Zehner Jahre

Spezial

2020:August // Barbara Buchmaier und Andreas Koch

Startseite > 08-2020 > Zehner Jahre

08-2020

Barbara Buchmaier: Wenn du dich an die 2011 von „Kulturprojekte Berlin“ organisierte Ausstellung erinnerst, an was erinnerst du dich spontan? Welche Kunstwerke, welche Orte oder Begegnungen kommen dir ins Gedächtnis, wenn der Name genannt wird?

Andreas Koch: Also based in Berlin … ganz spontan fällt mir der Dachaufbau über dem Pavillon ein, mit den Autos drauf, als erstes Bild, von Oliver Laric, den kannte ich damals nicht, wurde aber dann einer der Superstars der sogenannten Post-Internet-Kunst. Diesen Begriff gab es damals, am Anfang der Zehnerjahre noch gar nicht, zumindest kannte ihn niemand, jetzt ist er schon wieder Geschichte und man redet wohl eher von Instagram-Kunst, oder Post-Social-Media-Art.
Für mich, wie für viele anderen auch, war based in Berlin erstmal lokal- und kulturpolitisch ein Aufreger, da wurden 1,6 Millionen Euro, die aus einem Topf stammten, der eigentlich für eine Kunsthalle gedacht war, in einer Ausstellung verbraten, anstatt zum Beispiel strukturelle Förderungen einzurichten. Auch aus dem Frust über diese Ausstellung resultierte ja im Vorfeld die Haben-und-Brauchen-Bewegung.
Aber interessant finde ich jetzt, und deshalb dachte ich an ein Gespräch mit dir, den Paradigmenwechsel der erstmals mit dieser Ausstellung manifest wurde. Den man aber damals eher spürte, als wirklich sah. Die Nullerjahre mit ihrem Retro-Moderne-Revival waren jedenfalls erst mal vorbei. Wie geht es dir, wenn du an damals zurück denkst?

BB: Also bei mir hat sich auch diese „fette“ SUV-Arbeit von Oliver Laric im Montbijoupark über dem damals noch existenten Pavillon, dem von Hans Scharoun entworfenen „Atelierhaus“, das bis kurz vorher noch als Malereiatelier von der Weißensee-Kunsthochschule genutzt wurde, eingebrannt. CEO – Geländewagen Shuanghuan (2011) hieß die Arbeit und zu sehen waren, eben da oben auf diesem Dachaufbau, drei neue Geländewagen, die wegen Produktpiraterie in der EU verboten waren. Finde ich interessant, dass es dir genauso geht, dass sich diese Arbeit so festgesetzt hat. Damals habe ich nicht genau begriffen, was das eigentlich war, aber genau dieses Rätselhaft-Spekulative darum hat mich neugierig gemacht – und die aufwendige Umsetzung – und wer die eigentlich finanziert hat …Auf der Website von Laric habe ich dann später zumindest zum Inhalt Genaueres gefunden: „On June 26, 2008 a regional court in Munich ruled that the Shuanghuan CEO SUV, a vehicle that shares a resemblance to BMW’s X5, is no longer allowed to be sold in Germany. According to the judgment made by the court, German dealers have to stop selling Shuanghuan CEO, destroy the present cars and compensate BMW for corresponding losses. BMW has lost a similar court action in Italy that claimed the CEO infringed the German carmaker’s copyright. On December 10, 2008 a court in Milan rejected BMW’s claims. The Shuanghuan CEO is continuously sold in Italy through Martin Motors. CEOs are further distributed in European countries such as Romania, Bulgaria, Slovenia, Serbia, Hungary and the Czech Republic.“ Larics Arbeiten aus den letzten Jahren haben mich dann weniger interessiert. Er hat ja ganz viel mit 3-D-Druck gemacht, soweit ich mich erinnere.
Ja, auch an die ganze aufgeladene Stimmung damals erinnere ich mich gut. Ich weiß noch, dass man diskutiert hat, ob man, wenn man als Künstler*in zu der Schau eingeladen war, überhaupt mitmachen sollte und was es bedeuten würde, abzusagen – und wie man das dann publik machen könnte. Das hat schon eine echte kulturpolitische Diskussion in Gang gebracht, die bis heute nicht gelöst ist. Und ich erinnere mich auch, wie schwer es mir (und anderen) damals gefallen ist, das, was später dann als „Post-Internet-Kunst“ bezeichnet wurde, was in der Schau schon in Ansätzen z.B. bei Oliver Laric und AIDS 3D losging, in Worte, in Kunstkritik zu fassen. Cool finde ich, dass die Website „http://www.basedinberlin.de/“ bis heute aufrufbar ist …Hättest du damals gerne selbst an der Ausstellung teilgenommen, bzw. wie ging es dir damals damit, zu fassen, was für neue Ansätze in diesem Paradigmenwechsel sichtbar wurden?

