Exo-Evolution

ZKM Karlsruhe

2016:April // Seraphine Meya

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04-2016

Entdecken, erfahren, spielen – eine Ausstellung zur Rettung der Welt

Lösungen zur Rettung des 21. Jahrhunderts werden dringend benötigt. Plastik aus dem Ozean beispielsweise soll für immer verschwinden, CO2 und Methan aus der Atmosphäre bis zu einem tolerierbaren Anteil ebenso. Nahrung und Leben sollen wir drucken können und wenn das mit dem gesunden Ozean und der reinen Atmosphäre doch nicht klappt, bräuchten wir eine biotechnologische Alternative als Lebensraum.
Das Zentrum für Kunst und Medientechnologie (ZKM) in Karlsruhe macht sich ganz konkret an die Rettung der Welt und stellt Überlebensmethoden zusammen. In der Ausstellung „Exo-Evolution“, einem Teil der GLOBALE, werden Utopien und Dystopien biotechnologischer Möglichkeiten in Versuchsaufbauten simuliert.
Das kleine charmante Huhn, das einen im Eingangsbereich gurrend begrüßt, ist ein Kunstprojekt. Es ist ein kosmopolitisches Huhn, das hier mit seinem Partner lebt, eine Querzüchtung aus allen Rassen weltweit. Hühner leben eigentlich monogam. Ihre Polygamie ist menschengemacht ebenso wie ihre physiologische Ausformung: Das französische Huhn ist rot-weiß-blau, das amerikanische ist das größte Huhn. Durch gezielte Züchtung greift der Mensch seit Jahrhunderten in die natürliche Selektion der Evolution ein und verändert die eigentlich nützliche biologische (=Bio) Mischung (=Mista). 65 Milliarden Hühner werden jeden Tag geschlachtet und 60 Millionen Tonnen Eier jedes Jahr verbraucht. Koen Vanmechelens interdisziplinäres Großprojekts „La Biomista“ verbindet wissenschaftliche, politische, philosophische und ethische Fragestellungen miteinander und beleuchtet unseren Umgang mit der Natur kritisch.
Der Mensch machte sich die Natur zu Nutze, ohne sich selbst als Teil dieser zu begreifen und verändert sie, ohne die genauen Folgen zu kennen. Um mit den Konsequenzen dieser exzessiven Nutzung, die nun auftreten, umgehen zu können, sind weitere Manipulationen nötig. Eine Kooperation zwischen dem Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und dem ZKM stellt die Züchtung von Mikroorganismen vor, die schädliche Chemikalien aus dem Meerwasser verwerten können. Pinar Yoldas, Künstlerin und Neurowissenschaftlerin, geht noch einen Schritt weiter. Sie entwickelte spekulative Organismen, die Plastik verwerten können (Plastivoren) und solche, die Plastik von Schadstoffen reinigen können (Petronephros). Wieder auf dem Boden der Tatsachen werden im Laboratorium von Klaus Fritze Pappeln gezüchtet, die Sonnenenergie und CO2 hocheffizient in Biomasse verwandeln sollen. Aline Veillat hingegen hybridisiert Pflanzenorganismen mit Robotertechnik, sodass sie sich ihren eigenen Wünschen und Bedürfnissen nach bewegen können. So „baut“ sie Pflanzen, die sich dem Klimawandel anpassen können und autonom handeln. Für den Fall, dass mit Fortschreiten des Klimawandels Pflanzen in unserer Atmosphäre nicht mehr überleben können, entwickelt „ecoLogicStudio“ ein neuartiges biodigitales Gartenhaus, das erneuerbare Energie und Nahrungsmittel produzieren kann. Eine Nachbildung der Natur soll dem Menschen der Zukunft Zuflucht bieten und gleichzeitig alle Bedürfnisse befriedigen, inklusive eines grillenartigen Sounds, der sich den Bewegungen der Besucherin anpasst. Zwischen all den biotechnologischen Entdeckungen, die einen Mehrwert für unser Leben versprechen, haben die Kurator/innen auch immer wieder eine Metaebene mit kritischen Stimmen untergebracht, die Fortschritt und Richtung hinterfragen. So nimmt Lynn Hershman Leeson diverse gentechnische Veränderungen der letzten Jahrzehnte unter die Lupe und fragt, welche Folgen diese haben könnten. Sind gentechnische Veränderungen überhaupt ethisch vertretbar? Welche politischen, sozialen und gesellschaftlichen Folgen haben sie?
