Zu viel Angst? Zu viel Sicherheit!

Gespräch

2015:Mai // Julia Bonn und Anna-Lena Wenzel

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05-2015

Anna-Lena Wenzel  /    Ich finde es interessant, dass sich unsere Texte in bestimmten Punkten ähneln, im Grundton jedoch auseinandergehen: Du fokussierst stärker den aktivierenden Moment in deinem Text und verweist auf die dynamisierende Wirkung, die Angst auf die Gemeinschaft haben kann. Was passiert Deiner Meinung nach, wenn die Angst vergemeinschaftet wird?
Julia Bonn /    Ich glaube, dass durch eine Vergemeinschaftung, also ein Mit-teilen der Angst, schon etwas in Bewegung geraten kann. Die Distanz zwischen uns wird überbrückt, wenn auch nur zeitweilig. Ich bin bereit zu hören und mich zu öffnen; auch hinzuspüren zu dem was die andere spürt. Ich glaube diese Verbindung kann viel bewirken. Sich eben nicht allein zu fühlen, nicht isoliert und abgetrennt, sondern als Teil der Welt.
Wenzel  /    Ich musste bei dem Stichwort Vergemeinschaftung gleich an Pegida denken – das ist ja auch eine Form des gemeinsamen Teilens von diffusen Ängsten. Indem man seine Ängste mit der Gemeinschaft teilt, werden sie legitimiert. Das hat aber nichts mit einer kritischen Auseinandersetzung zu tun.
Mich interessieren beim Thema Angst die strukturellen Aspekte: wie sie z. B. zu einem so starken Motor für gesellschaftliches Handeln werden kann, in einer Situation, in der die realen Gefahren im historischen oder nationalen Vergleich verschwindend gering sind. Wer also profitiert von diesem „Regime der Angst“? Wie breitet es sich aus? Wann wird Angst „sagbar“? Und von welchen Ängsten ist dann eigentlich die Rede? Ich höre immer, dass die Leute Angst vor Überfremdung haben, aber dass jemand erzählt, er leide unter Panikattacken, ist eher unüblich.
Bonn /    Tatsächlich wird ja Pegida von Byung-Chul Han auch als „Angstsymptom“ bezeichnet1 und es mag tatsächlich ein Ausdruck diffuser kollektiver Angst sein, der sich in den Demonstrationen von Pegida Luft macht. Was ich hier allerdings nicht sehen kann ist eine Vergemeinschaftung. Es wird nicht darüber gesprochen und mit-geteilt, was die Ängste sind und wie sich die Erfahrung dieser Ängste konkret (also auch körperlich, in den täglichen Routinen und Begegnungen) bemerkbar macht. Stattdessen wird die diffuse Angst auf Schlagwörter projiziert, mit denen eine Identifikation möglich erscheint, weil sie so offen sind. „Überfremdung“ oder „Islamisierung“ z. B. – und das in Dresden, wo es einen Ausländeranteil in der Bevölkerung von 4,7% gibt.2 Das schafft, wenn überhaupt, eine Pseudo-Gemeinschaft – denn wenn ich von der Demo weggehe, bin ich wieder alleine mit meiner Angst vor Arbeitslosigkeit, vor sozialem Abstieg, vor Alleinsein im Alter und niemand hat mir wirklich zugehört.
Zum strukturellen Aspekt – ein Riesen-Thema – ich glaube, dass besonders im kapitalistischen System eine strukturelle Gewalt vorhanden ist, die niemand konkret eingesetzt hat, die sich aber manifestiert und verstärkt in Strukturen der Überwachung, Kontrolle, Selbstkontrolle, ­Selbstoptimierung und Sicherheitsdiskursen.
Ein Interesse daran hat vielleicht die Versicherungsindustrie, die Rüstungsindustrie, große Konzerne, die ihren Gewinn mit allen Mitteln maximieren wollen. Auch staatliche Stellen haben ein Interesse daran, die Bürger und Bürgerinnen zu kontrollieren. Und es entsteht Angst – nicht ins System zu passen, nicht gut genug zu funktionieren, durch die Maschen zu fallen, anders zu sein. Wird versucht, sich dagegen zu wehren, kann mit mehr Kontrollen und verschärften Sicherheitsmaßnahmen gleich noch eins draufgesetzt werden.
Wenzel  /    Und was hat das jetzt mit der Kunst zu tun?