AK: Also, an selber mitmachen habe ich gar nicht gedacht, einmal eben aus den kulturpolitischen Gründen – und dann sah ich mich in dem Kontext auch gar nicht, die waren eigentlich fast alle zehn Jahre jünger. 2011 hatte ich außerdem das Berliner Arbeitsstipendium und war über die althergebrachte Förderung ganz gut aufgehoben.
Was ich beim Gang durch die Ausstellung dachte, weiß ich nicht mehr so genau. Damals dachte ich, glaube ich, das ist ja alles recht lose, ohne Zusammenhang. Ich fand’s aber auch erfrischend locker, fast studentisch, wie bei einem Hochschulrundgang, was vielleicht auch an dem Gebäude lag, das ich noch als Gebäude der Kunsthochschule Weißensee kannte. Andererseits dachte ich – oder denke jetzt im Nachhinein, dass ich das dachte –, dass da jetzt andere Themen, andere Bearbeitungen, andere Formate als noch in den Nuller Jahren zu sehen waren. Es gab eher wieder Anknüpfungen an die Neunziger Jahre. Zum Beispiel die Arbeit von Matthias Fritsch mit diesem Fuckparade-Video und diesem Tänzer, der dann hundertfach kopiert wurde, zeigte, wie sich die Bilder anfingen zu vermehren, dass die sozialen Medien, YouTube immer wichtiger wurden. Das Wort „Meme“ kenne ich aber auch erst seit Kurzem. Um die Jahrtausendwende gab es da noch eher Netzpioniere wie zum Beispiel Convex-TV mit sehr geringer Reichweite, und dann kamen in den Nuller Jahren eher wieder Maler, gestische Materialverarbeiter, echte Atelierkünstler. Das fand ich auf jeden Fall bemerkenswert, dass das Gestische wieder weg war – aufgesägte Wasserkocher, Ready-Mades, Low-Fi-Internet-Found-Footage, schon noch Produkte, aber weniger Künstler im Sinne von sichtbaren Produzenten. Irgendwie fand ich’s aber auch nicht die Lösung, was ich da sah. Da schlug der Kapitalismus von der cooleren Seite wieder zurück. Vielleicht ein bisschen so wie in den Achtzigern, wo es die rotzigen Neuen Wilden oder Kippenberger noch gab und dann kam eben auch die TZK-Konzept-Schickeria mit ihrer ganzen obercoolen Produkt-Hermetik. Ich weiß nicht, ob man mir hier folgen kann?

BB: In Berlin war es in der Zeit ja auch so, dass immer mehr junge „Internationals“ von außen in die Stadt strömten, based in Berlin war so etwas wie ein Startpunkt für eine neue, globale, wenn auch immer noch sehr westzentrierte Künstler*innen-Persona in der Stadt, unterwegs zwischen Schweiz, NY, LA, vielleicht Paris, London und ein wenig China/Asien, oder? Und die kamen ja auch recht schnell in den Berliner Galerien unter. Kraupa-Tuskany Zeidler ist damals neu entstanden – eben genau in 2011. Und „Silberkuppe“, bereits seit 2008 aktiv, gibt es leider seit einigen Jahren nicht mehr. Es gab die „Times Bar“ in Neukölln, in der Hermannstraße, und daraus wurde dann „New Theater“ (heute „TV“ in Schöneberg), später fasste DIS viele der Protagonist*innen mit der IX. Berlin Biennale von 2016 (also noch zu Obama-Zeiten) noch mal auf einem größeren Level zusammen und löste damit bei vielen „Alteingesessenen“ in Berlin große Verwirrung und Abneigung heraus. Das fand natürlich auch vor der Kulisse der Post-Internet-Ausstellungen (ab 2013) von Susanne Pfeffer in Kassel im Fridericianum statt. Gleichzeitig lief dieser Hype um die Städelschule in Frankfurt … Bin ich jetzt zu schnell …?

