Sol Calero

Galerie Wedding

2016:April // Agnieszka Roguski

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04-2016

Anderes Anderssein im Anderen?

„Der Wedding kommt“, raunt es seit Jahren in Richtung der distinktionsgesättigten Berliner Bezirke Kreuzberg und Neukölln. Ich komme aus Neukölln in den Wedding. Damit folge ich der Einladung des Bezirksamts Mitte, das in einer der ersten eisigen Nächte des beginnenden Winters mit karibischem Ambiente lockt: Menschen auf Sofas essen Früchte, ihre Unterhaltungen mischen sich mit Salsa-Musik, bunt schillert mir der Raum entgegen.
„Bezirksamt“, das erinnert zunächst an deutsche Bürokratie im Niemandsland der Behördengänge – Zeitzone: Stillstand. Eben dieses Reich der Drehstühle und Filtertüten lebt in Sol Caleros Installation „Oficina Del Cuidadano“ auf; übersetzt in ein absurd anmutendes Exotik-Szenario, geschmückt mit weihnachtlichem Kitsch aus Plastik. Kurz zögere ich, bevor ich zum Obstspieß greife, der zu diesem Zweck von der Künstlerin vorab zu humoristischen Formen zusammengesteckt wurde. Kann ich Skulpturen essen? Mich auf sie setzen, mein Glas auf ihnen abstellen?
Ausdrücklich ja, so wird mir kauend klar. Calero, 1982 in Caracas, Venezuela geboren und in Europa ausgebildet, mischt hier nicht nur ihre eigenen biographischen Hintergründe. Sie bezieht sich auf Techniken von Partizipation, wie sie seit den 1970ern im Rahmen von Fluxus, Happening und einer um sich greifenden Aktivierung des Publikums auf den Weg gebracht wurden, vor allem aber auf die Ästhetik des Environments, speziell jene immersiven Raum-Installationen, die von Hélio Oiticica geschaffen wurden. Im Zuge der Tropicália-Bewegung im Brasilien der 1970er-Jahre pochten sie auf eine eigenständige Identität des banalen brasilianischen Alltags und installierten so im Kultmodell westlich-kapitalistischer Werte, dem weißen Galerieraum, eine heterogene Underclass-Umgebung. Indem Calero die Form des Environments für den Ausstellungsraum wählt, impliziert sie also eine aktive Teilnahme des Betrachters im Werk – eine Situation, in der im Sinne der Bourriaud’schen Relationalen Ästhetik der 90er-Jahre neue Beziehungen geschaffen werden. Fremde Welten – oder vielmehr die Welt außerhalb des Ausstellungsraumes – scheinen mit diesem Prinzip betreten zu werden; es geht um Offenheit, Austausch und Aktion. Was vielleicht nicht nur an einem kulturellen Impuls zur Grenzüberschreitung und Gastlichkeit liegen mag, sondern auch am Selbstverständnis der Gäste: Das Publikum will längst nicht mehr als solches bezeichnet werden, eher als Co-Akteur, Teilnehmer oder Teil des Kunstwerks, das selbst zur künstlerischen Praxis umgedacht wurde. Wir befinden uns im Fluss.
Flexibel ist damit nicht nur die Beziehung des Betrachtens – denn auch bei Calero heftet kein schweigender Besucher den Blick auf die ebenso stille Skulptur –, sondern auch die Beziehung zum Raum, in dem sich Kunst entfaltet. Im Wedding behauptet er sich weniger durch bestimmte Objekte, als durch eine bestimmt gewählte Ortsbezogenheit, den karibischen Bezug zum deutschen Bürgeramt, die ein performatives Ereignis entstehen lässt. Was aber ereignet sich hier überhaupt? Kann von einer Geste der Gastfreundschaft und einer Öffnung der starren deutschen Bürokratie gesprochen werden, wie es der Bezirksrat tut? Einer Intervention im „Post Otherness Wedding“?
