Albrecht Dürer und William Kentridge

Kupferstichkabinett

2016:April // Anne Marie Freybourg

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04-2016

Auf der Wippe, auf der Kippe

Die universitären Geisteswissenschaften ahmen jetzt nach, was die naturwissenschaftlichen Fakultäten schon seit längerem tun: Forschungsergebnisse mit sogenannten „Ausgründungen“ in die unternehmerische Praxis zu entlassen. Das Kunsthistorische Institut der Freien Universität hat im Rahmen seines DFG-Programmes zur Frage der Bildevidenz ein „Transferprojekt“ entwickelt. Ziel ist, quasi als Start-up für Museen und Ausstellungskuratoren einen „grundlegenden Beitrag zur Ausstellungstheorie zu leisten.“ So vollmundig textet die Forschergruppe in ihrer Begründung, eine Ausstellung zum Thema „Evidenz ausstellen“ zu planen. Eigentlich ist das die ganz normale Herausforderung, die sich jedem Museums- und Ausstellungskurator beim Konzipieren und Einrichten einer Ausstellung stellt: nämlich Ausstellungen so auf den Punkt zu bringen, dass sie eine gewisse selbstverständliche Augenfälligkeit bekommen. Um visuelle Plausibilität zu finden, braucht es ein scharfes Auge und die Lust, immer wieder neue Konstellationen für die Werke auszuprobieren. Die Ausstellung „Double Vision. Albrecht Dürer & William Kentridge“, eine Kooperation der FU und ihres DFG-Transferprojektes mit dem Kupferstichkabinett der Staatlichen Museen zu Berlin, zeugt von solcher Lust zum Experiment.
Die Idee, Albrecht Dürer und William Kentridge in direkten Bezug zueinander zu setzen, könnte interessant sein, obgleich sie auf den ersten Blick etwas verstiegen anmutet und zudem ein äußerst schwierig zu bewältigendes Qualitätsgefälle impliziert. Überraschend ist auch die Entscheidung, sich auf druckgraphische Werke der beiden Künstler zu beschränken und das Thema der Evidenz auf das Schwarzweiß ihrer Graphiken zu fokussieren. Die Zusammenstellung und der vorgenommene Vergleich in dieser Ausstellung beruht also auf der Prämisse, bei beiden Künstlern wesentliche Teile ihres künstlerischen Schaffens auszublenden. In der Ausstellung, die doch richtungsweisend für den musealen Ausstellungsbetrieb sein will, wird diese kuratorische Entscheidung mit keinem Wort erläutert. Man kann sie nur dahingehend verstehen, dass sich eben nur so die Intention der Ausstellung umsetzen liess, unter Beweis zu stellen, dass sich Evidenz ausstellen lässt. Methodisch kann Komplexitätsreduktion ein probates Forschungsvorgehen sein. Hier hat aber es den Anschein, dass der reduzierende Fokus auf Farbe und Technik das formale Gerüst bilden muss, damit die Ausstellung nicht auseinander fliegt, sich nicht an den evidenten, unüberbrückbaren Differenzen zwischen Dürer und Kentridge selbst zerlegt. Das ist heikel, weil die gezeigten Werke dabei leicht zum Testmaterial eines kuratorischen Willens verkommen können.
Die Werke Dürers sind im Besitz des Berliner Kupferstichkabinetts. Die Werke von William Kentridge kommen vornehmlich aus dem Besitz des Künstlers. Kentridge, der vor Jahren Gast am FU-Forschungskolleg war, war selbstverständlich gerne zu aller Unterstützung bereit, wenn er im weltweit renommierten Berliner Kupferstichkabinett ausstellen kann und noch dazu in einer Konstellation, die eine Nobilitierung seines Werkes garantierten würde. Wie immer bei an Innovationen arbeitenden Start-up-Unternehmen, war man auf jeden Fall neugierig, ob Kentridges druckgraphische Blätter, die sich der konventionellen Mittel der Gebrauchsgraphik und Storyboard-Illustration bedienen, die Belastungsprobe der unmittelbaren Nachbarschaft zu Dürers Blättern aushalten würden. Und man konnte gespannt sein, was überhaupt mit den Werken der beiden Künstler bei dem Versuch der Ausstellung, bildliche Evidenz einzukreisen, passieren würde.