AK: Nein, nein, nur ich wahrscheinlich zu langsam. Irgendwie war das Jahrzehnt zu schnell für mich oder zu schnell schon wieder vorüber. Auch für mich waren die Sachen, die damals hochkamen und eben schon auf der based in Berlin präsent waren, also z. B. die erwähnte Post-Internet-Art mit den Protagonisten Yngve Holen, Aleksandra Domanovic oder eben Oliver Laric, erst dann wirklich auf der Berlin Biennale 2016 präsent, wo von denen aber nur ­Holen dabei war. Also mein Kopf brauchte eine Weile, um das alles zu erfassen, einzuordnen und zu bündeln. Wir lagen ja mit unserer fiktiven Künstlerliste, die wir vor der Berlin Biennale dann veröffentlichten, auch völlig falsch. Und jetzt, wo man dachte, man sei einigermaßen auf der Höhe der Zeit, ist diese schon wieder ganz woanders. Wo meinst du denn, sind wir jetzt?

BB: Ganz spontan fällt mir bei deiner Frage der aktuelle Wahlkampf in den Staaten ein ein, und dass bei „TV“ (Website: t-v.city) in der Potsdamer Straße 151, also der Fortsetzung der „Times Bar“ und von „New Theater“ (damals Urbanstraße; später über Chris Dercon an der Volksbühne angelsiedelt), am Super-Tuesday (3.3.20) ein großes Pro-Bernie-Sanders-Event stattfinden soll, für Expatriates (Expats) sozusagen. Das passt auch zu der „Artists4Bernie-Not Me.Us“-Kampagne (artists4bernie.org/). Finde ich gut, aber auch irgendwie krass. Die E-Mail von TV mit den Details habe ich gelöscht, auf der Website sieht man es noch nicht … Oder habe ich es geträumt? Nein, sicher nicht, aber im Netz findet man das grade auch nicht. Vielleicht wurde die Veranstaltung gecancelt? Ach ja … auch die Starship-Release war kürzlich bei TV.
Bernie als Kunstpräsident? Wer wäre heute in Deutschland das Pendant? Und welches Künstlernetzwerk würde dafür im eigenen Raum werben?
Ach ja, heute war „Weekly Sunday Phonebanking and Texting for Bernie!“ im Interkulturellen Haus in Schöneberg, Geßler Str. 11 …, das läuft aber unabhängig von der Kunstszene …

AK: Ok, ich als Old-Schooler bin bei diesen Bars raus. Bei mir hießen die noch Hackbarths, Luxus und maximal Bar 3. Schon bei der Forgotten Bar oder dem King Size war ich nicht mehr dabei. Heute geh ich ins Müller und treffe dort eher meine Generation der um die 50-Jährigen (plusminus zehn Jahre), die auch noch ein bisschen mitrühren im letzten und hoffentlich auch im aktuellen Jahrzehnt. Gerade im Kunstmarkt sieht man ja auch nicht einen echten Generationswechsel. Die alten Old-Berlin-Nineties-Galerien wie Neu, Neugerriemschneider, aber auch ­Esther Schipper und Christian Nagel (Nagel Draxler), die aus Köln früh dazu stießen, sind immer noch sehr präsent. Die Nuller-Jahre-Gründungen wie Baudach kämpfen oder haben schon wieder zugemacht, und bei den zuletzt hippen, den Zehner-Jahre-Galerien wie Kraupa-Tuskany Zeidler oder Societé muss man erst mal schauen. Dass jemand wie Bunny Rogers das Kunsthaus Bregenz bekommt, passt irgendwie in unser prä-apokalyptisches Jahrzehnt, in dem unsere Wahrnehmung von scheinbar zufälligen, lauten Ereignissen immer wieder durcheinander geschüttelt werden wird. Virale Ereignisse wechseln sich mit echte Viren­epidemien ab. Erst unsichtbar schlagen sie dann immer stärker zu. Dinge, von denen man am Vortag zum ersten Mal hörte, sind dann plötzlich in aller Munde. Macht es da überhaupt noch Sinn, etwas Boden unter den Füßen behalten zu wollen? Unsere Jahrzehnte-Analyse ist ja nichts anderes als noch so etwas wie eine lineare Geschichtsschreibung zu retten.