Der Eingriff, in dem ich mich befinde, irritiert tatsächlich. Aufgelockert scheint nämlich weniger ein Amt, als die grell ausgeleuchtete, sakrale Cleanness des White Cubes, der plötzlich laut und bunt, mit ästhetischer Verwandtschaft zu Künstlern wie Nicolas Party daherkommt. Lassen wir durch diese Art der Teilnahme im Werk die üblichen Festschreibungen hinter uns? „We all believe in the principle of participation“, so Kunsthistorikerin Irit Rogoff in ihrem Essay „How to Dress for an Exhibition“; „What we rarely question is what constitutes the listening, hearing or seeing in and of itself.“
Caleros Exotisierung des Amtsalltags einerseits und karibischer Migranten-Identität andererseits verschränkt sich in einer bizarr-bunten Harmonie, die mit feinsinnigem Humor das Alltägliche als bereits exponiertes und arrangiertes Szenario verschiedener kultureller Anteile ausstellt; ein partizipatives Präsentieren dessen, wie kulturelle Klischees sich überhaupt wechselseitig zur Schau stellen. Die Installation hält allerdings noch komplexere Verweise auf ‚Andersheit‘ bereit. Exponiert wird auch eine eher kunstferne Weddinger Umgebung, die hier als ehemaliges Amt samt kunstexterner Gäste mit inszeniert wird. An Kunst partizipierend?
„Take care of your belongings“, wird im Galerieraum verkündet, als die ersten Handtaschen verschwunden sind. Der Granatapfel essende Ebay-Verkäufer von Fertighausbauteilen will am Ende lieber meine Telefonnummer als meine Meinung. Gossip und Flirt gehören zu jeder Vernissage; dennoch ist es gerade die Symbolwelt unseres Kunstbürgertums, das einen Raum, ob als Environment, Event oder mit Petersburger Hängung, zu einem Kunstraum macht – und letztlich alle, die an dieser Symbolwelt teilnehmen, zu den eigentlichen Akteuren erklärt. Wer darin anderes sucht und sieht, scheint vielleicht nicht fehl am Platz, schon gar nicht in einem Post-otherness-Environment, aber wirkt ebenso absurd arrangiert wie die trashigen Schreibtische des Bezirksamts. Er wird Teil einer Umgebung und Kulisse, die sich durch künstlerische Intervention definiert. Und die grenzt sich vielleicht weniger von globalen Andersartigkeiten ab, als gerade vom Lebensstil des Nahbereichs. Reicht es also aus, dass meine Freundinnen kurz vor Mitternacht in der Installation Filterkaffee kochen, ihn in weiße Plastikbecher gießen und auf bunten Sofas trinken? Ist das potenzielle Transformation, in der sich kritische Überlegungen zum othering, dem Auslagern des Anderen zur Bestätigung der eigenen Identität, einlösen?
Das Andere bleibt anders und wir bleiben unter uns. Im Gegensatz zu den Zielen der Tropicália wird nicht das Banale zur Stärkung der eigenen Identität aufgewertet und re-inszeniert, sondern das eigene Vermögen ausgestellt, die Banalität eines Ortes nach den Regeln der Kunst umzugestalten. Vielleicht ist es weniger der Blick aufs Exotische, der neue Perspektiven freilegt, sondern die Exotisierungen, die wir, das Kunstpublikum, in Vitrinen, Environments oder inmitten eines städtischen Organismus schaffen. Auch unter der Geste des Willkommens kann letztlich nur mitmachen, wer in der Lage ist, die feinen Unterschiede zu erkennen, die ein Kunsterlebnis ausmachen.
Ausgestellt wird damit vielleicht nicht nur unser „Blick auf das Andere“, sondern ein Spektakel, das das „Andere“ erst zum Anderen macht. Interessant ist, dass es letztlich auch wir sind, unsere Logik der Kunstwelt, die exotisiert und exponiert wird: als Konvention, die sich nicht „ganz“ einlöst, als absurdes Spektakel, das aus Beobachtern Produzenten macht. Mit einer humorvollen und amtlich beglaubigten Verfahrensweise.

Sol Calero „Oficina Del Cuidadano“, Galerie Wedding – Raum für zeitgenössische Kunst Müllerstraße 146/147, 13353 Berlin, 20.11.2015–16.1.2016
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