Katharina Grosse

Hamburger Bahnhof

2020:August // Anne Marie Freybourg

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08-2020

Ein Sommerspaß

Ich hätte nicht gedacht, dass ich die Museen doch so vermissen würde. Ich freute mich riesig, dass ich wieder ins Kupferstichkabinett und die Gemäldegalerie gehen konnte. Und besonders gespannt war ich auf die Wiedereröffnung des Hamburger Bahnhofs. Katharina Grosses Arbeit „It Wasn't Us“ war für die große Halle angekündigt.
Was sich im Titel als Tat eines Unbekannten tarnt, ist eine gigantisch große Farbarbeit in der Halle, im Außenraum und an den Wänden der Rieckhallen. Besucher konnten den Eindruck haben, „als hätte Gott Unmengen Farbe ausgegossen“. Auf Tausenden von Quadratmetern hat Katharina Grosse zusammen mit ihrem Team hektoliterweise Buntfarben versprüht und den Ort spektakulär und farbenfrisch besetzt.
Katharina Grosse hatte sich früh von der Leinwand als alleinigem Handlungsfeld der Malerei gelöst und den Einsatz von Farben in Raumecken oder an Hauskanten ausprobiert. Mit der Sprühpistole aufgetragen, ergab dieser Einsatz von Farbe eine verblüffende Auflösung, gleichsam ein „Durchstreichen“ der architektonischen Vorgaben. Ein solches Vorgehen löste einen Überraschungseffekt aus und brachte der Künstlerin erste Aufmerksamkeit.
In der Kunstgeschichte war schon ausgiebig erprobt worden, Farbe mit dem Gewicht ihres Materials im freien Fall zu verschütten oder zu vertröpfeln. Den Auftrag der Farbe dirigierte, damals bei Jackson Pollock oder später bei Fred Thieler, kein Pinsel mehr, sondern der Zufall des Fallens, Auftreffens und Zerfließens. Das Material der Farbe traf auf das Material der Leinwand. Es entstanden amorphe Farbformen und eine neue Bildform. Es war ein Materialprozess, den die Künstler zwar initiierten, aber nicht kontrollieren konnten und wollten.
Die frühen gesprühten Wandarbeiten von Katharina Grosse schienen an solche Farb- und Malprozesse anzuknüpfen. Aber der entscheidende Unterschied war: Bei Grosse konnte sich die Farbe beliebig im Raum ausbreiten, fehlte der Widerstand der Bildgrenze. Gleichzeitig gewann durch den Einsatz der Sprühpistole die Kontrolle wieder Überhand über den Farbauftrag, wie man an der Berlinischen Galerie sehen konnte, als Grosse anlässlich der Verleihung des Fred-Thieler-Preises 2003 die Außenkante des Gebäudes bearbeitete. Das in den Raum strebende Amorphe und Wuchernde dieser Wandarbeiten war interessanterweise nur der Anschein von Zufall und Prozesshaftigkeit.
In den folgenden Jahren begann Grosse, für die Farbe den Widerstand zu anderen Materialien zu suchen. Sie setzte nun die Farben über Möbel, auf Baumstämme, in Landschaften und Stadträume. Im nächsten Schritt begann sie, sich für ihren Farbeinsatz von real gegebenen Trägern zu lösen und eigene Umgebungen zu entwerfen. Für ihre Ausstellung „Shadowbox“ 2009 in der Temporären Kunsthalle Berlin hatte sie überdimensionierte Glasfiber-Scheiben konstruiert und farblich bearbeitet. Die Scheiben, wie aus einem Ellipsoid herausgeschnitten, waren zusätzlich mit Löchern und Einschnitten zum Raum hin durchlässig gemacht. 2014 im Kunsthaus Graz wurden, wie für eine Theaterkulisse, weiche Kunststoffmatten zwischen Kisten und Kästen gelegt, über die dann die Farben im Sprühverfahren ausgebreitet wurden. Gleich darauf hat sie in Düsseldorfer Kunstpalast die Ausstellungshalle komplett mit von der Decke hängenden Tüchern ausgeschlagen. Die Verbindung von Tuch zu Boden stellte von außen hereingetragene, aufgeschüttete Erde her. Dieser „Erd/Vorhangraum“ wurde zum Träger und zum Ort für die Farben.