BB: … ja, lineare Geschichtsschreibung … Ich habe mal damit angefangen, wichtige Namen von Politik- bzw. Institutionsseite zu sammeln: Klaus Wowereit war von 2001 bis Dezember 2014 (!) Regierender Bürgermeister und seit 2006 zusätzlich Kultursenator (auch bis 2014). Dann kam Michael Müller und hat ihn abgelöst – erst im Dezember 2016 kam Kultursenator Klaus Lederer dazu. Wer war also von Dezember 2014 bis Dezember 2016 für Kultur zuständig? Ach ja, das war Michael Müller mit Tim Renner als Staatssekretär …! Die haben dann gemeinsam dieses ganze Volksbühnen-Dilemma eingefädelt, Chris Dercon etc. Dercon war lt. Wikipedia von August 2017 bis zum 13. April 2018 Intendant der Volksbühne. Und da war ja dann Lederer auch schon da – und ist noch da.
Desweiteren fand ich es noch mal interessant, auf drei Orte bzw. zu schauen:
– Neuer Berliner Kunstverein:
dort ist seit 2008 Marius Babias Leiter/Direktor
– Nationalgalerie Berlin (inkl. Hamburger Bahnhof):
dort ist ebenfalls seit 2008 Udo Kittelmann Direktor
– Kunst-Werke Berlin (KW Institute):
bis Dezember 2012 war Susanne Pfeffer Chefkuratorin, die ja dann ans Fridericianum ging (dort 2013: Speculations on Anonymous Materials als erste Postinternet-Schau) und heute das MMK in Frankfurt leitet … Dann kam Chefkuratorin Ellen Blumenstein an die Kunst-Werke (u.a. mit Painting Forever: Keilrahmen, 2013), die dann Jahr 2016 vom Niederländer Krist Gruijthuisen abgelöst wurde.
– Monika Grütters ist seit Dezember 2013 Beauftragte des Bundes für Kultur und Medien.
Welche Orte/Namen fallen dir spontan dazu ein? Wie war das z. B. am Haus der Kulturen der Welt? Wie hast du das wahrgenommen?

AK: … in den Zehnerjahren wurde auch die AfD gegründet. Wo fand innerhalb des eher linksliberalen Kunstbetriebs eine Bewegung Richtung rechts oder zumindest ein offeneres Bekenntnis zu rechteren Positionen statt, wo bilden sich rechte Netzwerke? Neoliberale und konservative Positionen gehörten ja eh schon per se immer dazu. Mir fällt da der Erwerb des Neo-Rauch-Bilds „Anbräuner“ durch Christoph Gröner ein, der eine Stiftung für gesunden Menschenverstand gründen will (siehe letzte von hundert). Kürzlich saß ich einem Berliner Galeristen gegenüber, der sich über das versiffte Neukölln beklagte und dem als erstes Argument gegen den Mietendeckel einfiel, dieser wäre eine Erfindung der Nazis (was ja sein kann, aber die Autobahnen benutzt er bestimmt trotzdem). Jedenfalls würde er bei einer rot-rot-grünen Bundesregierung auswandern. Keine Ahnung, aber man sollte da schon genauer hinschauen in Zukunft. Gröner spendete kürzlich der Berliner CDU 300.000 Euro, also nicht der AfD. Jedenfalls ist er ein Beispiel dafür, wie die Immobilienwirtschaft sich in Politik und Kunst einkauft, um natürlich eigene Interessen durchzusetzen.
Auf der linken diskursiven Seite ist das HKW bestimmt bemerkenswert und hat mit Anselm Franke wichtige Dinge verhandelt, die ganze Anthropozän-Reihe zum Beispiel. KW ist bestimmt auch vorne dabei, wenn man Zeitgenossenschaft und Aktualität als Gradmesser nimmt, äußerlich zumindest.
Manche anderen Institutionen hängen meiner Meinung nach noch zehn und mehr Jahre hinterher, was nicht unbedingt auf Kosten der aktuellen Leiter geht. Alexander Tolnay (der Vorgänger von Babias) schaffte es, die Achtziger Jahre bis weit in die Nuller Jahre zu verlängern, genau wie am Haus am Lützowplatz Karin Pott die Neuen Wilden am liebsten forever zeigen wollte. Das galt es erst mal aufzuholen.

