Wo ich war

2017:März // Esther Ernst

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03-2017

JANKOWSKI CHRISTIAN 16. Sept. 2016
Ehibitions are the best excuses
Michael Fuchs Galerie, Berlin

+ „Mit einer Ausstellung kann man viele Probleme ansprechen oder gar lösen, sich allerdings auch viele einhandeln. Das ist oftmals der beste Grund, wieder mal eine Ausstellung zu machen“. Jankowski wurde 2002 von vier mexikanischen Künstlern in deren Projektraum nach Mexiko eingeladen und erlebte dort anscheinend eine unvergessliche Party. Nun sprachen Martin Klosterfelde, Michael Fuchs und Christian Jankowski eine Gegeneinladung aus: Das Ausstellungskonzept besteht darin, dass jeder so viel von seiner Kunst mitbringt, wie in den Koffer und durch den Zoll passt, der Rest wird in Berlin geschaffen.
Das allerhübscheste sind die zwei Teppiche von Jankowski selbst. Ein gewebtes Kroki, wie man in der Schweiz sagt. Ein von Hand skizzierter, einfacher Plan mit einer Wegbeschreibung. Als Teppich sieht das Kroki super aus und über den winzig eingekringelten Ozean im Vergleich zum riesigen Parkplatz daneben haben wir uns alle gefreut.



IMHOF ANNE 17. Sept. 2016
Angst II
Hamburger Bahnhof, Museum für Gegenwart, Berlin
+ Ihre Werbe-Performance-Fotos sind mir natürlich schon aufgefallen, weil die so eine cleane Modesprache sprechen und sich die Performer wie Models verhalten und so ist das auch in live. Die riesige Haupthalle bändigt Imhof mit einer Nebelmaschine und spärlichem Licht. Sie unterteilt den Raum in verschiedene Aktionsorte mit ordentlich aufgereihten Requisiten, spannt ein Hochseil mittendurch die Halle, stellt Wendeltreppen rein oder hängt Boxsäcke auf. Die Performer sind jung, dünn und traurig, aber bestimmt. Sie „rasieren“ sich gegenseitig diffizile Körperstellen, öffnen mit Vorliebe (und verstärktem Sound) Colalightdosen, singen melancholische Lieder, schauen in Pose gebracht starr in die Menge, durchschreiten den Raum, sind miteinander in Kontakt, verfehlen sich aber dauernd. Dann fliegt eine Drohne durch den Raum und hunderte Besucher laufen ihr nach, während ein Performer einen Baseballschläger hin und her rollt. Imhof produziert unglaubliche Bilder und eine ganz seltsame Atmosphäre, ein wenig verstörend und packend zugleich.



RANNER ALEXANDRA 30. Okt. 2016
Karmakollaps
Georg Kolbe Museum, Berlin
+ah, jetzt erinnere ich mich, Elmar hat sie mir mal vorgestellt, die Alexandra, und wir waren auf irgendeiner komischen Party. Nun steh ich ziemlich beeindruckt inmitten ihrer Ausstellung. Beklemmende Stimmungen, kurz vor dem Untergang, haben es ihr offenbar angetan. Und desolate Räume, die vielleicht eher von den Menschen erzählen und diese spiegeln als umgekehrt. Ranner inszeniert Räume als Modelle, fotografiert sie ab, oder baut sie gleich 1:1 und hält auf Video fest, was Marthaler im Theater schafft: langsame, traurige Bilder voller Hoffnungslosigkeit. Und ähnlich wie bei Marthaler muss man manchmal lachen, wenn zwei ältere Männer im Schwitzshirt plötzlich von ihren Sesseln trollen und ungelenk tanzen, während in einer Ecke ein olles Computerspiel vor sich her blinkt. In ihrem Werk wechseln sich Prints mit Skulpturen, Videoräumen und Rauminstallationen ab und vermitteln ein homogenes und gleichzeitig schwer zu beschreibendes Bild. Alles sehr seltsam. Und im Gartenhausbunker singt einer Bachs Kantate ich habe genug und ertrinkt im Fluss.


DAS KAPITAL 1. Nov. 2016
Schuld, Territorium, Utopie
Hamburger Bahnhof, Berlin

+ Ist ja abgeknallt, mir war gar nicht klar, dass hier ein ganzes Universum, eine Enzyklopädie oder ein „Brain“, wie man diese Art von Ausstellung auf der letzten Documenta nannte, zu Beuys’ Kapital eingerichtet wurde. Und ich schaue so gerne in Brains und finde Bezüge von einem Armreliquar aus dem 14. Jahrhundert zu einem Helm aus Krokodielrückenhaut von 1855 aus Westafrika zu Andreas Fischers Bürosesselinstallation grossartig und erhellend. Mich macht diese Art von Weltzusammenstellung glücklich. Auch wenn ich natürlich ultra überfordert bin mit der Durch-dringung jedes einzelnen Werks und seinen Bezügen zu den Nachbarn, zu Beuys, seiner Kapitalthese (die ich noch nie verstanden hab, falls man die überhaupt verstehen kann...) und den Totschlag-Themenfeldern Schuld, Territorium und Utopie. Und die Kuratoren (wer denn eigentlich???) haben ein feines Begleitheft herausgegeben, damit man in dieser Überbordung nicht verloren geht. Alles ganz, ganz toll! Noch mal hin.


