Gespräch mit Sarah Schumann

2015:November // Barbara Buchmaier, Susanne Weiß, Bertold Mathes und Stefan Hayn

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11-2015

Anlässlich von Sarah Schumanns kommender Ausstellung und Silvia Bovenschens aktueller Buchveröffentlichung „Sarahs ­Gesetz“ trafen sich Barbara Buchmaier (Kunst­kritikerin und Autorin), Susanne Weiß (Kuratorin, Direktorin des ­Heidelberger Kunstvereins), Bertold Mathes (Maler) und S­tefan Hayn (Filmemacher und Maler) am 27. September mit den beiden zum Gespräch im gemeinsamen Wohnatelier Schumann/Bovenschen. Sie knüpfen damit an eine mit der Ausstellung „Was wir zeigen wollen“ (Heidelberger Kunst­verein, Frühjahr 2014) begonnene Auseinandersetzung zu „aktuellen“ Möglichkeiten der Malerei und ihrem Verhältnis zu anderen Artikulationsformen an.


Als rot der Tag

Barbara Buchmaier / Sarah, Du arbeitest gerade an einer neuen Ausstellung. Was wirst Du zeigen?
Sarah Schumann / Der Zyklus heißt „Als rot der Tag begann die Wandlung des Doktor Prokto“. Ich begleitete meine Freundin Silvia Bovenschen zum Proktologen im Westend-Krankenhaus. Im Wartezimmer hingen große Hightech-Auflösungen des Darms im Afterbereich, riesig fotografiert und immer signiert, so nenne ich das, mit dem Namen der Firma, die diese Aufnahmen herstellen konnte. Dann ein riesiger Arbeitsraum. Zwei junge Frauen machten die technischen Sachen, druckten Fotos aus usw. Und dann waren da zwei Ärzte. Alles natürlich clean, clean ... ganz clean. Und ein riesiger Stuhl, ähnlich dem gynäkologischen Stuhl, jedoch größer und mächtiger. Das Ganze, diese Riesenausstattung, für einen armen Menschen, der da als Patient hinkommt.
Susanne Weiß / Interessant finde ich, was du erzählt hast von diesen Vergrößerungen der mikroskopischen Aufnahmen, in denen ja praktisch auch, total abstrahiert, verschleiert wird, worum es geht … Tabu „After“.
Sarah / Was dich natürlich einschüchtert, du denkst, so etwas habe ich im Körper.
Es ist auch leicht ironisch, was ich da gemalt habe. Das sieht man dann an den Titeln [die in die Bilder hineingeschrieben sind]. Natürlich spielen da auch Hände eine Rolle in diesem Untersuchungsraum. Und zwar die Hände des Patienten, der Arzt fasst da fast gar nichts an, höchstens irgendwie ein Gerät. Der Patient muss sich zurechtrücken für diese Geräte. Dieses Ereignis habe ich umgewandelt. Diese Bilder sind in verwandelter Form der Besuch beim Proktologen.
Barbara / Du meintest ja, das wären die Hände der Patienten ...
Sarah / Das ist nicht realistisch. In dieser Wandlung, die der Proktologe erfährt, ist er auch kein Mann mehr, sondern ist jetzt eine Proktologin.
Natürlich spielt Rot eine große Rolle. Alles aufgerissen, alles kaputt, alles nur noch rot, rot, rot. Darum heißt es auch: „Als rot der Tag begann die Wandlung des Doktor Prokto.“
Susanne / Ist der Zyklus für Dich abgeschlossen?
Sarah / Ja.
Barbara / Wie lange hast Du daran gearbeitet?
Sarah / Über ein Jahr. Anderthalb Jahre. Weil ich nicht viel zum Arbeiten gekommen bin.
Stefan Hayn / Die Bilder haben sich durch die Erzählung schon verwandelt. Ich schaue sie jetzt natürlich anders an.
Sarah / Das war mir auch ein Anliegen. Es ist auch ein bisschen eine Gegenarbeit, eine sehr private, aber doch auch eine allgemeine Arbeit. Ein „Gegensatz“ zum Elend in dieser Welt.
Barbara / Eine Gegenarbeit?
Sarah / Nein, nicht eine Gegenarbeit. Sagen wir mal „private Arbeit“ dazu. „Dagegen“ kannst Du gar nicht arbeiten.
Stefan / Könnte man dann diesen Werkzyklus auch so lesen, dass er ein Statement ist, der Deine Arbeitsweise zusammenfasst? Dass die Malerei oder Deine Art von Malerei an einem sehr sensiblen Punkt ansetzt. Der sogar ganz explizit benannt wird.
Sarah / Ja, das stimmt.
Bertold Mathes / Was mich, seit ich die ersten Bilder von Dir gesehen habe, sehr bewegt, ist die Schönheit, die die Arbeiten haben. Und zwar unabhängig vom Thema. Wenn ein schwieriges Thema im Bild ist, dann ist das schwierige Thema von der Schönheit nicht zunichte gemacht.
