10 Jahre Twitter – 10 Milliarden likes – 10 Jahre iPhone – 10 Jahre „von hundert“ – wir gratulieren!

Ein 10.000-Zeichen-Chat mit Google Search

2017:März // Stephanie Kloss und Joachim Blank

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03-2017



Ist „von hundert“ das hundertprozentige Gegenteil von Twitter? Hier ein kleines Spartenmedium mit viel Text und dort eine große Hülle mit wenig Text? Twitter – eine Methode, die ohne Content wirkungslos bleibt und nun durch Trump zum Monster wird … warum?
Und „von hundert“? Wenig verbreitet … ein Elfenbeinturm und Diskursraum für 100?

Trump hat nur 18,4 Millionen Follower – Obama über 80 Millionen. Aber auch als Nicht-Follower werden wir mit Tweets von Trump versorgt …, weil andere Nachrichtendienste zu freiwilligen Retweetern werden. Jede Trump-Meldung sichert Auflage, Likes und andere Quantitäten. Denn der alte Mann, 70, schreibt seine Tweets noch selbst und exklusiv auf Twitter – ganz spontan, schnell … und natürlich immer ehrlich. Emails schreibt er keine. Er lässt sich diese ausdrucken, macht handschriftlich Bemerkungen, welche dann wieder gescannt werden. Vertrauliche Papiere kommen und gehen per Kurier. Spuren sollen nicht hinterlassen werden. „Kein Computer sei sicher.“ Sicher ist auch nicht, ob er die Technik beherrscht oder überhaupt googeln kann. Tweets schreibt er nur von seinem altem unsicheren Galaxy S3 – Yes – Make Galaxy S3 Great Again and forget Hillary’s email problem? „Sperrt sie ein, sperrt sie ein!“

Twitter ist sein Leitmedium! Ist er nun für oder gegen das Internet? Na klar beides – dafür und dagegen ist sein Motto!
Er schreibt einfach, was er denkt und was eigentlich auch viele andere denken. Er spricht ihnen aus dem Herzen. Gesunder Menschenverstand. Ein Mann aus dem Volk. Aus echtem Holz geschnitzt. Barack Obama dagegen hatte nur ein Office, das das Medium Twitter neben den vielen anderen bedient: wenig geschmacklos, soft und langweilig – no Sensation!

Der Deutsche Werner Herzog, 74, besitzt angeblich nicht mal ein Smartphone, noch weniger einen Twitter-Account. Wer ihn erreichen will, muss es zwischen 8 und 9 morgens auf seinem Festnetzanschluss in LA versuchen. Ein Literaturprofessor aus Michigan hat mehr als 45 000 Follower des Twitter-Accounts @WernerTwertzog damit angezogen, dass er „­Wernerisms“ tweetet, Aphorismen, die nach Herzog klingen und jedes Jahr an Herzogs Geburtstag gibt es den „Tweet Like Werner Herzog Day“. „Im Internet gibt es offensichtlich eine ganz intensive Reaktion auf mich. Ich vermute, es liegt daran, dass es dort sonst keine authentischen Figuren gibt. Bei mir wissen die Leute, dass ich ein hundert Tonnen schweres Dampfschiff über einen Berg im Urwald geschleppt habe (für den Film ,Fitzcarraldo’) … “, sagt Herzog.
2016 drehte er, der seine Telefonnummern in einem Büchlein ganz analog nachschlägt, tatsächlich einen Dokumentarfilm über das Internet. Ein klassisches Werner-Herzog-Thema: etwas, das in seiner Idee größer ist als der Mensch, das dieser aber dennoch zu beherrschen glaubt, obwohl er es in Wirklichkeit nicht einmal begreift …
Der Film beginnt, wo auch das Internet einst angefangen hat:
Wagnerianisch eröffnet er mit einer Fahrt auf das Heiligtum, einen Raum an der UCLA, in dem ein Schrank von Computer steht, von dem aus 1969 die erste Email geschickt wurde. Herzog nennt es in seinem mit starkem deutschen Akzent überartikulierten Englisch den „Ground Zero“ des Internets. Von LA nach Stanford sollte sie lauten: „Log in“, 5 Zeichen … bei dem Buchstaben G crashte der Computer in Stanford und die ersten Worte von einem Computer zum anderen waren LO, wie in Lo and behold: „Sieh da!“ (Ecce Internet …) so auch der Titel des Films.
Schnell wird klar, das Internet besteht zwar aus Metatext und Hyperlinks, doch es fehlt an metaphysischer Betrachtung. Der Philosoph Marcus Steinweg sagt, dass Realität eine metaphysische Konstruktion ist. „Der Klebstoff, der ihre Elemente verbindet, kann Geld heißen oder Liebe oder Gott.“ Oder eben Twitter.
„In nicht allzu ferner Zukunft wirst du Gedanken tweeten können“, sagt der Hirnforscher Marcel Just im Film – eine schreckliche Vorstellung von Trumps Gedanken: „Big beautiful boobs and buildings, big beautiful boobs and buildings.”(SNL, nbc). Ja, Internet ist eben ein gutes Stück Realität.

