KÜNSTLER/IN, LEBENSLANG

Hanna Frenzel

2020:August // Sonya Schönberger

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08-2020

Hanna Frenzel
Jahrgang 1957, interviewt im Dezember 2019 in ihrer
Atelierwohnung in Charlottenburg

So wie es Bauern gibt und Metzgersfamilien, in die man hineingeboren wird, so bin ich in eine Künstlerfamilie hineingeboren. Ich bin in Bayern aufgewachsen und zwar deswegen: Meine Eltern sind aus der ehemaligen DDR. Da gab’s die DDR allerdings noch gar nicht, die wurde gerade erfunden. Und meine Großmutter mütterlicherseits, die war eine relativ resolute Person, man könnte sagen klug, und hat sich immer mit Politik beschäftigt und hat gesagt, macht, dass ihr hier rauskommt, so schnell es geht in den Westen. Und es war noch gar nicht so einfach, denn es gab noch den sogenannten witzigen Kupplungsparagraphen, wenn man nicht verheiratet war, aber zusammen lebte. Dann wurde man angezeigt, wie der Böll das beschreibt. Und die sind dann ins Rheinland und haben bei Muche Textil studiert. Haben auch in der Textilindustrie gearbeitet, wollten dann aber eine Familie gründen und haben sich überlegt, Frankfurt liegt in der Mitte, da gehen wir hin. Und da hatte mein Vater das große Glück, dass er die Hanna Bekker vom Rath traf. Die lief ihm über den Weg. Da gab’s einfach noch nicht so viele Galerien, so zwei drei. Und das Kunstkabinett war berühmt, weil sie sich auch während des Krieges immer um die sogenannten verfemten Künstler gekümmert hat. Sie kommt aus einem reichen Haushalt, die Farbwerke Höchst. Und hatte dadurch Geld und hat es für Künstler möglich gemacht, bei ihr zu arbeiten. Und dann hatte sie nach dem Krieg die ersten Ausstellungen in der Welt und hat gesagt, in Deutschland, da gab’s auch ein paar gute Künstler, nicht nur Nazileute. Und da hatten meine Eltern großes Glück, denn sie hatte ein kleines Gartenhäuschen in Frankfurt und da konnten sie reinziehen, billig. Und mein Vater hat ihr geholfen in der Galerie als Mädchen für alles. Und dann wurde das alles zu eng und meine Eltern wollten ein Haus kaufen. Und dann gab es in Bayern billige Bauernhäuser. Alle wollten einen Bungalow, richtige Heizung, warmes Wasser. Meine Eltern wollten das aber nicht, sondern lieber Platz. Und deswegen sind wir dann mehr oder weniger aus Versehen nach Bayern gekommen. Es war ja ein bisschen wie im Urwald. Meine Eltern haben den Dialekt nicht verstanden, meine Mutter hat berlinert, das war sehr komisch. Die waren die einzigen, die SPD gewählt haben. Aber irgendwie hat es geklappt, weil mein Vater ein sehr offener Mensch ist. Kein arroganter komischer Künstler, sondern das Gegenteil. Dadurch ging’s. Und weil meine Eltern noch ein bisschen Geld hatten. Arme Leute waren da nicht so gelitten. Die hatten es schwer. So wie immer, bis heute.