Und auch die Frage danach, ob die Geschichte, die uns erzählt wird, überhaupt die einzig wahre ist, wird aufgeworfen. Camille Henrot mischt Schöpfungs- mit Wissenschaftsgeschichte, wirft alle Religionen zusammen mit Legenden und Traditionen in einen Topf und rührt kräftig um. Zu rhythmischem Trommelbeat werden diese Konzepte und Ideen in Gedichtform als Sprechgesang formuliert. Ebenso frei legen sich Bilder und Videos aus dem Internet und aus der Naturhistorischen Sammlung des Smithsonian Institute in Washington, D. C. über- und nebeneinander. Die Künstlerin eröffnet mit dieser „intuitiven Entfaltung des Wissens“ einen spielerischen Umgang mit unserer Geschichte. Es liegt an uns, die Geschichte nach unserem Gusto weiterzuerzählen.
Die Ausstellung „Exo-Evolution“ ist eine grundsätzlich demokratische Ausstellung – sie legt eine Diskussionsbasis und informiert über Möglichkeiten, Risiken und Nebenwirkungen der gegenwärtigen Forschung. Die Besucher/innen wandeln durch Räume mit komplexen Versuchsaufbauten, in denen Organismen leben oder Roboter auf Interaktion warten. Hinter jeder Wand tauchen neue mögliche Entdeckungen auf und die Geräusche von autonom agierenden Geräten und Systemen locken sowohl physisch als auch theoretisch immer tiefer in das Gemisch aus Forschung und Kunst. Dabei wird zeitgemäß deutlich, wie Fachgrenzen verschwimmen, Künstler/innen wieder zu Universalgelehrten werden und Wissenschaftler/innen zu politischen Akteur/innen. Der Ausstellungsraum wird zum offenen Diskursraum, der nicht nur informiert sondern auch einlädt weiter zu denken und zu handeln. Seit Jahren folgt das ZKM diesem Ansatz und die Globale als sich wandelnde, festivalartige Großausstellung nimmt die großen gesellschaftlichen Themen in Angriff. Nach „Global Control and Censorship“, „Infosphäre“ und „Exo-Evolution“ fragt das „Finale der Globale“ nichts Geringeres als „wie werden wir über/leben?“ Diese Fragen des 21. Jahrhunderts sind zu dringlich, als dass man ihre Verhandlung den EU-Abgeordneten hinter verschlossenen Türen überlassen könnte. „Demokratie ist eine Mitmach-Gesellschaft“, sagt Peter Weibel, Kurator der Globale. Und deshalb sei das ZKM ein „Mitmach-Museum“. Der „Kulturkonsument“ wird zum Mitdenken aufgefordert. Doch wie weit? Darf die Besucherin die Unabhängigkeit vom Energiekonzern EnBW fordern, weil es im Kontext dieser Ausstellung fragwürdig erscheint, dass dieser Konzern als Sponsor auftritt? Das Leben auf dieser Erde sollte nicht, wie momentan üblich, nach den Interessen von Großkonzernen gesteuert werden, sondern nach den Interessen aller Wesen, die den Planeten bevölkern und bewachsen. Um das allerdings möglich zu machen, ist es wichtig, sich die Folgen des viel beschworenen Anthropozäns bewusst zu machen. Wissen ist die beste Medizin. Damit man das Wissen allerdings immer dialektisch begreifen kann und es in seiner diskursiven Wurzel versteht, ist eine Ausstellung eine gute Grundlage, um das Spielerische in Wissenschaft, Geschichte und Philosophie wieder zu entdecken. Erst kann man Grenzen erkennen, seien sie fachlich, historisch oder gedanklich, um sie dann fliegend zu überwinden.

„Exo-Evolution“, ZKM / Karlsruhe, Lorenzstraße 19,
76135 Karlsruhe, 31.10 .2015–28.2. 2016