Die Einführung in die Ausstellung übernehmen die Ausstellungsarchitekten Holodeck. Im ersten Ausstellungsraum erfährt man in einer den ganzen Raum einnehmenden Darstellung, was die Ausstellungsarchitektur als „konzeptueller Kontextualismus“ beabsichtigt. Als Auftakt ist das ungefähr so, als wenn man einem Roman eine Erklärung voranstellt, wie sehr die Technik des Buchdruckes, die Wahl des Schrifttypus und der Modus des Verschriftlichens die Erzählung geprägt haben. Hier verbeugt man sich brav vor medienkritischer Didaktik und gleichzeitig wertet man das eigentlich dienende Ausstellungsdisplay zum entscheidenden Modus des Zeigens auf. Das ist einfach flauer Dekonstruktivismus. Und auf den Besucher wirkt es eher verwirrend. Lieber hätte er einführend etwas über das Ausstellungsthema erfahren. Die Leitfragen jedoch und die Gliederung der Ausstellung in 7 Themenräume kann er nur einem Faltblatt entnehmen. Denn man hat außerdem auf Erläuterungen an der Wand, auf zusätzliche Schrift verzichtet, um das Erlebnis der bildlichen Evidenz nicht zu stören. In einer ansonsten von didaktisch guten Absichten geprägten Ausstellung erscheint das widersinnig.
Solche Überraschungen gibt es in der Ausstellung zuhauf. Mitten im Raum trifft man auf eine große Liegefläche mit dicken Kissen, auf denen sich Besucher ausstrecken können und auf die Lichtsegel an der Decke blicken. Dürers berühmte Darstellung eines Rhinozeros (1515–1518) und Kentridges Adaption des wilden Tieres (2007), die an den umliegenden Wänden hängen, kann man von der niedrigen Liegefläche aus nicht gebührend betrachten. Dürers monumentales, hinreißendes Werk „Die Ehrenpforte Kaiser Maximilians I.“ (1515), das selten gezeigt wird und für diese Ausstellung vom Kupferstichkabinett erstmals gerahmt wurde, hängt auf goldenem Grund, weil Gold, so die FU-Kuratorin Elke Anna Werner, Macht symbolisiert. Kentridges Vergleichsstück „Remembering the Treason Trial“ (2013) wird auf rotem Grund gezeigt, weil Rot eben für Blut und Gewalt steht. Den Arbeiten werden inszenatorische Hilfsmittel beigefügt, die, so die Kuratorin, in Bezug auf den jeweiligen Bildinhalt „mit Bedacht gewählt“ seien. Aber braucht der Besucher wirklich eine symbolische Wandfarbe, um die Bedeutung der Bilder erfassen zu können, verhelfen Gold und Rot zu tieferem Verständnis? Das Vertrauen auf die zu testende Evidenz der Bilder schien gering zu sein.
In einem eigenen Kubus sind Dürers „Melancholie“ (1514) und Kentridges Zeichnung „Parcours d’Atelier“ (2007) zusammengestellt. Kentridges Blatt ist eine spielerische Aufzeichnung der räumlichen Bewegungen des Künstlers im Atelier und seiner Wege und Umwege im Kopf, auf der Suche nach dem kreativen Funken. Die Kombination dieses Blattes mit Dürers hochsymbolischer Darstellung zu Kreativität und Intuition des künstlerischen Schaffens hat eine gewisse Sinnfälligkeit. Hier funktioniert das Evident-Machen von Bildbezügen. Und glücklicherweise sind die Arbeiten auf zwei weit genug von einander entfernten Wänden präsentiert. Aber leider hatte man hier noch den Einfall, den Parcours wörtlich zu nehmen. Kentridges Zeichnung wurde vergrößert auf den Boden übertragen und will den Besucher animieren, die Bewegungslinien abzuschreiten. So verkommt die vergnügliche Kopfreise, die Kentridge im Betrachter seiner Zeichnung anregt, zu einer simplen Bewegungsanleitung. Die gedankliche wie bildliche Komplexität von „Parcours d‘Atelier“, weshalb das Blatt einigermaßen neben der „Melancholie“ bestehen kann, wird damit zunichte gemacht.
Mitten im Ausstellungsraum stößt man auf einen Tisch mit viel Literatur zu Dürer, Kentridge und zum Kuratieren. Der wurde von Besuchern, auf ihrer Suche nach Erklärungen, gerne angenommen. Dieser Lesetisch wirkte in der Ausstellung wie ein überraschendes Insert, wie der sinnige Verweis auf die Atmosphäre einer Universitätsbibliothek. Dass aber an der Wand dahinter, in ganzer Länge des Tisches ein Spiegel installiert wurde, in dem sich die Leser beim Lesen betrachten konnten, war ein inszenatorischer Einfall, mit dem dem Besucher der Ausstellungstitel „Double Vision“ noch einmal ordentlich aufs Auge gedrückt wurde. Solche verspielten Einfälle durchziehen die ganze Schau. Und evident wird in dieser Ausstellung, wie der Philosoph Daniel Tyradellis bei einer Podiumsdiskussion anmerkte, „gar nichts“. Man kann dem abschließend noch Folgendes hinzufügen: durch dieses Forschungs-Transferprojekt wird augenfällig, dass die Werke Albrecht Dürers alle Experimente überleben.

Albrecht Dürer und William Kentridge
„Double Vision“, Kupferstichkabinett,
Matthäikirchplatz, 10785 Berlin, 20.11.2015–6.3.2016
Ausstellungsansichten „Double Vision“, Fotos: Anne Marie Freybourg