Konferenz zur „Idee des globalen Museums“

Hamburger Bahnhof

2017:März // Anne Marie Freybourg

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03-2017

Das Welt-Zuhause

Im Auftrage – oder im offiziellen wording: „auf Initiative“ – der Kulturstiftung des Bundes und ihrer künstlerischen Direktorin Hortensia Völckers sollten sich 2016 zwei deutsche Museen darum bemühen, ihre Sammlungen moderner und zeitgenössischer Kunst daraufhin zu sichten und neu zu organisieren, inwieweit Künstler, die nicht aus Europa oder Nordamerika stammen, mit Werken in ihren Sammlungen vertreten sind. Die Kunstsammlung NRW in Düsseldorf und die Nationalgalerie in Berlin sollen jeweils eine Ausstellung zum Thema machen und damit Vorreiter für eine Neuausrichtung der deutschen Museen moderner und zeitgenössischer Kunst sein.
Nachdem im Januar 2016 in Düsseldorf eine erste Konferenz zu „Museum Global“ und später eine Tagung zu diesbezüglichen Fragen der Museumspädagogik stattgefunden hatten, gab es am 2. und 3. Dezember 2016 in Berlin eine zweite Konferenz zur „Idee des globalen Museums“.
Die Kunstsammlung NRW und ihre damals noch amtierende Direktorin, die umtriebige Marion Ackermann, hatten den Ball der Kulturstiftung des Bundes bereitwillig aufgegriffen und das Thema begeistert als längst überfällige Debatte über die bisher wenig beachteten künstlerischen Regionen der Welt promotet. Der Vorwurf, dass der Kanon, nach dem die deutschen Museen die Kunstgeschichte der Moderne und der Gegenwart aufbereiten, ein „eingeschränkter“ sei, erscheint politisch korrekt und daher einleuchtend.
Udo Kittelmann, der Direktor der Nationalgalerie der Staatlichen Museen Berlin, schätzte in seinem Eröffnungsstatement dies Thema ganz unverhohlen als ein weiteres Problem für die Nationalgalerie ein, die schon viele andere Probleme zu bewältigen habe. Man hatte den Eindruck, dass ihm diese zusätzlich aufgebürdete Last geradezu die Schultern niederdrückte.
Wenn man den Blick auf die „anderen Modernen“, wie Marion Ackermann sie nennt, in Südamerika, Afrika oder Asien richtet, welche Perspektiven eröffnen sich dann? Weiß man schon, ob es eine oder mehrere Modernen gab? Oder ist anzunehmen, dass man die bisherige Geschichtsschreibung der modernen Kunst lediglich ergänzen wird?
Muss man, um den bisherigen Kanon der europäischen und nordamerikanischen modernen Kunst als zu euro- und amerika-zentristisch kritisieren zu können, die sogenannten „anderen Modernen“ als „exzentrische“ bezeichnen? Was soll das bedeuten? Wird damit nicht von vornherein suggeriert, dass es keinesfalls eine, sondern nur mehrere Modernen geben kann?
Selbst wenn im Ergebnis der neuen Forschung zum „Museum Global“ die globale Kunstentwicklung sich als eine Mehrzahl von Modernen herausstellen sollte, so stellt sich dann noch die Frage nach der Gleichzeitigkeit oder Ungleichzeitigkeit der verschiedenen Modernen.
Wer je konkrete „Feldforschung“ über moderne und zeitgenössische Kunst in den anderen Kontinenten der Welt betrieben hat und für das Verständnis der dortigen Kunstproduktion nicht ethnographische, sondern ästhetische Kriterien in Anschlag gebracht hat, weiß, dass man bei solcher Feldforschung auf die große Schwierigkeit stößt, die Kunst eines bestimmten Zeitabschnittes aus z.B. Australien oder Indien unmittelbar in Vergleich zu setzen mit der zum gleichen Zeitpunkt in Europa und Amerika entstandenen. Die verschiedenen Kulturen und ihre Kunst hatten und haben auf Grund ihrer unterschiedlichen Geschichten auch unterschiedliche Tempi. Das hat zur Folge, dass die verschiedenen Regionen der Welt zu unterschiedlichen Zeitpunkten in den Prozess der gesellschaftlichen Modernisierung eintraten.
