Vanity Fairytales

2015:Mai // Elke Bohn

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05-2015

Angsterbahn

Mittlerweile ist es ganz normaler Standard und somit Tagesgeschäft, dass Kunstwerke auf Reisen gehen. Zur Ansicht für Sammler, auf Messen, Gruppenausstellungen oder noch größere Projekte, wie Biennalen oder die Documenta.
Geht das auch in der Wirklichkeit?
Viele Künstler hätten davor sicher Angst, doch nicht etwa Carsten Höller, Elmgreen & Dragset und auch nicht Christoph Keller.
Die vier haben nämlich eine Geisterbahn gebaut. Eine echte Geisterbahn, die mit Weihnachtsmärkten und Rummeln auf Tour geht und dabei, in großen, gleißend leuchtenden Neonlettern ANGSTERBAHN schreit.
Das Künstlerduo des Teams hat zunächst die Fassade gezeichnet, als Modell gebaut und umsetzen lassen. Inspiriert haben sie sich durch sich selbst. Die Außenhaut ihres riesenhaften Atelierkörpers, hier wie da etwas übertrieben, und es entstand eine grotesk antipittoreske, gar grimassenhafte Fratze, mit großen Hauerzähnen und wutvoll glimmenden Augschlitzen. Huuuuaaggghhh! Erstaunlich deshalb, weil ihre Gestaltung nur mit rechten Winkeln und absolut geometrisch gehalten ist. Bauhaus goes Badass.
Chauffiert werden die BesucherInnen in metallenen Loren, einem der Beiträge von Carsten Höller. Ähnlich der Ästhetik seiner Rutschen, doch ungleich intimer und deshalb dennoch potenziell nicht weniger ängstigend. Der Sicherheit wegen, ist ja alles ganz öffentlich, wird man im Inneren festgezurrt, in dicken Wulstwürsten aus Hartgummi.
Drinnen bespielt Christoph Keller den ersten Teil der Angstmaschine ANGSTERBAHN. Alles technisch hier, Projektionen mit Video, Laser in Dampf- und Nebelwänden. Schreckliche Szenen, banal zugleich; Krieg, tote Radfahrer, abgeschlachtete Tiere. Bekannt und hier nicht im Entstehungskontext, isoliert und in voller Schreckenspracht. Unfähig zu abstrahieren, unfähig zu entkommen wird hier das Schlimme der echten Wirklichkeit projiziert. Die Wirklichkeit wird Alb­­traum wird Projektion. Bewusstsein wird Unbewusstsein. Echtheit wird Angst, vor heute, morgen. Angst für immer.
Wer jetzt noch kann, kann bald auch nicht mehr. Weiter geht es streng archetypisch. Zwerge greifen nach den Menschen, zerren fest. Bäume schlagen um sich, was sich das Gemeinschaftswerk bei Harry Potter inspirativ abgeguckt zu haben scheint. Feuer speit aus Ecken und der Decke. Eine Mutterngestalt rennt mit ausgestreckten Armen umher und wird unweigerlich von der Besucherlore überrollt. Das Knirschen ist noch fürchterlicher als der Schreck des Überfahrens. Niemand kann etwas tun, verdammt zum Passagier, passiv und stockstarr.
Im dritten Teil scheinbar ein klein wenig Erholung. Eine Wiese mit Gras und Blumenblüten übersät. Der Kenner erkennt auch hier Carsten Höller, denn es sind einige Pilze verteilt installiert. Plötzlich strömt es aus diesen heraus, modrig stinkender giftgrüner Dampf. Das Atmen fällt schwerer und schwerer, Hustenkrämpfe schütteln die nun vollends entkräfteten Passagiere und echte Angst greift hemmungslos um sich. Die dicken Wulstwürste greifen noch enger, um echte Unfälle durch in Panik Davoneilende zu verhindern. Spätestens hier ist es auch um die ganz Harten geschehen.
Noch eine Kurve, der Ausgang in Sicht. Licht, nicht mal mehr am Ende des Tunnels, nein, viel näher schon. Abrupt nun wieder ein Halt, was nun, was nun noch? Nichts, nichts Schlimmes. Nur ein Künstlergruß. Joseph Beuys, lebensgroß und -echt, zieht den Hut; und lächelt freundlich.
Manch einer, so erfährt man aus der BesucherInnenevaluation, denkt, das war Gunther von Hagens und es käme noch eine Runde.
Die Autoren der ANGSTERBAHN scherzen manchmal, so wird unter vorgehaltener Hand berichtet, zur nächsten ­Saison genau dieses Missverstehen Wirklichkeit werden lassen zu wollen.
Die Rechte dafür sind keineswegs geklärt. Und Beuys macht ja auch viel mehr Sinn. Er erschreckt die Leute noch immer und ist, seien wir ehrlich, auch ein gutes Beispiel für die Angst vieler Künstler. Die Angst vor der Bedeutungslosigkeit. Auch wenn Beuys, und da können wir uns sicher sein, nur vorübergehend darin versunken und verschwunden ist.

Montage: Andreas Koch