BB: Hi Andreas, ich komme grade nicht so richtig weiter. Das Corona-Virus und die gerade auf uns einprasselnden, damit verbundenen Einschränkungen, (Auftritts- und Job-)Absagen, Verlegungen und Schließungen lähmen oder bremsen zumindest mein Denken, mein Denken-Wollen – vieles ist unsicherer geworden, grade für uns Selbstständige … Und keiner weiß, für wie lange und was danach … Ich habe überlegt, ob ich so eine Stimmung, so ein Gefühl in den Zehnern schon mal hatte. Mir fällt nichts Derartiges ein … Wie geht es dir?
Grade denke ich noch an den Schock, den die Wahl von Donald Trump zum Präsident der Vereinigten Staaten auslöste, das war im Herbst/Winter 2016. Seit 2017 ist er im Amt … Sicher ein wesentlich prägender Umschwung der 2010er-Jahre …
Über Nacht ist mir beim Nachdenken über Deine letzte Nachricht noch mal dieses „Aufholen“ durch den Kopf gegangen:
„Das gilt es erst mal aufzuholen“, hattest Du geschrieben. Dazu kam mir wieder diese ganze, teils auch sehr wirr geführte Debatte um das Humboldt Forum in den Sinn. Wie umgehen mit der Idee von Restitution von geraubtem Kulturgut – oder eben auch ganz generell: Wie kann man heute eine solche ethnologische Sammlung zeitgemäß präsentieren (– und das auch noch in einem Schloss der Hohenzollern). In dieser ja u. a. aus Frankreich angeführten Debatte – mit Stimmen wie dem senegalesischen Wissenschaftler und Autor Felwine Sarr und der Französin Bénedicte Savoy (die ja auch Professorin an der Berliner TU ist und im Sommer 2017 ihren Rücktritt aus dem Expertenbeirat des Humboldt Forums bekanntgegeben hatte), die im Auftrag von E. Macron ausgiebig dazu recherchiert, kom­muniziert und publiziert haben (vgl. u.a. ihren Restiutionsreport aus 2018), scheint das Personal von der SMPK noch einiges aufholen zu müssen. Mal sehen, wann und wie dieses Forum dann damnächst eröffnet …, nachdem die geplante Eröffnung in 2019 ja abgesagt werden musste.
Die Idee von „Aufholen“ von bisher völlig Verpasstem oder Vernachlässgtem war ja auch der Antrieb für die großangelegte Ausstellung und proklamierte Reflexion des eigenen Tuns und Sammelns mit dem Titel: „Hello World. Revision einer Sammlung“ 2018 im Hamburger Bahnhof. Ich würde sagen, es bleibt abzuwarten, was sich daraus für die zukünftige Sammlungspolitik der Museen ergibt …