Apropos Buildings: die neue Facebook Zentrale in Menlo Park, Silicon Valley – Frank Gehry, 87, hat sie gebaut: das größte Großraumbüro der Welt.
Dennoch steht dort kein riesiges glitzerndes dekonstruiertes Raumschiff, man erkennt das Gebäude kaum. Aus der Luft ist es des Dachgartens wegen fast nicht von der Umgebung zu unterscheiden. 400 Bäume wachsen darauf. Eine Ästhetik des Unsichtbaren, gebaut vom expressivsten Architekten, dessen Bauten mehr unübersehbare Skulptur als alles andere sind. Wie kann das sein? Das Gebäude duckt sich, es tarnt sich, als ob es einen Angriff aus der Luft zu fürchten hätte. Das Erste, was man sieht, ist nicht der Neubau, sondern ein blauer Daumen, das Symbol, das für alle erkennbar ist als Zeichen der neuen Macht: Karrieren können mit Likes gemacht oder beendet werden. Die Massenabstimmung über Like-Buttons hatte man sich 2007 bei Facebook ausgedacht. Heute ist der nach oben zeigende Daumen die eigentliche Währung.
Alle wichtigen Hightech-Unternehmen lassen gerade Neubauten errichten. Apple lässt Sir Norman Foster einen monströsen Ring aus Glas für 13.000 Angestellte bauen. Allein der Innengarten wird einen Durchmesser von einem halben ­Kilometer haben. In Mountain View baut Bjarke Ingels für Google eine Art Zeltdach-Zukunftsvision. Google residiert in Venice auch in einem Gehry-Bau, der aussieht wie ein umgedrehtes Fernglas … Während Teslas Elon Musk auf den Mars will, sieht die neueste Architektur im Valley wie aus einem alten Sience-Fiction aus. Umso erstaunlicher, dass Facebook auf solch antiquierte Repräsentation keinen Wert zu legen scheint, sondern einen künstlichen Naturzustand bevorzugt. Wird hier das Prinzip des Relationalen und Immateriellen in Architektur umgesetzt? Eyal Weizman hat von Architektur als in Beton gegossener Politik gesprochen. Eine in Beton gegossene Ideologie der Unsichtbarkeit? Ist alles schon soweit durchdrungen, dass nun auch die Natur einverleibt wird? Das gelebte Anthroprozän oder schon weiter – die echte Natur? Eine präfaktische Glaubensfrage. Der phänomenologische Blick von Facebooks begrüntem Dach in die Weite kann nicht klären, wo Facebook beginnt und die Natur aufhört. Oder doch nur eine zweite Natur, dessen begrüntes Headquarter uns als freundliche Naturgewalt begegnet. Frank Gehrys Bau ist ein Wendepunkt, weil er so tut, als ob er keine Skulptur sei und kein Signet sein will. Alles nur Lüge? Ganz im Sinn von Facebooks Mission stellt sich diese Architektur als Graph dar. Eine relationale Architektur. Erst die formale Ausgestaltung der Relationen („Likes“) akzelleriert die Umwandlung von Knotenpunkten zu Signets – wie bei Trump. So gesehen ist diese Architektur radikal funktional … Sie sieht aus, als sei sie die größte aller Garagen, in denen dem Valley-Mythos zufolge alle wegweisenden Ideen entwickelt wurden – und zwischen den offenen Lüftungsschächten, dem Kabelwirrwarr, wirkt der Innenraum auch wie der Bauch eines Computers, ausgebreitet im größten offenen Grundriss der Welt, der auf über 40.000 Quadratmetern immer wieder neue räumliche Anordnungen zulässt.