HAVEKOST EBERHARD 6. Nov. 2016
Inhalt
Kindl – Zentrum für zeitgenössische Kunst, Berlin

+ Kirsten sagt, dass ist der Gerhard Richter aus dem Osten.


BAUSCH PINA und das Tanztheater 30. Nov. 2016
Martin-Gropius-Bau, Berlin

+ zum Ausflippen ist das Dokumentationsvideo, auf dem die ältere Pina vor einer Projektion mit Aquariumsfischen tanzt. Sie bewegt sich reduziert an Ort und Stelle, während im Hintergrund ein riesiger Goldfisch mit seinen Bauchflossen zittert. Und beiden, Fisch und Bausch, guckt man unglaublich gerne zu. Und staunt nicht schlecht, wie die Bewegungen einander beeinflussen. So einfach können Verschiebungen, Vergrösserungen oder Zusammenstellungen die Wahrnehmung verändern.
Dann turnt eine Schulklasse in Pinas nachgebauter Probebühne, einem alten Kinosaal, der im Gropiusbau im Atrium steht (für welches Stück hat Pina ihre eigene Probebühne eigentlich nachbauen lassen?). In kleinen Gruppen haben sich die Schüler Bewegungen aus den vielen Tanzvideos abgeschaut und tragen sie mit grosser Ernsthaftigkeit und Freude vor ihren Mitschülern vor. Und ich denke, soll noch einmal einer sagen, dass Kultur nix nutzt. Diese 9-jährigen Kinder sind inmitten dieser Ausstellung der lebende Gegenbeweis.


SCHLEIME CORNELIA 5. Dez. 2016
Ein Wimpernschlag
Berlinische Galerie

+ ich finde es schon beeindruckend, mit welch unglaublicher Furchtlosigkeit Cornelia Schleime arbeitet und offenbar keine Berührungsängste mit Kitsch oder Romantik hat. Und unbefangen märchenhafte Zeichnungen mit symbolisch ultra aufgeladenen Haarzöpfen fertigt. Oder diese oll wirkenden Portraits, überhaupt Portraits und dann noch mit Tieren kombiniert, in dick aufgetragenen Acrylwürsten neben dünn aufgeplatzten Lasuren. Fantastisch. Sie zeigt lustig übermalte Afrikafotos aus den 80-ern neben einer Reihe Bondageversuchen, oder eine herrliche Fotoserie zu ihrer Stasiakte (nur in den Reisetagebüchern darf man leider nicht blättern). Und dann wird man in ihren Super-8-Filmen um Jahrzehnte in eine unmittelbare Experimentierwelt zurückgeworfen, in der das Machen, Bauen, Verkleiden und Erzählen so sehr im Vordergrund stand. Ist total anstrengend zum Gucken, aber dieser Spieltrieb ist so toll anzusehen.


RIMINI PROTOKOLL 28. Dez. 2016
Situation Rooms
HAU II, Berlin
+ es ist ein bisschen wie das Pokémonspiel, oder der Videowalk von Cardiff + Miller von 2009, ebenfalls im HAU. Jeder Zuschauer kriegt ein iPad in die Hand gedrückt, zieht Kopfhörer auf und folgt den vorproduzierten Bildern und Anweisungen, die genau das zeigen, was in Wirklichkeit vorzufinden ist. Man betritt also die Bühne und wird dort zum Akteur. 20 Geschichten rund um das Waffen- und Kriegsgeschäft werden aus verschiedensten Perspektiven verhandelt und alle Zuschauer schlüpfen in diverse Rollen und spielen nach, was ihnen auf dem iPad vorgeführt wird. Technisch ein perfekter Ablauf in einem imposanten Bühnenbild, alles sudokuhaft ineinander verwoben. Nur dass ich vor lauter iPadkonzentration (einmal nicht hingeschaut, hängt man sofort ab und ist verloren, begibt sich zum Notausgang und wird von einer Mitarbeiterin wieder anschlussfähig ins Setting positioniert) mich kaum auf den Inhalt einlassen kann. Das fühlte sich hinterher ein bisschen wie Geisterbahn an, und als wäre ich gar nicht wirklich da gewesen, also physisch. Seltsam.


FAST OMER 29. Dez. 2016
Reden ist nicht immer die Lösung
Martin-Gropius-Bau, Berlin

+ah, das ist immer die gleiche Familie, die am gleichen Tisch Rosenkohl mit Kartoffelstock und Braten isst. Und die haben einen Sohn, der auf die schiefe Bahn gerät und sich für den IS interessiert. Noch bevor er zur Bundeswehr geht, wird er vom Auto überfahren. Und dann holen sich die Eltern immer neue Soldatensöhne nach Hause und spielen Familie. Alles herrlich schrecklich. Und zwischen den Videoräumen hat Omar Fast Warteräume jeglicher Art nachgebaut, da laufen dann noch mehr Videos auf Screens, für die hatte ich aber keinen Nerv mehr. Zumal ich eine ganze Weile fasziniert bei dem „Bumsfilm“ hängen blieb, weil Fast da die Ebenen von Porno und Hippieeltern und freier Liebe und Kindsmissbrauch so erschreckend und überraschend und überzeugend miteinander verwob. Überhaupt kann der den ganzen Weltwahnsinn gut in Form verpacken und erzählen. Krass.


Alle Fotos: Esther Ernst