AK: Aufholen, jetzt nach der Corona-Vollbremsung hat das Wort noch eine ganz andere Bedeutung, als dass man sich bloß über scheinbar steckengebliebene Kunstvereine äußern sollte. Tatsächlich frage ich mich, ob man jetzt, wenn die Auswirkungen der Krise sichtbarer werden, nicht erst mal die Gelegenheit nutzen sollte, um eben nicht um jeden Preis „aufzuholen“, sondern um zu schauen, was wirklich notwendig ist, denn auch die Klima-Katastrophe rollt in einer ähnlichen Sichtbarkeits-/Unsichtbarkeitsrelation wie die Viruswelle auf uns zu, nur eben ein bisschen langsamer.
Ich dachte immer wieder, wenn das mit diesem ungebremsten Wachstum so weitergeht, dann haben wir wie die Heuschrecken alles selbst vertilgt, was es zu vertilgen gibt, alle Luft, alles Wasser, alle Erde. Denn auch Wachstumskurven sind, ähnlich der Virusverbreitungskurve, exponentiell.
Also hier bitte nicht aufholen, sondern bremsen, auch wenn das mit Einschnitten einhergeht. Gerade wir in Deutschland, wo die Bevölkerung fast schrumpft, brauchen nicht immer mehr. Was wir aber offensichtlich mehr brauchen, ist eine stabile Infrastruktur und dort eine bessere Bezahlung. Also mehr Gesellschaft, weniger Marktdiktat.
Tatsächlich empfinde ich die Instagrammisierung der Kunstwelt in den letzten zehn Jahren als eine visuelle Entsprechung dieses fortschreitenden Hyperkapitalismus. Diese flachen, schicken Oberflächen, die, immer ähnlicher aussehend, allen zeigen sollen, dass man auch noch mithalten kann. Diese geposteten Kunstwerke, Frisuren, Klamotten, Essen und sonstigen Produkte, alles auf einer Ebene, wie ein großer barocker Spiegel, alles überpudert und hinter Perücken, also den damaligen Photoshop-Filtern, versteckt.
Wer bei den x-fach gestapelten Codes nicht mehr mitkommt, bleibt außen vor. Deine zusammen mit Christine Woditschka verfassten Texte spiegeln dieses vergangene Jahrzehnt ja recht präzise, gerade auch in ihrem verweisträchtigen, verschachtelten Rhythmus.
Jetzt im Nachhinein erscheinen mir die Nuller-Jahre-Künstler, die wir ja ausgiebig besprachen und kritisierten, mit ihren rustikalen Auftritten fast wohltuend naiv. Da wurde sich noch innerhalb des Systems abgearbeitet und alle historischen Referenzen durch den Kunstwolf gedreht. Was natürlich auch semi-autistisch war.
Aber dem System Kapitalismus begegnen, indem man es einfach nur übersteigert spiegelt und nur noch eine Art Superpop produziert, ist mir nicht genug. Es wird sich jetzt, in Zeiten einer sich anbahnenden Riesenrezession und Vollbremsung bestimmt etwas ausgepost haben, oder die Bilder werden wieder bescheidener, wie wir alle?