Gegen die nostalgischen Zukunftsbilder von Apple und Amazon hat Gehry hier den Bautypus einer organischen Architektur à la Scharoun entworfen, deren entwickelte Form „eine biologische, psychologische und soziale Zweckmäßigkeit“ anzustreben scheint. Ist das eine Fake-Architektur? Geht es hier wirklich um funktionale Aspekte oder zeigt sich nicht doch die Botschaft, das Unsichtbare durch eine unsichtbare Architektur sichtbar zu machen? Denn dem Immateriellen wird hier deutlich sichtbar eine Form gegeben. Also ist das Facebook-Headquarter als Statement-Architektur nicht doch auch eine Signet-Architektur? Eine architektonische Idee sei nur dann klar, wenn sie auf dem Rücken eines Streichholzheftchens skizziert werden könne. Übersetzt man diese Aussage Peter Zumthors ins digitale Zeitalter könnte sie lauten: Eine architektonische Idee ist nur dann klar, wenn sie als Passwort zum WLAN-Netz herhalten kann. Oder definiert sich Architektur als Kiste, Halle oder Lager wie sie wieder für das Internet-Zeitalter als Giga-Serverfarmen, Retail-Center neu entstanden sind und nun von Herzog & De Meuron im Entwurf einer Scheune als Berliner Kunstmuseum bestätigt werden: Schließlich geht es in beiden Fällen nicht nur um die Beherbergung von „Körpern“, sondern auch von riesigen Mengen echter Hardware – Computer und Kunstwerke.
Und noch mal Architektur und Film. Der gerade angelaufene Film „Jackie“ zeigt, wie die Sechziger alles vorweggenommen haben. Eine komplett durchgeknallte Performance, eine irrsinnig gute Show einer Frau: Natalie Portman als Jackie Kennedy, die nur im White House all ihre gegebene „Macht“ in Form von Teppichen, Tapeten und Möbeln beweist. The Oval Office als State of the Art, als Platzhalter für enttäuschte, machthungrige Seelen. Eine Frau, die sich der Medien zu bedienen wusste und diese manipulierte durch ihre Distinguiertheit. Wie absurd das Gefälle zu Melania, zu Trump, der den Sender abc durch die Räumlichkeiten führte, einzig wichtig war dort das Foto der Inauguration, auch dass Tausende hinzuretouchiert wurden … Die letzte Hoffnung könnte noch Tochter Ivanka sein, deren Instagram Account „Women who work“ gleichzeitig Familie und Schmuck zu Business macht, ihr jüdischer Mann als engster Berater des Vaters, Family First vor America First. Ist „von hundert“ Familienersatz?
„Just setting up my twttr“, der erste Tweet 2006, war dagegen nur eine unscheinbare, smarte Zeichenkette. Unprätentiös, bescheiden, praktisch unsichtbar. „Nah dran sein“ ist die Losung bei Twitter …, wenn die Wade zwickt ­(Christiano Ronaldo, 49,2 Mio. Follower). Wieviele Follower sind wohl Fake-Follower? Macht das einen Unterschied? Kommt es wirklich auf die Masse an? Übrigens in Deutschland hat Ströbele die meisten Fake-Follower (59 % von 100 %) und von Storch hat nur 13 %. Und was sagt uns das? Produzieren Fake-Followers auch Fake-News? Werden aus Fake-News, dem Leugnen von Fakten im Postfaktischen, am Ende doch Fakten? Je abwegiger die Lüge, desto größer die Aufmerksamkeit, desto mehr Likes, desto mehr Follower.
Ist alles Lüge? Wie lange dauert es, die Lüge zu entlarven? Und was bleibt von der Lüge hängen? Wird am Ende die Lüge zur Wahrheit? Und wer setzt diese Lügen in die Welt?
Zum Beispiel irgendeine kleine Agentur in z.B. irgendeiner Kleinstadt z.B. in einem Billiglohnland wie Mazedonien. Bots, die Meinung machen. Ein zwitschernder Spatz, der zur Ente wird. Je mehr Kapital, desto größer das Potenzial für Aufmerksamkeit? Übrigens @VIVATRUMP1 (Latino vota trump) ist auch Follower von Christian Ströbele – wie kann das denn sein? Wow, darüber müssen wir jetzt erstmal nachdenken.
Wird am Ende Trumps Präsidentschaft auch nur ein Fake gewesen sein? Botornot.co? Der Russe?
Andreas Koch hat keinen Twitter-Account und kein Facebook-Profil. „Von hundert“ genauso wenig. Emails lässt ­Andreas nicht auf sein iPhone 3, er möchte sie nicht mit sich rumtragen, obwohl er noch keine 50 ist. Vor 10 Jahren wurde das erste iPhone vorgestellt, ist Andreas in 20 Jahren Bundeskanzler?
Und wieviele Follower hat eigentlich die „von hundert“?

Just setting up my vn hndrt.








iPhone, Januar 2007
iPhone 7, September 2016