wo ich war

2015:Mai // Esther Ernst

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05-2015

AZOULAY ILIT, COOPER KATE, TRECARTIN RYAN 18. Okt. 2014
Kunst-Werke, Berlin

+ interessanter Museumsbesuch. Oben angefangen war ich fasziniert von meinem eigenen Ekel, den die Cooper Videos und Fotografien wahrscheinlich allgemein auslösen. Und darüber, dass diese Hybridgestalten aus Computer und Mensch absichtsvoll unperfekt entworfen sind. – Ryan Trecartin halt ich nicht aus. Zu beklemmend und bedrängend empfinde ich den allumfassenden Teppichraum und den vibrierenden Sound. Ich komme mir alt und schrumpelig vor und verstehe meine eigene Generation nicht mehr. – Unten tauche ich voller Freude in Azoulay Ilits Welt ein. Wie die Scherben einer Vase breiten sich ihre Fotografien archäologisch an der Wand aus. Jedes Foto besitzt eine Nummer, die man ins Audiogerät tippt und dann einer Geschichte des zentimeterweise abfotografierten Gegenstands lauscht. Nüchtern beschreibt Azoulay ihre Beobachtungen von obskuren Dingen, von Sammlungsbesuchen und von ihren Berlinbeobachtungen ganz Allgemein. Es ist Tagebuch und Recherche zugleich. Ein Stück Miniwelt und ein zugänglicher Kosmos. Total toll.



KRYZECKI CAROLINE 5. Dez. 2014
Superposition
Sexauer, Berlin

+ Dem Jörg würden die Moiré-Zeichnungen ganz bestimmt gefallen, wahrscheinlich sogar die komplette Serie...
Ich guck da irgendwie auch gern hin, aber nach dem ersten Spektakelblick wird’s doch fad, nicht? Mir würde anstelle von Kugelschreiber auch eher satte Tusche gefallen, wobei die Materialwahl mein Problem mit der Belanglosigkeit wohl nicht lösen würde. Vielleicht ist es das akribisch stupide Abarbeiten an der technischen Moiré-Struktur, die mich so wenig reizt. Da ist kein Wagnis, sondern nur Fleiss.
Obwohl, Fleiss ist heiss, denn die Blätter gehen offenbar weg wie frische Wegglis.



SCHNEIDER GREGOR 6. Dez. 2014
Unsubscribe
Rosa-Luxemburg-Platz, Berlin
+ irgendeine Information fehlt mir wohl, denn ich versteh Gregor Schneiders Lastwagen voller Schutt vor dem Eingang der Volksbühne nicht. Baut er sein Haus
u r nun vollends ab? - Später stosse ich zufällig auf die Sendung Aspekte, die mich aufklärt: Schneider kaufte für 100‘000 € das Geburtshaus von Joseph Goebbels in Rheydt (ob ich mit der Annahme richtig liege, dass es sich um ein zweites Haus und nicht um das Haus u r handelt?), weil er es falsch findet, dass z.B. eine junge Familie dort einzieht ohne jemals um die Geschichte dieses Hauses zu wissen. Das Haus ist allerdings marode, die Statik futsch und so trägt es Schneider Haufenweise ab, dokumentiert den Vorgang und bringt den Schutt ins Museum. Dann kommen so Ahnungslose wie ich und fragen nach dem Inhalt dieses Werks. Und schon steckt man mitten in der Frage, wie man mit Geschichte und seiner Aufarbeitung umgehen will. In diesem Fall vielleicht bissel dünn? Schneider möchte sich dann auf seinem Grundstück einen Parkplatz planieren. Aha, naja, warum nicht.



MEYER NANNE 12. Dez. 2014
Nichts als der Moment
Kupferstichkabinett, Berlin

+ habe mich schampar auf die Ausstellung gefreut und war ziemlich auf Bewunderung eingestellt. Das ist natürlich gefährlich, weiss ich, aber dass meine Enttäuschung dann so riesig ausfällt, hätt ich nicht gedacht. Ich bin sogar ein wenig fassungslos und trau es mich auch kaum zu schreiben, aber das sieht hier ein wenig nach Grundklassenübungen von begabten Kunststudenten aus. Kann das sein?
Ich sehe ein bisschen Tacita Dean, Julie Mehretu, Mark Lombardi, teilweise auch Corinne Wasmuht, zwei Blätter in Malte Spohrschen Sinne, ich sehe einmal mehr Cut-Outs aus Landkarten, übermalt oder freihändig erweiterte Landkarten (das man das noch darf...?), auch übermalte Postkarten, ich sehe eine Collage aus einem Schnittmuster und eine Serie klassischer Portraitzeichnungen. Schaut auch alles schmuck aus, weil der Serientrick die einzelnen Werkgruppen zusammenhält. Aber das Meiste, was ich hier sehe, kenn ich schon. Und zwar genau so. ?!?



PRINZHORN SAMMLUNG 14. Dez. 2014
Das Wunder in der Schuheinlegesohle
Sammlung Scharf Gerstenberg, Berlin

+ man müsste eigentlich mit der Bildnerei der Geisteskranken in die grandiose Ausstellung gehen, um die einzelnen Umstände der Patienten nachzuschlagen. Mein Herz hüpft, wenn ich all die kleinformatigen Zeichnungen sehe (danach taten mir die Augen weh, weil alles so winzig...). Es sind die wahnsinnigen Innenwelten, die ich nirgends sonst so unmittelbar veräusserlicht vorfinde, die mich faszinieren. Es sind die Verzweiflungen, die Ängste, die verdrehten Wahrheiten, die Absurditäten, die vielen Wünsche und Sehnsüchte, die hier ungefiltert präsentiert werden und denen ich in meinem Leben nur in meinen Träumen begegne (und mich darauf – wenn’s unangenehm wird – kaum einlasse). Deshalb sind mir die Werke der Prinzhornsammlung wahrscheinlich so lieb, weil es nicht mein Wahnsinn ist, und diese sichere Distanz mir ermöglicht, ganz dicht an die Blätter ran zu gehen. Dabei ist der Wahnsinn wahrscheinlich in viel reduzierterer und mega verdrängter Form auch in mir.