Mit 16 bin ich da ausgezogen, nach München, und habe da eine Lehre gemacht als Offsetdruckerin. Aber nur, weil ich keinen Schulabschluss hatte. Irgendwas musste man lernen, das wollten die Eltern. Dann war mir das aber zu anstrengend, da immer um sechs Uhr aufstehen und irgendwie hab ich gedacht, probier ich es mit der Akademie. Und die haben mich genommen. Dann hab ich Bafög gekriegt und so kam eins zum anderen. Ich hab die Akademie zu Ende gemacht wegen dem Bafög. So viel Geld hab ich nachher nicht mehr gehabt. Das war der Höchstsatz mit 700 Mark im Monat. Jetzt muss ich es zurückzahlen. Dann bin ich 1978/79 nach Berlin. Ich fand München furchtbar wegen dieser ganzen Schickeria. Und auch eng. Und hier war es immer interessant. Und es gab auch sehr viele Vergünstigungen. Billige Wohnungen für ’n Appel und ’n Ei, man bekam Umzugsgeld. Es gab ja kaum Künstler. Man hat auch mal ein Stipendium gekriegt. Also ich hatte wirklich sehr viel Glück und wenn man so will auch Erfolg, weil es gab niemanden sonst. Wenn die Konkurrenz nicht da ist, dann geht’s schon. Ich hab dann auch direkt die sogenannten Neuen Wilden kennengelernt durch die Performance-Art, mit der ich aus Versehen angefangen hab. Ich wusste gar nicht, was das heißt. Aber dann hab ich gedacht, gut, dann machst du das halt, wenn es läuft.
Ich war charmant und hab auch Erfolg gehabt mit dem, was ich gemacht hab. Also gab es einen gewissen Respekt vor mir. Weil ich einfach überall veröffentlicht war und alles verkauft hab. Also es ging gut los. Ja, das lässt jetzt nach. Und so mit dem Feminismus, da bin ich halt die zweite Generation. Die Valie Export und die Rebecca Horn, die haben ja wirklich gekämpft. Das waren auch wirklich die einzigen. Ich war ja die Generation danach und da war der Weg schon geebnet. Und es gab auch schon Frauen, die sich eingesetzt haben. Die Lucie Schauer vom NBK oder auch Galeristinnen, mit denen ich unglücklicherweise gar nicht so gut konnte. Die Herren waren dann – ja die süße Kleene – immer netter. Ich hatte damit nicht so Probleme.

Ich war bei der Galerie Naila Kunigk, und dann haben wir uns geärgert und dann bin ich leider da raus, weil sie nix verkauft hat. Ich sag’s ganz ehrlich und jetzt ärgere ich mich über diese Unverfrorenheit, dieses Unkluge, Unstrategische. Aber ich bin auch so ein Mensch, ich bin das Gegenteil vom Strategen. Ich gehe vom Gefühl aus. Ich hab mich, das muss ich auch sagen, in den guten Jahren nicht gekümmert. Braucht man doch alles nicht! Pustekuchen. Das war ein bisschen dumm. Das heißt, nicht nur ein bisschen, sogar sehr. René Block und so haben mich nicht genommen. Warum weiß ich nicht. Da war ich überall und hab vorgesprochen. Wenn mir jemand sympathisch ist als Galerist, dann mache ich das so. Dann sollen sie mich rausschmeißen. Aber gut, nun bin ich ja schon eine alte Kuh, und es ist sehr schwierig, wenn man über seinen Schatten springen muss. Als junger Mensch war mir das egal, da hatte ich echt überhaupt keinen Bammel. Die sagten dann schon, uh, jetzt kommt die schon wieder. Kupferstichkabinett, da war ich einfach so oft da, bis die nicht mehr Nein sagen konnten. So war das auch beim NBK. Ich hab da jeden Tag angerufen. Ich musste auch verkaufen, ich hab nicht von zu Hause Geld gekriegt. Ich musste von dem, was ich machte, leben. Zum Vorbild hatte ich ein paar andere Künstler, Männer meistens, die haben das auch gemacht. Dann dachte ich, was die können, kann ich sowieso. Und dann hab ich – wenn man so will – wie ein Hausierer, wie ein Teppichverkäufer ... und das fällt mir jetzt schwer. Also, wenn ich wirklich denken würde, ich muss da ausstellen, dann würde ich mir einen Ruck geben. Aber im Moment brauch ich das nicht. Wenn ich müsste, würde ich dahingehen. Und dann würden die bestimmt sagen, sie ist zu alt. Aber gut, ich kann punkten, weil ich schon so viel gemacht hab.