Sarah / Ja, das stimmt.
Bertold / Schönheit als Forderung und als Anwesenheit sehe ich immer ganz stark in Deinen Bildern.
Sarah / Nur dass die Schönheit ... ich habe die Schönheit ja nicht als Programm gemalt. Da gibt es innen irgendwo eine Dimension, die man selbst gar nicht so richtig weiß. Eine innere Grundfestlegung, die sich entwickelt hat im Laufe der Zeit. Und ohne die man eigentlich auch nicht mehr leben kann.
Barbara / Kannst Du die in Worte fassen?
Sarah / Sagen wir mal, mein Sinn für Schönheit, der ist ja doch irgendwie aus mir selbst entstanden. Ich bin Autodidaktin. Als ich jung war und zu malen anfing, mit 19 oder eher mit 20, da war um mich herum die moderne Malerei, zum Beispiel Ernst Wilhelm Nay. Das fand ich alles ganz scheußlich und finde ich auch heute noch so.
Du wirst ja nicht mit einem Sinn für Schönheit geboren. Vielleicht hat mich als Kind schon immer und auch später der Glanz und das Kostbare fasziniert. So wie eine Elster vielleicht.
Stefan / Also auch das Schillernde, das Ambivalente.
Sarah / Schon als kleines Kind fand ich das Schillernde aufregend. Vielleicht stärkte es mich auch. Ich bin in einer Einfachheit und so gut wie gar nicht erzogen worden. Die Lebensführung und der Haushalt meiner Eltern hatten puristische Züge.
Susanne / Wenn Du von puristisch sprichst, stelle ich es mir in Deinem Elternhaus puristisch auch im Sinne von „sehr ästhetisch“ vor.
Sarah / Ja, es war nicht lumpig. Purismus ist eine Verkargung.
Susanne / Was meinst Du mit Verkargung?
Sarah / Reduzierung, auch im Ästhetischen. Reduzierung, auf das Wesentliche hinsteuern zu wollen. Noch einfacher, noch einfacher. Nur funktional. Kein Schnörkel mehr dran, keine Girlande, kein Extra-Wort ...
Barbara / Gab es ein Umfeld, in dem Deine Eltern waren?
Sarah / Ja, sie waren in der Reformbewegung.
Barbara / Es kann ja auch eine Mode sein. Oder ist es eine Lebenseinstellung?
Sarah / Das ist eine Lebenseinstellung. Eine Verkargung oder ein Purismus kann auch entstehen, wenn du vieles haben möchtest, was andere haben. Also ein schönes Kleid oder eine wunderbare Hose oder mal wahnsinnig gut Essen gehen. Was aber wahrscheinlich nie möglich sein wird, sich diesen Wunsch zu erfüllen ...
Barbara / Aus Geldgründen oder aus ideologischen Gründen?
Sarah / Aus Geldgründen. Es ist ja nicht alles schlecht, was mit Geld gemacht wird. Man kann sich den Verzicht auch anerziehen ... mühsam, mühsam. Und der funktioniert dann auch. Das geht dann so weit, dass du kein Begehren mehr hast. Das würde ich eine Verkargung nennen.
Stefan / Ich bin mir nicht ganz sicher mit dieser Polarisierung – Kargheit auf der einen Seite. Was wäre der Gegenpol? Der dann mit Deiner Malerei zu assoziieren wäre? Die ja viele Möglichkeiten zulässt, nicht verengt, sondern öffnet. Würdest Du das auch so sehen?
Sarah / „Öffnet“ kann ich nicht sagen. In der Schönheit ist bei mir immer ein Bruch und ein Schrecken. Das ist kein Kalkül.
Bertold / Dadurch ist sie auch so stark anwesend. Wenn die Schönheit konzeptuell gedacht und erzeugt wäre, könnte man sie auch negieren oder wegmachen im Kopf. Es geht um etwas Grundsätzliches, eine grundsätzliche Empfindung von Lebendigkeit. Ich rede jetzt davon, wie die Werke mir begegnen.
Susanne / Wenn wir auf die Atelierwand blicken mit den vielen Einzelbildern, kann man sie einerseits als ein Bild sehen und verstehen. Und gleichzeitig wirkt jedes einzelne Bild auch wie ein ganz starker Ausschnitt, auch durch die starken Gesten. Die Hand ist ja ein sehr starkes Motiv. Vorder- und Hintergrund vermischen sich total. Die Hand ist kein zentrales Motiv, sondern vielleicht schon wieder aufgelöst. Das finde ich interessant, dass das eigentlich zentrale Motiv sich an der Auflösung und Immersion befindet. Diese Vielschichtigkeit der Räume. Und wie der eigentliche Gegenstand zu einem anderen Gegenstand führt.