MROUÉ RABIH 17. Jan. 2015
Riding on a cloud
HAU 3, Berlin
+ Jörg hat zuerst von dieser bescheidenen und berührenden Performance geschwärmt und ich bin auch begeistert: Der Bruder vom Regiseur, Yasser Mroué, erzählt seine Biographie. Als Kind wurde er in Beirut von einem Heckenschützen getroffen. Kopfschuss. Wie durch ein Wunder ist es einem russischen Arzt gelungen, ihn ins Leben zurückzuholen. Nur dass er neben seiner halbseitigen Lähmung die Wirklichkeit von Gespieltem oder Abgebildeten nicht mehr unterscheiden konnte. Wenn einer im Theater starb, war er verwirrt und verängstigt, dass der Schauspieler zum Applaus wieder lebendig erschien. Der Arzt riet ihm darauf hin, sich eine Kamera zu kaufen und Schritt um Schritt die Welt neu zu erfassen. So hat Yasser ein Konvolut an Alltagsvideos erstellt. Eine Sequenz zeigt, wie Yasser den Ort aufsucht, an dem auf ihn geschossen wurde. Er erzählt ruhig, ohne Pathos, nicht ohne Scherz, aber unglaublich traurig. Da er selbst oft die Bedeutung der Worte durcheinander bringt, hat er seine Texte auf Kassetten vorbereitet.



„...HÖHERE WESEN BEFEHLEN“ Dez. 2014 + 19. Feb. 2015
Arbeiten auf Papier aus der Sammlung Frieder Burda
Deutsche Bank Kunsthalle, Berlin

+ das Konzept geht so: von Baselitz, de Kooning, Polke, Richter, Rainer und Rauch wird jeweils ein grossformatiges Gemälde und eine kleinformatige Zeichnungsserie gezeigt. Das ist ein amüsantes Unterfangen, denn man sieht einerseits den unterschiedlichen Umgang mit Zeichnungen (Zeichnung als Studie bei Baselitz, als Output-Auffangbecken bei Polke, als eigenständige und starke Arbeit bei Rainer) oder kann zwischen Malerei und Papier hin und herschwenken. Und dabei bemerken, dass die Zeichnungen eigentlich klar abfallen und irgendwie unangenehm untergeordnet wirken. Obwohl die Intension bestimmt anders war. Die Künstler duellieren in ihren Gegenüberstellungen ein wenig miteinander, das gefällt mir. Und wie Andreas Schlhorn über Polkes Schmierzettelzeichnungen denkt auch und dass er erzählt, dass das Kupferstichkabinett neulich diskutierte, ein einzelnes Blatt von ihm anzukaufen, dann aber ablehnte, weil es zu schwach, zu doof und ohne den Serientrick nix taugt.



CHAMBERLAIN TOM 20. Feb. 2015
If not now
Galerie Aurel Scheibler, Berlin

+ ah, der ist ja noch jung, *1973, seine Kunst sieht drum so erwachsen aus... Die Papierarbeiten sind toll. Zarte Aquarellschichten (erst bunt, dann grau) lagern geometrisch geordnet übereinander. Die Blätter sind dermassen akkurat gefertigt, dass ich erst von einem Druck ausging.
Seine Zeichnungen mit den winzigen Buntstiftparallelogrammen sind mir allerdings zu streberhaft, zu manieriert. Dass der nicht ausflippt und in grossem Bogen übers Papier ratscht?!
Auch die kleinformatigen Gemälde, bei denen sich Kirsten über die unbemalten und leicht angesuppten Leinwandränder freut, sind mir zu sehr Hokuspokus. Aber alles gleichzeitig auch wunderschön. Irgendwie schweizerisch korrekt.

Ab ins Haus Konstruktiv nach Zürich.



HIRSCH MORITZ 7. März 2015
Präsenz
Braennen, Berlin

+ es sind Fundstücke, die Moritz Hirsch aus dem privaten Umfeld in den Ausstellungsraum bringt und dort kühl und sachlich präsentiert. Oftmals handelt es sich um hübsche, teilweise veraltete technische Geräte. Ein Bakelitdrehscheibentelefon klingelt zum
Beispiel. Nimmt man ab, kräht ein Papagei den Künstlernachnahmen ins Ohr. Daneben steht ein riesiger Papageienkäfig aus Edelstahl. Hat Hirschs Papi anfertigen lassen und irgendwie sieht er so aus, als wäre er eher für eine Stripperin konzipiert als für einen Vogel... Es sind ohnehin die rätselhaften Objekte, die im Ausstellungskontext mit noch mehr Aufladung gepuscht werden.
Neulich war ich auf einem Schweizerberg wandern und hab dort auf offener Weide eine hausgebaute Kuhbürste entdeckt und gedacht, wenn ich so ein Installations-bruder wäre, würde ich dieses Objekt 1:1 in die Galerie stellen und das sähe tip-top aus. Ja, ja, ist oll, ich weiss...
alle Fotos: Esther Ernst