Wo ich war

2016:April // Esther Ernst

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04-2016

SELVA LUCA 2. Dez. 2015
Acht Fenster
Architektur Galerie, Berlin

+ Thomas Woodtli hat mir von der Ausstellung erzählt (weil er sie glaub’s gehängt hat?) und sie hängt auch schön. Fünf Fenster im Massstab 1:1 zeigen den Ausblick aus dem Generationenhaus in Binningen: den Garten, die Nachbarhäuser und einen wunderbaren Blick über ganz Basel. Gleichzeitig spiegeln sie die Architektur der Innenräume. Die extravaganten Fensterrahmen sind zugleich Bilderrahmen. Schön und schon oft gesehen. Der Fotograph Andreas Thein arbeitet mit diesen Durchblicken und Rahmungen zum Beispiel seit Jahren sehr bestechend.
Und nun, wo ich mir den Galerienzettel durchlese, stutz ich aber doch: das sind ja gar nicht Selvas Fotos, sondern die von Yohan Zerdoun. Öh, aber wieso taucht der denn so unprominent und beinahe nebensächlich auf? Und wieso läuft die Ausstellung unter Selvas Namen (der hat ja rein faktisch mit diesen Arbeiten gar nix zu tun...). Alles bissel seltsam, nicht?


DOUBLE VISION 2. Januar 2016
Albrecht Dürer / William Kentridge
Kupferstichkabinett, Berlin

+ das ist eine tolle Gegenüberstellung und die Kuratoren haben die Berührungspunkte und Differenzen der beiden gut aufeinander abgestimmt. Die Ausstellung ist nicht überladen, sondern bietet einen unterhaltsamen Parcour der ein Hin- und Herschauen, Vergleichen aber auch ein individuelles Eintauchen ermöglicht. Dazwischen kann man sich auf nem Teppichpodest ausruhen oder an Tischen studieren.
Ganz besonders figgerig machte mich Dürers monumentales Holzschnittwerk zur Ehrenpforte Maximilians I. Eine gigantische Schauwand aus 192 Druckstöcken, ein detailliertes Wimmelbild voller Schlachten von 1526, angefertigt für den ritterlichen Dekozweck.
Daneben eine 63-teilige Litographie-Karte von Kentridge mit dem Titel „Remembering the Treason Trial“ von 2013. Eine Visualisierung eines Landesverratsprozesses während der Apartheid. Ein grausamer Lebensbaum auf Buchseiten über Goldminen(?) gedruckt.


AKERMAN CHANTAL 5. Jan. 2016
D’Est
Kiono Arsenal, Berlin

+ „Aus dem Osten“ ist ein Reisefilm, der in Berlin beginnt und in Moskau endet. 16 mm, ohne Dialog. Im Sommer geht’s los und die Kamera wird auf öden Kreuzungen postiert. Frau Akerman nimmt sich Zeit für den ungeschminkten, intimen und endlos belanglosen Alltag. Dann verweilen wir am Ostsee-Strandbad, auf polnischen Feldern, wo Frauen Kartoffeln auflesen, in manchen privaten Räumen, in denen Brot geschnitten oder Radio gehört wird... Langsam versinkt man im Kinosessel und in den stehenden Bildern und wird zum unaufgeregten Beobachter. In Moskau baut sie Schienen auf und fährt mit ihrer Kamera Busstationen ab, an denen dick eingemummelte Menschen in Pelzmützen Schlange stehen. Inzwischen ist es Winter und ziemlich dunkel. Die russischen Gesichter leuchtet sie wie italienische Renaissancegemälde aus, wird dann und wann auf russisch beschimpft und nach ihrer Filmerlaubnis gefragt (und natürlich fragt man sich, wie sie es aushält, den Leuten so dermassen ins Gesicht zu filmen), ansonsten ist es still, sehr still.


JANKOWSKI CHRISTIAN 22. Jan. 2016
Retrospektive
Contemporary Fine Arts, Berlin

+ Erst das Plakat mit Nina Hoss in der Stadt entdeckt und mich dann natürlich gewundert, warum die jetzt eine Retrospektive von Jankowski in der CFA kuratiert und gleichzeitig gedacht: ja, der macht alles richtig und stimmig und clever und gut gelaunt. Und ich freu mich auf die Ausstellung, lese Interviews mit Nina Hoss, bin bizzli begeistert und gespannt, was mich erwartet.

In der Ausstellung (die nicht anders ausschaut als sonst) schmunzle ich über „Horst war hier“, stehe fasziniert im selbstgebauten Biolek-Küchenstudio, kann die Hotelzimmerdenkraumserie schlecht verorten, die Karaoke Box scheint nicht zu funktionieren (war bestimmt ein Hit bei der Eröffnung) und das Deichtorhallenvideo find ich deswegen interessant, weil Jankowskis Leichtigkeit mit seinen knackigen Alltagsverschiebungen mir hier erstmals dumpf erscheint. Und das Kino mit Filmen von 1992 bis 2015 ist sehr toll!