BB: Ich finde es schwer, das von diesem Moment an einzuschätzen. Grade wird alles „Onlinige“ ja eher mehr. Das Internet soll den Museums-, Galerie- oder Messebesuch durch teils recht neuartige virtuelle Features, Online-Showrooms etc. hilfsweise ersetzen, und da werden sicher auch noch viele ganz neue kreative Online-Formate entstehen. Instagram wird auch mehr und mehr benutzt, um ein „Gruppending“ draus zu machen, habe ich den Eindruck. Eine von XY kuratierte Ausstellung auf Instagram – das gab’s vermutlich schon … aber ich bin jetzt erst so richtig drauf aufmerksam geworden. Außerdem werden ganze Schulunterrichte und Hochschulveranstalungen und Seminare in Digitale übersetzt. Ich stehe, wenn das Sommersemester stattfindet, mit meinem Kurs vermutlich auch vor dieser Herausforderung. Man wird sehen, wie und ob das an einer Kunsthochschule funktionieren wird. Wenn es so weit kommen sollte. Und was dann davon bleiben wird, auch das wird zu klären sein …
Ja, in den Texten haben Christine und ich auf eine spielerisch-subtile, aber dennoch sehr analytische Weise viele Verweissysteme, Netzwerke, Konzern- und andere Macht- und Brandingsstrukturen thematisiert und dargestellt. Und wir sind auch weiterhin dabei. Bis heute finden wir es beispielsweise „crazy“, dass sich in und um die Münzstraße herum fünf Boutiquen bzw. „Konzeptstores“ befinden, die alle zum H&M-Konzern gehören: „Monki“, „Cos“, „Weekday“, „& Other Stories“ und seit einiger Zeit auch der „Mitte Garten“. Hoffentlich wissen es inzwischen viele! Und: Da gibt es noch vieles zu recherchieren … Wie unterscheidet sich die Produktqualität, wie die Preispolitik …, wie die Modelle, die Trends … Und im „Mitte-Garten“ gibt es jetzt auch eine Vintage-Abteilung als Shop-in-Shop-Prinzip. Genauso wie es Gast-Brands gibt, deren u.a. Taschen und Parfums neben den H&M-Produkten angeboten werden – ein Konzept, das mit H&M-„Arket“ anfing und auch bei „& Other Stories“ zu finden ist. Vintage ist jedoch neu. Und: Joga-Kurse kann man da jetzt auch machen: in einem „Konzeptstore“ von H&M. Die Big Houses „Kering“ und „LVMH“ wären da mit ihren Brand-Paletten ebenfalls zu nennen und weiter genau zu beobachten.
Und wir haben tatsächlich auch schon schon von „der Krankheit“ und deren Symptomen geschrieben, das war u.a. im Text über die DIS-Berlin-Biennale 2016:
„Wenn die Krankheit klar ist – also du weißt, was du hast, wodurch sie hervorgerufen wird. Und doch begibst du dich immer wieder rein in diese Kanäle. Damit es wieder ausbricht.
Dann kannst du jedes Eiterbläschen deuten, etwas daran prognostizieren. Assoziationen, Ketten anlegen, knapp über der Schwelle des Wahrnehmbaren. Alles deutet auf dich. Das geht alles in die richtige Richtung, Künstler. Ja!“
Wir schreiben grade an einem langen Text u.a. über Balenciaga, Chris Wiley, Altkleider und Vintage, Hito Steyerl, den „Mitte Garten“, Anne Imhof etc. Seit wir an dem Text arbeiten, ist schon so viel passiert, dass wir ständig aktualisieren müssen … (siehe hier im aktuellen Heft ab S. 35).
Die Frage scheint mir, welche Symptome, Merkmale und Errungenschaften der Zehner (positive wie negative) jetzt 2020 – während und vor allem nach Corona, wenn es ein „Nachher“ geben wird – weitergeführt, „extremisiert“ oder auch gestoppt oder gebremst werden.
Welche in den letzten Jahren doch deutlich lauter und effektiver aufgetretenen Aktivismen und kritischen Ansätze auch im Sinne der emanzipativen Aufklärung und Bekämpfung von Klimawandel, Gentrifizierung, Rassismen, Kapitalismus etc. werden wie weitergeführt werden können?
Werden sie eher stärker und noch lauter, was können sie erreichen?
Bilden sich gar neue („Kampf“-)Gruppen zum Kampf gegen die Reichen, die Mächtigen, die Mega-Konzerne?
Und was passiert mit den Konzernen – und mit eigenständigen kleineren Firmen? Welche werden überleben? Wie wird Luxus gefragt sein – und wie und welche Kunst?
Ja, die Nullerjahre sind da tatsächlich weit entfernt ...

AK: Und gleich mit Anfang der Zwanziger scheinen auch die Zehnerjahre lange her. Während unseres über einen längeren Zeitraum dauernden Austauschs via E-Mail, die erste Frage schicktest du am 21. Februar, hat sich die Welt noch mal um einiges verändert. Was wird mit dem doch als Luxussegment zu bezeichnenden Kunstmarkt passieren, was mit dem subventionierten Teil der bildenden Kunst? Immerhin hat der Staat und die Stadt jetzt großzügig 5.000 Euro und mehr für hilfsbedürftige Künstler ausgeschüttet. Wie ein Riesenstipendium für bestimmt 10.000 und mehr bildende Künstler.
Aber wenn alles andere wegbricht, all die Zusatzjobs, die Lehraufträge, die Gestaltungsaufträge, die Aufbaujobs, dann sieht es düster aus und die 5.000 Euro sind schnell verbraucht. Wir hatten in den Zehnerjahren etwas über 50 Galerien in Berlin, die aufhörten. Ich habe Angst, dass es jetzt einige mehr werden könnten. Was wahrscheinlich eine kleine Erleichterung sein wird, ist, dass der Immobilienmarkt etwas Luft ablassen wird, die Vermieter etwas großzügiger sein müssen, um nicht selbst größeren Schaden zu nehmen. Der Leerstand wird zunehmen, die Mieten werden nicht weiter steigen, wenn nicht sogar fallen.

BB: Ja, diesbezüglich darf man ja auch gespannt sein, was aus dem Berliner „Mietendeckel“ wird, über den soll ja – von oben – auch noch entgültig entschieden werden in nächster Zeit …
Ich bin wirklich gespannt, über was wir dann im nächsten Heft berichten …