Aus eigenen Erfahrungen mit der modernen und zeitgenössischen Kunst in so unterschiedlichen Ländern wie Australien und Indien würde ich eher die These befürworten, dass man von einer Moderne sprechen sollte, aber dass diese im globalen Maßstab sich über einen sehr langen Zeitraum erstreckt: vom Beginn der europäischen Moderne in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis heute. Eine solche Betrachtung setzt natürlich ein anderes Zeitverständnis voraus. Es ist nicht mehr die chronologische Erzählung klassischer Historiker. Eher geht es um eine Erzählung, die nicht eine strikt lineare, sondern zeitlich verschränkte oder versetzte Sicht auf die Entwicklungen der Kunst ermöglicht.
In Berlin wurde wohlgemut vom „global turn“ gesprochen und ihm wird sogar die Bedeutung eines Paradigmenwechsels zugewiesen. Darunter tut man es nicht mehr. Aber man könnte stattdessen auch einfach sagen, dass sich die Neugierde der Museen heute endlich auch auf die Kunstproduktion anderer Kontinente richtet. Aber eindrucksvoller und befriedigender ist es natürlich, wenn man sich für dieses Unterfangen in das Büßergewand der bösen Exkludierer – oder eben der scheinbar reumütigen, dabei aber trotz Verspätung erhabenen Aufklärer – wirft.
Die anderthalbtägige Konferenz in Berlin umfasste einzelne Erfahrungsberichte, wie man sie auch auf einer ICOM-Konferenz erleben kann. Einige Referenten kamen aus Ländern wie England oder die Niederlande, die auf Grund ihrer Geschichte der Kolonialisierung mit der Herausforderung eines globalen Museums schon vielfältige Erfahrungen gesammelt haben. Die Referenten aus Manila, Buenos Aires, Lima oder Ljubljana berichteten darüber, wie sie entweder unter größten Mühen eine Sammlung moderner oder zeitgenössischer Kunst aufbauen, weil die Museen kaum Geld haben, um selber zu sammeln. Es gleichzeitig in ihren Ländern kaum Sammler gibt, die den Museen substantielle Schenkungen oder Leihgaben geben könnten. So sind sie meist auf einzelne Sammler und deren individuellen Geschmack angewiesen und kaum in der Lage, ein eigenes Konzept ihrer modernen und zeitgenössischen Kunst zu präsentieren.
Ob das Team um Kittelmann, das die Konferenz organisiert hat und eine Ausstellung in diesem Jahr zur Revision der Sammlung der Nationalgalerie erarbeitet, interessante Anstöße für das geplante Vorhaben erhielt?
Es fehlten bedauerlicherweise die entscheidenden methodischen Fragen zur Kanon-Neudefinition, wer definiert wie was, und zur Kriterienbestimmung für die Qualität von Kunstwerken sowie Fragen des Kuratierens und Ausstellens.
Zur Frage der Qualitätskriterien: gibt es schon Kriterien für einen transregionalen Kanon? Auch die Frage nach der Ausstellungsmethodik: wie könnte man schlussendlich die neu sortierte Sammlung ausstellen? Sollen die europäischen und die außereuropäischen Kunstwerke nebeneinander gezeigt werden, wie es 2015 in der Ausstellung „Affecting Presence and the Pursuit of Delicious Experiences“ in der Menil Col­lection in Houston als Experiment versucht wurde? Oder sollen sie in ihrem jeweiligen kulturellen und sozialen Kontext rekonstruiert werden, wie es im Ansatz mit der aktuellen Ausstellung „Postwar 1945–1965“ im Haus der Kunst in München probiert wird?