Bonn /    Jetzt komme ich doch noch mit dem Foucault. In „Ästhetik der Existenz“ schreibt er: „Das Hauptziel besteht heute zweifellos nicht darin, herauszufinden, sondern abzulehnen, was wir sind. Wir müssen uns vorstellen und konstruieren, was wir sein könnten, wenn wir uns dem doppelten politischen Zwang entziehen wollen, der in der gleichzeitigen Individualisierung und Totalisierung der modernen Machtstrukturen liegt. […] Wir müssen nach neuen Formen von Subjektivität suchen und die Art von Individualität zurückweisen, die man uns seit Jahrhunderten aufzwingt.“3 Und ich glaube, hier kommt auch die Kunst ins Spiel. Für Foucault ist das „eine Kunst seiner selbst, die das genaue Gegenteil des eigenen Selbst wäre. Das eigene Sein zu einem Kunstwerk zu machen, das ist wirklich der Mühe wert.“4
Das ist natürlich ein sehr weit gefasster Kunstbegriff, aber ich denke, dass es auch in eine künstlerische Tätigkeit im klassischen Sinne einfließt (oder einfließen sollte) – sich vorzustellen, zu konstruieren, wie es sein könnte, anstatt nur zu zeigen, was ist. Wobei das natürlich ein Ausgangspunkt ist – erstmal eine Analyse oder Verortung im Jetzt und Hier zu machen und davon dann loszugehen.
Wie würdest Du das sehen? Und um nochmal zurückzukommen auf Deine vorige Frage nach der Sagbarkeit – ist Kunst auch ein Ort, um Angst mit-zu-teilen?
Wenzel  /    Kunst ist für mich vor allem der Ort, an dem meine Angst zum Vorschein kommt. Weil ich in und mit ihr sichtbar werde. Diese Exponiertheit/Sichtbarkeit macht Angst. Hier kann ich mich nicht hinter jemand anderen oder einer von außen herangetragenen Aufgabe verstecken, hier muss ich mich der Öffentlichkeit (was für ein großes Wort!) stellen und dabei eine gewisse Überzeugtheit von meinen Arbeiten mitbringen, sonst zerreißt mich die Kritik. Weil es so wenig bzw. unregelmäßig Bestätigung von außen gibt und die Kriterien für „Erfolg“ sehr diffus sind, sind den Zweifeln Tür und Tor geöffnet. Verfolge ich gerade den richtigen Weg? Müßte ich nicht noch …? Beim Kunstmachen musst du permanent Entscheidungen treffen (es sei denn du arbeitest strikt nach Schema), manchmal ohne, dass du genau begründen könntest, wie du zu ihnen kommst. Dem geht eine stetige Selbstbefragung und Begegnung mit der Angst voraus. Anstrengend! Aber in seiner Herausforderung natürlich auch total toll, denn ich bleibe nicht stehen und teile meine Angst im besten Fall mit meiner Umwelt.
Wo begegnest Du Deiner Angst? Wo findest Du ein Ventil?
Bonn /    Mir begegnet meine Angst momentan vor allem in (vermeintlich) kleinen Begegnungen im Alltag. Angst jemanden zu verletzen oder selbst verletzt zu werden, Angst jemanden zu verlieren, Angst zu scheitern. Ich versuche aber, mich davon nicht lähmen zu lassen, sondern eben die Energie, die da involviert ist, zu nutzen – denn wo Angst steckt, ist es auch aufregend, wichtig genug es zu versuchen, sich dahinzubewegen. Vom Kunst-machen kenne ich das auch – die besten Arbeiten sind die, die viel Angst beinhalten – Angst zu scheitern, sich verletzbar zu machen, überhaupt nicht verstanden zu werden. Aber gerade dann ist es toll, sich nicht abzuhärten und Distanz dazu zu halten, sondern die ganze Aufregung, das Kribbeln, das Schwindelerregende dabeizuhaben.
Aber jahrelang hab ich gedacht, ich sei total cool und ohne Angst – bis ich dann gemerkt habe, dass ich mich viel im sicheren Terrain bewegt habe und Sachen vermieden habe, die wirklich aufregend waren – trotz Fallschirmsprüngen, Reisen alleine durch Asien, Tauchkursen etc.
Welche Reaktionen sind Dir begegnet wenn Du Angst mit deiner Umwelt geteilt hast? Besonders im Kunst-Kontext?
