Vanity Fairytales

Pokenale

2016:September // Elke Bohn

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09-2016


Pokenale

Es war diese neunte wohl die erste Biennale in Berlin, bei der das Wetter im September schöner war als das im August. Man flanierte venezianisch zu und durch Straßencafés, parlierte beim Spritz und spazierte durch Parks, grazierte über Wiesen und auch Trottoirs.
Doch niemals nicht allein. Stets ward etwas in der Hand gehalten. Hier aus Glas, dort aus Holz und auch aus Plastik gibt’s das immer wieder. Manch Schöngeist spricht hinein in das Gerät, das Ding. Doch die Mehrheit, die hält es vor sich her, trägt es ehrfürchtig herum und scheint überhaupt recht aufgeregt. Doch es geht dabei nicht um die Welt, es wird nur gespielt. Möchte man meinen.
Auf diesen Dingern, wie sie doch hier und da genannt werden, spielen die jungen Menschen in diesem schönen Teil dieser interessanten Stadt, Pokémon GO. Möchte man meinen. Dass das auch nicht ganz stimmen kann, das kann man sich ja eigentlich denken.
Es ist ja wieder einmal Biennale in Berlin und da liegt bei noch mehr als sonst der begründete Verdacht nahe, dass es sich möglicherweise um Kunst handelt. Auch hier ist genau das wieder mal ein Treffer und es werden statt kleiner süßer Monster nun Kunstwerke durch und über die Monitore gejagt.
Besonders blöd seien die Fotos von Calla Henkel und Max Pitegoff zu erhaschen, wegen dieser verflixten Spiegelwände. Einfach nicht viel zu machen, außer oft dagegen zu rennen.
Wie viel herrlicher waren und sind hier die Werkgruppen von Camille Henrot zu fangen? Wahnsinn! All die schönen Antworten, all die schönen großen und bunten Gemälde, all die installierten Drucke. Hier konnten sich die fangenden Rezipient*innen nur selbst behindern. Sie glitten aus, nur imaginär, nun dennoch, und wählten unökonomische Routen in und durch die Räume. Gefährlich für das Tempo, äußerst gefährlich.
Toll implementiert und virtualisiert wurden die Arbeiten von Katja Novitskova. Was in der echten Wirklichkeit gedruckte Hörner und Flammen waren, die als Installation interessierten und suggerierten, sind es nun virtuelle solche, die in diesem Raum real brennen. Wer also trödelt, für den war’s das. Prinz Bummelletzter will hier niemand sein und wild und mit quietschenden Stimmen untermalt werden die Smartphones geschüttelt was das Zeug hält. Oder eben das Ding. Die Nutzer*innen der hölzernen Varianten ängsteln etwas mehr. Dafür zerdeppern die gläsernen schneller und wirklich äußerst effektvoll.
Auch Alexandra Pirici ist in beiden Welten gleichermaßen unterwegs, reell virtuell, also virtureal. Ihre Signals werden, einmal mit der bbIX-App von Pokémon GO, eigenständig eingefangen und wuseln immer wieder einmal durch die Szenerie. Als Gesichter oder Kunstwerke ein Treffer, die kann man fangen oder auf die Jagd schicken. Bezeichnen oder markieren sie jedoch Möbel, Büsche, Autos oder so, dann verfängt sich der/die neuzeitliche Jäger*in darin.
Josephine Pryde macht hier, genau hier, eine neue Arbeit. Sie fotografiert, mit einer tollen und teuren und nicht Smartphone gestützten Kamera, die Menschen und ihre Telefone. Allerdings nur, wenn sie nicht damit telefonieren, sondern spielen, zocken, daddeln, fangen und dabei sind. Wo diese Fotografien ausgestellt werden, das erzählen die Neuen nicht niemandem.
Das ist natürlich schade, denke ich und denken andere. Doch nur, bis wir auf Juan Sebastián Peláez stoßen. Und auch, der alte Fuchs, wieder in beiden Wirklichkeiten. Der wirklichen, also der echten, unseren, normalen und eben realen. Auch in der virtuellen, der besseren, derer, die man verändern kann. Jedenfalls, wie dem eben auch sei, sind seine hocherotisierten und dennoch kopf- oder vielmehr gesichtslosen Göttinnencorpi eine Sensation. Die schiere Größe wirft einen wieder einmal mehr in seine Bahn zurück. Im digitalen Falle hat er derart interpretiert eine Gruppe junger Menschen, rumour has it Lauren, Solomon, Marco und David. Sie schütten sich etwas Red Bull in das große Nichts über den Schultern und laufen leicht wippend und voller energischer Relevanz durch die Linienstraße. Dabei will sie ein Eisverkäufer haben sagen hören: Kunst kann so schön sein!
Quelle Internet