Liebe ist das Gegenteil von Angst

2015:Mai // Seraphine Meya und Hannah Cooke

Startseite > 05-2015 > Liebe ist das Gegenteil von Angst

05-2015


Angst ist eine überlebenswichtige Reaktion auf Gefahren. Das menschliche Gehirn schüttet unter anderem das Stresshormon Cortisol aus, das immunsuppressiv und entzündungshemmend wirkt und den Fett-, Zucker- und Proteinumsatz des Körpers erhöht. Dadurch werden Schmerzen gelindert und es wird Energie in den Muskeln bereitgestellt, die Flucht oder Kampf ermöglicht. Der Körper befindet sich im Ausnahmezustand. Kreativität, Neugier und Handlungsfähigkeit werden bei längerer Belastung durch Angst sogar nachhaltig gehemmt. Angst ist die am meisten verbreitete psychische Störung und sie tritt in einem breiten Spektrum auf.
Die Welt in der wir leben, scheint also höchst bedrohlich – unsere Gesellschaft ist voller Angst. Es gibt globale Ängste wie die vor der Klimakatastrophe oder dem Tod und es gibt Ängste vor Armut, Jobverlust, Krankheit oder Einsamkeit. All diese Ängste sind durchaus begründet. Allerdings ist es höchst befremdlich, dass die Menschheit angesichts einer Bedrohung wie dem Klimawandel nicht schon längst in den Kampfmodus übergegangen ist. Da unsere Ängste so vielfältig begründet sind, fällt es schwer, sich auf ein Handlungsziel zu fokussieren und die durch die Angst freigesetzte Energie in den Muskeln auf die Umsetzung eines Ziels anzuwenden. Man lässt die Angst in der Gesellschaft und im eigenen Körper herumwabern.
Die Angst führt zu gesellschaftlicher Stagnation. Angst, die unterschwellig immer mitschwingt, resultiert in Lähmung, in einem Krampf, in dem die Unsicherheit wächst. Eine Spirale, die die Handlungsfähigkeit immer weiter herabsetzt und uns immer näher an den Ursprung der Angst bringt. Sind wir schließlich angekommen an diesem Ursprung, ist es vermutlich zu spät.
Ein weiteres Gefühl mit umfassenden körperlichen Reaktionen ist die Liebe. Die körperlichen Reaktionen der Liebe führen zu tiefem Wohlbefinden. Das liegt an den ausgeschütteten Endorphinen. Dopamin sorgt für Glücksempfinden und Adrenalin lässt die Liebenden nicht in den schönen Gefühlen versinken, sondern sorgt für Aufregung. Sieht man von dem Zustand der akuten Verliebtheit ab, deren körperliche Reaktionen Ähnlichkeiten mit psychischen Krankheiten aufweisen, ist Liebe ein sehr angenehmer Zustand. Unter Freunden oder in der Familie fühlt man sich in der Regel geborgen und sicher, man ist entspannt und zufrieden. „Geliebt werden macht uns stark, zu lieben macht uns mutig“, sagte einst Laotse. Vergleicht man die genannten körperlichen Folgen mit den körperlichen Folgen der Angst, zeigt sich, es sind geradezu gegensätzliche Gefühle. Entspannung und das Gefühl von Sicherheit sind ideale Voraussetzungen um zu lernen, wie der Hirnforscher Manfred Spitzer im Film „alphabet“ (2014) sagt. Der Film, in dem das internationale Bildungssystem analysiert wird, hat bezeichnender Weise den Untertitel „Angst oder Liebe“. Kreativität und Handlungsfähigkeit steigen, wenn man nicht ums Überleben bangen muss. Um der Angst entgegentreten zu können, muss man handeln und handeln kann man nur, wenn man sich wohlfühlt. Wohlbefinden ist mit dem Gefühl der Liebe im weitesten Sinne verknüpft und Liebe führt zu Offenheit und Toleranz anderen gegenüber. Es scheint alles so einfach, doch in einer neoliberalen Welt der Gewinnsteigerung kommt man vor lauter Rennen gar nicht zum Nachdenken, wohin man rennt oder wovor man wegrennt.
Yoko Ono und John Lennon protestierten 1969 das erste Mal mit einem Bed-in gegen den Vietnam Krieg. Sie verbrachten eine Woche in einem Bett im Amsterdam Hilton Hotel und sprachen vor der versammelten Presse über Frieden.
Heute leben wir in einer Welt mit unzähligen Krisensituationen und Konfliktgebieten. Die Krise, die uns alle direkt betrifft, ist die globale Erwärmung. Die Lebenssituation auf unserem Planeten wird sich in den nächsten Jahren dramatisch ändern, für viele Lebewesen mit fatalen Folgen.
Würde man wirklich etwas ändern wollen, müsste man ab sofort alle fossilen Brennstoffe in der Erde belassen und unsere Wirtschaft radikal umstellen. Von Profitmaximierung auf Nachhaltigkeit. Konzepte dazu gibt es genug, Handlungsmöglichkeiten auch. Wichtig ist: Wir alle tragen Verantwortung für das, was passiert, und wir müssen überlegen, was wir tun können und wollen, um den rasenden Zug in Richtung Katastrophe aufzuhalten.
Aus diesem Grund rufen wir am 1. Juni 2015 zum Bed-in auf.
Wir zitieren Yoko Ono und John Lennon und protestieren mit Liebe gegen Angst. Dabei wollen wir nicht nur zu zweit der Angst gegenübertreten, sondern gemeinsam mit allen, die ebenfalls Liebe bevorzugen und der Angst keine Macht mehr zugestehen wollen. Zusammen hat man weniger Angst. Die Nähe zu anderen zu spüren, bedeutet Sicherheit und vielleicht entstehen daraus neue Handlungsideen. Wir legen einen Tag der Entschleunigung ein, an dem wir kurz innehalten und uns fragen, wohin wir eigentlich rasen.
Am 1. Juni verbringen wir den Tag von 11–19 Uhr im Bett. Ihr seid alle in unser Bett eingeladen, oder euer eigenes Bed-in zu feiern.
Es wird einen Livestream geben und wir freuen uns über Bilder eures Bed-ins. Alle weiteren Informationen zum Bed-in unter: http://www.hannahcooke.de/


Foto: Seraphine Meya und Hannah Cooke