Kritikkritik-Spezial

2015:November // Andreas Koch, Barbara Buchmaier

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11-2015

Einführung

Nach fünf Jahren wieder ein „Kritik-Spezial“. Lustigerweise macht von hundert das immer synchron zu Texte zur Kunst. Schon 2010 feierte die TzK ihren 20-jährigen Geburtstag im HAU mit einem großen Symposium, während wir im L40 am Rosa-Luxemburg-Platz uns einen Kritiker-Battle unter anderem mit ihrem damals neuen Chefredakteur Sven Beck­stette lieferten. Damals kritisierten wir TzK u.a. für seine offensichtliche Klientelpolitik, ihren Kölschen Klüngel, den sie erfolgreich nach Berlin importierten. Darf und soll das Kritik leisten, die eigene Possie nach vorne schreiben? Darf sie Steigbügelhalter sein oder ist sie nur Korrektiv? Mittlerweile zu ihrem 25-jährigen Jubiläum erscheint die 100. Ausgabe, Isabelle Graw, Mitte zwanzig im Blitzlicht auf der Einladungskarte zum Symposium? Da fragt man sich schon, warum ihr lange verstorbener Mitgründer Stefan Germer nicht mit drauf darf. Jedenfalls wird diese von uns kritisierte Kanonisierung in der Ankündigung zur Gala-Konferenz zum Thema gemacht, sie ist Titel der Veranstaltung („Canon Today“), sie wird zugegeben („…zweifelslos ihren eigenen Kanon geschrieben“), sie wird problematisiert („… Kanonproblem“) und sie wird bejubelt („Kanonisierung allseits gefeierter Künstler/innen“), um dann schließlich verteidigt zu werden ( „…was sie für kanonisch halten … verteidigen“).
Tatsächlich ist das schon immer ein Grundproblem der Kritik: Indem sie versucht, in gut und schlecht zu trennen, entsteht eine Gruppe der Guten. Wenn sie es, wie zum Beispiel TzK, vermeidet, innerhalb der „von ihr erarbeiteten kunstkritischen Methoden“ die Schlechten zu kritisieren, sondern sie durch Nichterwähnung, durch Auslassung identifiziert und andererseits eben die Guten bespricht und kunstkritisch unterfüttert, dann könnte man anstatt von Kanonisierung auch von Marketing, von Affirmation oder einer simplen Ansammlung von katalogtextähnlichen Formaten sprechen. Aber – und das muss man TzK zugute halten –, sie hielten es immer für notwendig, ihre eigene Verstrickung zu thematisieren und ihre eigene Funktion zu beleuchten, ob als selbstreflexiver und -therapeutischer Akt oder als Werbung in eigener Sache bleibt dabei allerdings offen.
Und das wird immer mehr die Frage in Zeiten, in denen die Distribution von Texten sich weiter ins Netz verlagert, in der die Lesegewohnheit sich auf Schnipseltextlänge einpegelt, in der nur noch nach viralem Erfolg gemessen wird, in Klicks und Masse, und nicht nach der Qualität eben auch der Leser geschaut wird – in diesen Zeiten muss die Frage des Ortes und der Funktion von Kunstkritik erneut verhandelt werden. Klar, diesen Vorwurf kann man TzK am allerwenigsten machen, dass sie leicht zugängliches, gekürztes, webtaugliches Textmaterial liefert, aber der Vorwurf der Affirmation, des Marketings, der sich natürlich auch an viele andere Kunstzeitschriften richten lässt, bleibt.
Andere Hefte versuchen sich stärker dem Medium Internet anzupassen. Der Spike-Webauftritt ist neben dem 25-Jahre-TzK-Jubiläum das andere bemerkenswerte Kunstkritikereignis des Jahres. Hier wird versucht, alles richtig zu machen. Bilder dominieren, der Startbildschirm zeigt ständig wechselnde Zugriffe aus unserer bilderbesoffenen Welt. Man ­scrollt durch flächig verteilte Bild/Text-Klickflächen, die unter Rubriken wie „People“, „Discourse“, „Things We Like“ etc. gepostet werden. Art-Critic goes Social Media und natürlich baut Spike hier auch etwas Kritik ein. Der Schritt in Richtung eines Formats wie es das DIS-Magazine liefert, ist dennoch ein großer.
In diesem Heft diskutieren wir in einem längeren Roundtable-Gespräch über die existierenden Berliner Heftformate. Wir ermächtigen uns, über die anderen zu sprechen. Schnell, kritisch, unwissenschaftlich. Wer sollte es sonst tun? Es ist ein nur wenig gefiltertes Derivat, das die Kollegen weniger als ein Gespräch von Kritikern über Kritiker lesen sollten, sondern eher als eine Art externes Hintergrundgeräusch ihrer Produktion, welches – und das kennen wir als von hundert nur zu gut – selten bis in die Redaktionsräume vordringt.
Foto: Christina Zück