Anna-Lena Wenzel  /    Als ich das erste Mal Arbeiten gezeigt habe, habe ich ziemlich offensiv von meiner Aufgeregtheit und meinen Zweifeln gesprochen. Das hat allerdings zwei Seiten: denn indem ich so tief stapel, wappne ich mich gegen eventuelle Kritik, weil ich die ja quasi vorwegnehme. Ich glaube, einige waren irritiert, weil sie mich anders wahrnehmen und gar nicht verstanden haben, warum ich jetzt so unsicher bin. Grundsätzlich habe ich aber den Eindruck, dass ein offensiver Umgang mit den Ängsten von vielen begrüßt wird, weil die meisten diese Gefühle kennen. Aber als ich letztens einen wichtigen Arbeitstermin hatte und vorher einen halben Panikanfall bekommen habe, da hatte ich nicht den Arsch in der Hose, diesen dort gleich auf den Tisch zu legen. Das muss man ja auch nicht. Aber ich habe in der Situation wieder gemerkt, wie sehr die Angst einen einschnüren kann. Diese Macht möchte ich ihr eigentlich nicht überlassen, weiß aber auch, dass sie mich aus dem Hinterhalt jederzeit überfallen kann. Sie als einen Teil meiner Selbst annehmen, ist vielleicht ein guter Weg, um ihr die Macht zu nehmen. Es macht mich wieder handlungsfähig.
Gerade ist mir noch ein anderer Aspekt des Themas begegnet, als ich das Volksbühnenprogramm vom April entfaltete. Das steht nämlich „Zu viel Angst“ drauf. Ich habe mich gefragt, ob die Angst wirklich zunimmt und ob Angst – wie der Ausdruck „German Angst“ suggeriert – ein typisch deutsches Phänomen ist.
Bonn /    Mir fällt dazu ein, dass „German Angst“ ja eher ein Begriff ist, der im Ausland benutzt wird, um die wahrgenommene negative oder vorsichtige – sich versichernde – Grundeinstellung der Deutschen zu beschreiben. Also eher als kulturelles Phänomen und sicher wieder nicht im Austausch mit einzelnen entstanden.
Hierzulande ist es vielleicht tatsächlich an den herunterhängenden Mundwinkeln der Mitbürger/innen zu beobachten, an dem immer wieder gehörten „Muss ja …“ auf die Frage wie es denn geht, und an dem in Deutschland wohl tatsächlich starken Drang, sich zu versichern. Lebensversicherung, Sterbeversicherung, Unfallversicherung, Rentenversicherung, Berufsunfähigkeits-, Kranken-, Reise-, Reiserücktritts-, Reisegepäck-, Kfz-, Haftpflicht-, Tierhalter-, Hausrat-, Rechtsschutz-, Handy-, Schlüssel-, Wohngebäudeversicherung – es gibt kaum etwas, was nicht versichert werden kann. Das Leben – ein Risiko würde ich dazu sagen. Angst heisst doch, dass wir eben nicht wissen, was morgen sein wird, ja nicht einmal was in fünf Minuten sein wird. Und die deutsche Umgangsweise damit scheint eine der vielen Versicherungen zu sein. Aber das hilft letzten Endes auch nicht, trotzdem wird immer Unerwartetes passieren. „Zu viel Sicherheitswahn“ würde ich eher sagen, als „Zu viel Angst“ – denn Angst wird uns immer begleiten.
Wenzel  /   … beziehungsweise Risikos wird es immer geben. Angst ist ja eigentlich eine Reaktion auf eine Bedrohung. Wo für mich Sicherheitsrhetorik und Unkontrollierbarkeit der Gefahr eklatant auseinanderdriften sind Amokläufe. Die wird es immer wieder geben und keine Versicherung wird sie verhindern können. Mit dieser Unkontrollierbarkeit muss man leben.
Bonn /    Und auch mit der Gefahr, vom Blitz getroffen oder vom Auto überfahren zu werden, oder morgen eine Krebsdiagnose oder einen Schlaganfall zu bekommen. Irgendwie zu wissen, dass wir und unsere Liebsten sterben werden und nicht zu wissen, wann oder unter welchen Umständen – das macht Angst.
Meine These wäre, dass eine Zunahme der Angst damit zu tun haben könnte, dass wir immer besser über immer mehr informiert sind – heute erfahren wir von jedem Selbstmordattentat im Nahen Osten oder in den USA und können uns vorstellen, dass es auch in einem Kaufhaus in unserer Nähe stattfinden könnte. Auch in diesem Fall würde keine Versicherung dagegen etwas tun können. Diese Angst bleibt sehr diffus, denn oft wird in den verschiedenen Medien eine Gefahr suggeriert, die mit dem direkten Erfahrungshorizont der einzelnen gar nichts zu tun hat, sondern plötzlich über uns schwebt – und jederzeit zuschlagen könnte – oder auch nicht.

Ihre gemeinsame Missy-Radio-Sendung zum Thema Angst

bei reboot.fm kann man bei soundcloud nachhören.

http://reboot.fm/2015/02/15/missy-radio-24-angst/


1 Byung-Chul Han: „Zuhören!“ In: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, Nr. 3, 18.1.2015
2 Vgl. http://www.dresden.de/de/03/c_065.php.
3 Michel Foucault: Ästhetik der Existenz, Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2007, S. 91.
4 Ebd., S. 112.
Montage: Andreas Koch