Ich sehe grundsätzlich ein Problem darin, wenn den Museen von der Politik, hier der allmächtigen Kulturstiftung des Bundes, Themen einfach verordnet werden. Besser wäre es, die Kulturstiftung und Kulturpolitik würden darauf hören, wo den Museen aktuell der Schuh drückt. Dass sie nämlich kaum Kapazitäten haben, eine vernünftige und tiefere kunsthistorische Erforschung und kuratorische Ausarbeitung ihres normalen Ausstellungsprogramms leisten können. Es ist daher verständlich, dass Kittelmann in seinen einleitenden Worten ob des neuen Auftrages ziemlich stöhnte. Wie immer das Ergebnis der Ausstellung im Herbst 2017 aussehen wird, die Kulturstiftung des Bundes kann für sich reklamieren, die angeblich „verschlafenen“ deutschen Museen aufgeweckt und aufgefordert zu haben, zur Sache zu kommen und ihren Kanon zu überprüfen.
Die wichtigste Frage, die hätte aufgeworfen und vielleicht schon hätte beantwortet werden müssen, bevor die Museen sich jetzt eifrig in die Arbeit stürzen, ist aus meiner Sicht die Frage des Bewertungsmaßstabes. Wenn fast überall auf der Welt gegenwärtig Kunstwerke von Künstlern geschaffen werden und wenn auf Grund der weltumspannenden Kommunikation wir davon Kenntnis haben bzw. haben könnten, kann man dann daraus schließen, dass diese Kunstwerke alle vergleichbar sind und nach einem einheitlichen Maßstab beurteilt und bewertet werden können? Das Maß des Gegenwärtigen, der Zeitpunkt der Entstehung der Werke ist dafür keine belastbare Grundlage. Da es nicht nur einen Kanon der europäischen Kunst gibt, obgleich das gerne polemisch behauptet wird, können die einem Kanon jeweils zugrundeliegenden Maßstäbe nur im Rahmen einer sehr genauen Analyse der jeweiligen Kontexte und Bedingungen der Entstehung der Werke verstanden, kritisch geprüft und getestet werden.
Die Referentin Clémentine Deliss forderte im Hinblick auf einen solchen Test, die Forschung „offen ins Museum zu tragen“. Sie meinte damit, dass man Wissenschaftler anderer geisteswissenschaftlicher Disziplinen, auch Naturwissenschaftler und Künstler, mit den Artefakten „arbeiten“ lassen sollte. Deliss hat das in Frankfurt mit den Objekten der ethnographischen Sammlung des Weltkulturen Museums erproben lassen. Es stellt sich aber die Frage, ob das auf ein Kunstmuseum übertragbar ist? Wenn man diese Art der Öffnung der wissenschaftlichen Museumsarbeit propagiert, sollte man den möglichen Erkenntnisgewinn, den man zwar vorher nicht exakt bestimmen kann, doch zumindest als Forschungshypothese formulieren können. Sonst mutet eine solche Neufassung der Museumsforschung möglicherweise nur wie ein experimentelles Spiel von Assoziationen, Analogien und freien Einfällen an.
Ähnliches wurde im Hamburger Bahnhof zuletzt schon mit der Ausstellung „Das Kapital. Schuld – Territorium – Utopie“ ausprobiert. Es war eine Ausstellung mit vielfältigen Anregungen und Bezügen, die sich aber im Poetischen verlor. Durch die Eigenwilligkeit der begrifflichen Synthesen – in denen zum Beispiel die monetäre Schuld mit moralischer Schuld zusammengeschlossen wurde – und im breiten Strom visueller Ähnlichkeiten zerfranste die Ausstellung. Dieser Versuch führte vor, was passiert, wenn eine Ausstellung als „zeigendes Medium“ überdehnt wird. Schöne viele Splitter im Auge des Betrachters, aber eben kein wirklicher Erkenntnisgewinn.

Konferenz „Idee des globalen Museums“ Hamburger Bahnhof,
Invalidenstraße 50–51, 10557 Berlin, 2.–3.12.2016
Screenshot der Konferenz „Idee des globalen Museums“, Hortensia Völckers, Hamburger Bahnhof, 2016