GUSMAO JOAO MARIA + PEDRO PAIVA 24. Jan. 2016
Papagaio
Kunst-Werke, Berlin

+ vielleicht wird man in dieser Ausstellung selbst ein bisschen zur Schildkröte, wie die im Film „Turtle“ und guckt ebenso minutenlang unbeirrt in diese Projektionen und bewegt sich automatisch in Zeitlupe von Film zu Film, eingelullt von den ratternden 16-mm Projektoren und den verlangsamten Bildern. Vielleicht versinkt man aber auch in Trance, wie die Voodoo-Praktizierenden in dem Papagaiofilm, wenn man sich einen Sonntagnachmittag lang in der dunklen Filmwelt der beiden Portugiesen aufhält und in die poetischen, meist statisch aufgenommenen Bilder schaut, in denen nicht viel passiert, aber genug, um bei der Stange gehalten zu werden.


AI WEI WEI 16. Feb. 2016
Fassade, Konzerthaus Berlin

+ Da haben sie den Richtigen nach einem Statement zur prekären Flüchtlingssituation gefragt. Vielleicht ist Ai Wei Wei der neue Günter Grass, wenn es darum geht, dass ein Künstler ein intellektuelles Machtwort sprechen soll. Und natürlich macht er das prima. Er dekoriert die Säulen des prominenten Konzerthauses am Gendarmenmarkt mit 14.000 leuchtend orangenen und gebrauchten Schwimmwesten der Insel Lesbos. In der Mitte hängt eins dieser lebensgefährlichen schwarzen Gummibote mit dem Hashtag #safepassage. Alles sehr medienwirksam und als Aktion durchaus erfolgreich. Und ich weiss auch gar nicht, was mich daran skeptisch stimmt. Vielleicht, dass die Installation gleich nach der Filmgala wieder abgebaut wird und die Aktion dann eher wie ein Werbegag nachhallt. Offenbar ist Ai Wei Wei gerade mit Dreharbeiten über Flüchtlinge und ihrer Ankunft auf dem Berliner Flughafen Tempelhof beschäftigt.


THE BOTTICELLI RENAISSANDE 2. Jan. 2016
Gemäldegalerie, Berlin

+ liegt es echt nur am Marketing, dass eine Ausstellung zu einem Hit wird und dermassen lange Warteschlangen produziert, dass man den Appetit verliert? Es kann doch nicht sein, dass sich plötzlich so viele Menschen für Botticelli interessieren, nicht aber für den Dürer nebendran?! - Und dann stinkt’s in den überfüllten Ausstellungsräumen und Menschen treten sich auf die Füsse und schubsen, weil man die Infoschilder kaum lesen kann. Und mich machen derartige Schauen eh wuschig und leider auch latent aggressiv, also bummel ich bloss mit grossem Abstand durch die Exposition. Sandro hat natürlich fantastische Madonnas gemalt und die kommen auf dem nachtblau eingefärbten Holzeinbau fantastisch zur Geltung. Im Gegensatz zu den Werken von Berühmtheiten wie Bill Viola oder Sherman oder Degas oder Warhol oder so, die sich mit ihren Werken auf Botticelli beziehen, in ihrer Verschiedenartigkeit aber ein bisschen verloren wirken und man eben wieder auf die Infos angewiesen wäre, die allerdings im Dunkeln der Wand verschwinden, dort wo man geschubst wird...


VILLA MASSIMO 25. Feb. 2016
10 Jahre zu Gast im Marin-Gropius-Bau, Berlin

+ das ist fürchterlich, wenn man nach zehn Sekunden weiss, dass es total schwachsinnig war, hergekommen zu sein. Und dass mir das doch hätte klar sein müssen, dass dieses Event nix für mich ist (und sich mitnichten an die lustige Massimo-Veranstaltung bei Anja in der Villa Serpentara letztes Jahr anschliessen lässt). So bildete ich mit meiner Begleitung eine deplatzierte Insel in dem hochkarätig geladenen Kunstgedöns. Und das hat sich leider auch kein bisschen heiter angefühlt, weil da so fürchterlich ernst rumgestanden wurde und man sich rundherum vornehm gegrüsst hat und ein paar Künstler wie Künstler aussahen und ich sofort dachte, ich bin ein Nix und Niemand. Dann wollte ich wenigstens die Kunst gucken und ein Konzert hören, aber die fünf angekündigten Reden hatten schon reichlich Verspätung, so dass ich das Aussenseiterdasein nicht weiter ertrug.


ROSEFELDT JULIAN 24. März 2016
Manifesto
Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart – Berlin

+ es ist stets ein und dieselbe Schauspielerin (Cate Blanchett), die in 13 parallel laufenden Screens in diverse Rollen schlüpft und aus verschiedenen Manifesten zitiert. Das fällt einem aber kaum auf, weil Text und Szene so perfekt miteinander verwoben sind. Es hat nur ewig gedauert, bis ich mich in dieser Mega-Installation aus satten Filmbildern und teilweise synchronisierten Textstellen zurechtgefunden hab. Mal sind wir inmitten einer Beerdigung, mal bei einer Probe des beknackten Friedrichstadtpalast-Balletts, mal im Wohnzimmer einer streng religiösen Familie, an der Börse, im Nachrichtenstudio, im Atelier einer Puppenspielerinn, mal in einem Band-Proberaum oder auf nem Edelkunstgedöns... Und Blanchett spielt grandios, die Settings sind bestechend, nur mein englisch und meine Manifest-Kenntnisse sind zu schlecht, als dass ich wirklich Spass an diesem irrsinnigen Arrangement gehabt hätte.
Alle Fotos: Esther Ernst