar nichts kann und eine Null bin. Der Angstalarm vor dieser Situation lässt mein Gehirn normalerweise auf Hochtouren arbeiten und führt zu den allerbesten Ergebnissen. Angst ist dann ein sehr stimulierender Berater, aber zu viel Angst ist auch nicht gut, dann kommt ganz plötzlich die Blockade und alles steht still. Deswegen kenne ich zwar die Angst ohne Kunst zu leben, beherrsche aber leider immer noch nicht die Kunst ohne Angst zu leben. Da gibt es allgemeine Ängste und kunstbezogene Ängste, kollektive und persönliche Ängste. Und eben die nächtliche Angst. Es gibt die Weltangst, aus der dann schnell man eine ganze Angstwelt wird. Als ich abends nach Hause fahre, habe ich heute bereits ca. 65 kurze und mittlere Angstmomente gehabt und ich bin mir plötzlich sicher, dass die Gesamtmenge an Angst in einem Leben von Anfang bis Ende eher stabil bleibt, sich nur die Ausrichtung ändert. Fällt eine Angst weg, bildet sich dafür eine neue. Angst ist immer in Bewegung und lässt sich manchmal auch kurz verscheuchen, versteckt sich dann aber nur und lauert auf die nächstbeste Gelegenheit, wieder aus dem Versteck zu kriechen. Kakerlakenangst. Nur leicht beruhigend ist, dass es neben ständig neuen und unbekannten Ängsten auch ganz alte und stabile Künstlerängste gibt. Die Angst vorm weißen Blatt zum Beispiel. Die kann man aber in den Griff kriegen. Schwieriger ist es bei den subtileren, selteneren. Die Kunsthallenangst zum Beispiel, ach, jede Angst ist denkbar. Vier Leute, sechs Ängste. Willkommen im Angstrondell. Nach all dem Angstgrübeln komme ich plötzlich doch noch zur Ruhe, spät abends, als ich im Kopf noch mal die Einnahmeprojektion für die nächsten sechs Monate durchgehe und mich leichten Herzens so stark zu meinen Gunsten verrechne, dass ich die 15-Euro Flasche Wein, die ich mir in Erwartung größerer, aber tatsächlich wahrscheinlich nie eintretender Einnahmen geleistet habe, angstfrei genießen kann.


Screenshot Google bei der Eingabe von „Angst Kun“