Um die immer größer werdenden Dimensionen des Farbeinsatzes zu bewältigen, hatte Grosse schon lange von der handlichen Sprühpistole, die sie nur noch für ihre Bildproduktion benutzt, auf den Kompressor und einen Galgen für die Sprühpistole umgestellt. Damit wurden langgezogene Farbaufträge, große, alles bedeckende Gesten möglich. Vielleicht sollte eine „immersive“ Wirkung erzielt werden, sollte der Betrachter sich von Farbe umhüllt fühlen. Aber merkwürdigerweise stellte sich zum Beispiel in Düsseldorf keine Verbindung zwischen der Kulisse und den Farben her. Man durchschritt zwar einen ziemlich großen, verblüffend gestalteten Raum, aber erlebte man ihn als Farbraum? Auch jetzt im Hamburger Bahnhof stellt sich bei mir nicht eine solche Wahrnehmung der Farbe ein.
In der ehemaligen Bahnhofshalle ist es Katharina Grosse gelungen, Farbe als eine explosive Raumintervention zu setzen. Auch hier brauchte die Farbe einen gegenständlichen Träger. Steht man, vom Eingang kommend, an der Rampe zur Halle, blickt man auf eine große skulpturale Form, die mit bunten Farben überzogen ist. Die spitze, gestaffelte Form erinnert ein bisschen an die berühmten Eisschollen auf dem Bild von Caspar David Friedrich, aber eher mutet sie wie ein zerschelltes, futuristisches Raumfahrzeug an. Die Farben bedecken auch großflächig den Fußboden und werden dann über das Ende der Halle hinaus in den Außenraum gezogen. Wie in einem etwas verrückten, weil sehr aufwendigen Wegesystem wird der Besucher hinüber zu den Rieckhallen gelockt. Dort landet die Farbe an den Außenwänden der Lagerhalle, in einer Mischung aus Graffiti und fast klassischer Wandarbeit.
Katharina Grosse deklariert diese ortsbezogenen Arbeiten als Malerei. Das ist für mich aber, trotz ihrer Erläuterungen, nicht ganz nachvollziehbar. Als Versuch, sich als Künstlerin unbedingt in die große Tradition der Malerei einreihen zu wollen, ist es zwar verständlich. Aber die Arbeiten muten nur aus der Sicht einer Drohne wie gemalte Bilder an; oder in Gottes alles überblickender Schau. Für den menschlichen Betrachter ergibt sich nicht wirklich ein Gemälde, ein Bild, das sich ihm gegenüberstellt.
Natürlich kann man Farbe, wie Katharina Grosse erklärt, überall auftragen, auf alle Oberflächen und Materialien. Aber es scheint mir ein Kurzschluss zu sein, ein solches Tun als erweiterte Form der Malerei zu behaupten. Grosses ungewöhnliche Handhabung der Farbe verstehe ich, positiv gesehen, als eine ortsbezogene Intervention. Es ist das Erlebnis von Farbe an einem Ort. Man könnte auch sagen, die Farbe wird in Szene gesetzt.
Bemerkenswert sind die Farben, die Grosse in den Raum setzt. Sie sind weder auf die lokale Umgebung bezogen, noch nehmen sie Bezug untereinander. Die Buntfarben prallen in hoher Sättigung, ohne Abstufung und ohne Schattierung gegeneinander. Es hat mit dieser Buntheit, der überaktiven Spannung der Farben zueinander zu tun, dass man sich als Betrachter, obgleich man mitten in der Farbe steht, nicht von den Farben animiert oder eingehüllt fühlt. Die Arbeit wirkt wie ein gleißender Farbtusch.
Zum Schluss noch einmal zum Titel „It Wasn't Us“. Er bleibt für mich unklar. Auf wen oder was bezieht er sich? Aber vielleicht hängt „It Wasn't Us“ mit dem Slogan „Wir machen das“ zusammen, mit dem Katharina Grosse ihr Mittun beim Kunst-Fashion-Marketing für die Weihnachtsausgabe des deutschen „Vogue“-Magazins labelte. Möglicherweise steht ein etwas überladener Theorie-Überbau dahinter. Jedoch Grosses künstlerisches Tun, ihr Umgang mit Farbe und Raum, diese Mischung aus Intervention und Szenografie, wird dadurch eher unklarer.

Katharina Grosse „It Wasn’t Us“, Hamburger Bahnhof Museum
für Gegenwart – Berlin, Invalidenstraße 50/51, 10557 Berlin,
14.6.2020–10.1.2021. Zeitfenster-Ticket erforderlich.

Die Staatlichen Museen zu Berlin haben ein Video produziert, in dem sich die Kuratorin und Leiterin des Hamburger Bahnhofs, Dr. Gabriele Knapstein mit der Künstlerin Katharina Grosse unterhält und sie gemeinsam durch die Ausstellung gehen. Siehe: YouTube