Sarah / Die Hand ist auf allen Bildern. Sie ist tätig.
Bertold / Ich denke auch gerade, die Hand kommt notgedrungen von außen herein. Der Körper ist außerhalb des Bildes. Und wenn du an der Arbeit bist, reichen ja deine Hände, oder zumindest die Hand, die malt, in das Bild hinein, und dein Körper ist außerhalb. Hat es damit vielleicht auch etwas zu tun?
Sarah / Nein, das nicht. Das hat tatsächlich wieder mit dem Proktologen zu tun. Dass der letztlich doch nichts mit der Hand macht.
Barbara / Du hast vorhin gesagt, die Hände der Patienten ...
Stefan / Was würdest Du sagen, was sie tun?
Sarah / Die Hände beschäftigen sich mit einer Materie, die ist nicht benannt.
Stefan / Es gibt ja schon Bewegungen, bei denen man assoziieren könnte ... öffnen, schließen oder berühren.
Sarah / Ja, ja. Aber eine Materie, nicht einen Körper.
Bertold / Aber die Hand ist selbst aktiv, es ist nicht ein Porträt von einer Hand. Man könnte ja auch ein Porträt einer Hand malen, aber darum geht es eben nicht.
Sarah / Nein, darum geht es nicht.
Bertold / Eines dieser Bilder ist ja eine Landschaft, wenn ich das richtig sehe?
Sarah / Ja.
Bertold / Da ist keine Hand.
Sarah / Doch.
Susanne/Barbara / Da sind zwei Hände.
Sarah / Wie eine Wolke.
Bertold / Ja, klar. Die sind vollkommen da. Aber trotzdem hat es etwas sehr Landschaftliches. Wie ein ferner Ausblick aus dieser Nähe der Hand.
Susanne / Die gehen ja auch eine Liaison ein, die Hände und diese Materie.
Sarah /  Ja, das soll auch so sein. Die stehen nicht vor der Materie und bestaunen sie. Sie versuchen, damit klar zu kommen.
Barbara / Geht es auch um etwas Magisches? Um etwas Nicht-Erklärbares, das passiert?
Sarah / Ja, natürlich. Es ist unheimlich und gefährlich.
Barbara / Nicht erklärbar auch auf eine Weise.
Sarah / Sagen wir mal, die Oberfläche einer Materie ist bekannt, aber man weiß nicht, was passiert, wenn man dahinter kommen würde.
Susanne / Ist die Materie ein seelischer Zustand oder siehst Du die Materie tatsächlich als etwas Abstrakteres?
Sarah / Die Materie ist unbekannt, unerforscht. Und man versucht sich ihr anzunähern durch Farbigkeit, durch Malerei.
Bertold / Die Farbe selber ist ja auch eine Materie, mit Hilfe dieser bekannten Materie wird in einen anderen Bereich von Materie gefasst?
Sarah / Die Farbe ist einerseits konkret, Material, andererseits ist die Farbe ja auch abstrakt. Und es ist ja auch interessant, dass ganz kleine Kinder erst mal gar keine Farben sehen, Kinder oft auch Schwierigkeiten haben, Farben zu bestimmen.
Susanne / Rot ist die erste Farbe, die sie erkennen.
Sarah / Ich hatte einmal einen Text dazu geschrieben.1 Ich hatte Madonnen gemalt. [Auf einem der Bilder] war alles ganz rot, zig verschiedene Rots, wunderbare Rottöne. Und dann konnte ich das Gemalte nicht mehr erkennen, nicht mehr sehen. Kennst Du ja?
Bertold / Die Augen flippen dann aus.
Sarah / Ja, die flippen aus und dich überfällt eine wahnsinnige Müdigkeit.
Bertold / Weil diese Anstrengung immer größer wird, etwas erkennen zu wollen in dem, was man tut.
Sarah / Die Augen müssen wie wahnsinnig arbeiten und du kannst dann irgendwann nichts mehr sehen. Dann denkst du, jetzt sind deine Augen kaputt.
Ich war wirklich verzweifelt. Ich wollte das Bild nur rot haben. Es ging dann wieder, als ich kleine Flächen in anderer Farbe reingesetzt hatte. Ein Grün etwa. Das ist dann eigentlich physikalisch. Wir haben uns auf Farben geeinigt.
Bertold / Wie die heißen und so.
Sarah / Ja, wie sie heißen. Rot sehen wir als Rot, da sagen wir nicht, das ist doch Blau. Rot bleibt Rot. Blau bleibt Blau. Und das ist eigentlich fantastisch.

1 „Tizian starb am 27. August vor 426 Jahren“ (2002), Im Katalog Sarah Schumann, Werke 1958–2002, hrsg. v. Kathrin Mosler, Nikolaische Verlagsbuchhandlung GmbH: Berlin 2003