Manchmal rufe ich auch an, hey, wie geht denn das, warum bin ich nicht dabei? Ich kann das auch nur manchmal, wenn ich gut drauf bin. Und in letzter Zeit kam ich gar nicht dazu, weil das Sterben meines Vaters sehr anstrengend war, der wollte nicht sterben. Der hat nur gekämpft. Und auch vorher hab ich sehr viel gearbeitet, auch in fremden Berufen oder welchen, die so bedingt mit der Kunst zu tun hatten. Weil ich nicht mehr den Mut hatte vorzusprechen. So ab 2000 war es immer schwieriger. Wobei, ich hab immer Glück. Also wenn es gar nicht mehr geht, dann erinnert sich jemand. Ich hab immer ausgestellt, aber in den letzten fünf Jahren nicht. Eben aus der Situation, dass man seinen alten Vater nicht alleine lässt. Also ich konnte das nicht.

Die achtziger Jahre waren für mich sehr gut, besser geht’s nicht. Weil sonst hätte ich mich auch gekümmert um eine Galerie oder wäre irgendwo anders hingegangen. Zwischendurch hab ich mal gedacht, nach Köln, nach Frankfurt. Hier war ja auch diese Mauersituation. Das heißt, es gab nie Sammler. Und auch die Galerien haben nicht verkauft. Das machen sie immer noch nicht gut, weil die Stadt zu arm ist, würde ich mal ganz direkt so sagen. Und insofern hab ich gedacht, geh ins Rheinland. Und ich mag das da auch. Da ist auch alles schneller. Die Stadt hier ist auch viel zu groß, ich bin ja manchmal zwei Stunden unterwegs. Aber da hab ich nix gefunden. Und die Künstler sind nicht nett untereinander. Im Gegenteil: Ach, jetzt kommt die auch noch an. Und da dachte ich, nee, das machste nicht mit. Die waren dann alle nicht begeistert, als ich da aufkreuzte.

Der Raffael Rheinsberg war ein toller Kollege, der hat mir tolle Tipps gegeben. Hier waren alle freundlich, haben gesagt, ruf doch da mal an. Das war eine ganz andere Situation. Es gab diese Art von Konkurrenzdenken nicht. Weil, alle hatten irgendwie Erfolg. Da hab ich gesagt, dann gib mir doch mal die Adresse oder so. Und jetzt kenne ich niemanden mehr. Gut, das liegt auch an meinem Alter. Viele sind schon gestorben, weil die anders gelebt haben, unvorsichtig. Die Jungen wollen mit mir nix zu tun haben. Die denken, die kann noch nicht mal ein iPhone bedienen oder die guckt da nicht immer drauf und die rennt noch mit dem Stadtplan rum oder spricht mit den Leuten direkt. Das ist ja das Allerschlimmste, das macht man ja nicht. Weiß ich von meiner Nichte, weil die spricht praktisch nie. Die guckt da nur drauf. Und wenn man das nicht kann, dann weg. Gut, es gibt auch Ausnahmen, immer überall.

Ich geh nur selten noch auf Eröffnungen, weil es mich so langweilt. Das meiste hab ich schon gesehen. Es gibt ja auch dauernd Wiederholungen. Auch meine eigenen Arbeiten sehe ich da, wenn Leute sie nachmachen, was ich sehr komisch finde. Und das kann man auch nicht verhindern und ich finde es nur witzig. Mich ärgert schon das Uninformierte, das finde ich unmöglich. Diese Oberflächlichkeit, das langweilt mich, das kenne ich ja alles schon. Oder wenn keiner liest, mag ich das auch nicht. Ich möchte das nicht verallgemeinern, es gibt Ausnahmen, Gott sei Dank.

Ich hätte mir mal eine richtige Wohnung suchen sollen und nicht dieses Kuddelmuddel. Es ist immer so leicht … nicht kriminell, aber illegal. Ich bin ja eine verdammte Träumerin. Ich habe mir immer den Luxus erlaubt zu lesen oder ins Theater zu gehen oder Menschen zu treffen, die eben auch so sind oder so Sachen machen. Das ist sehr luxuriös, und ich hab nicht geputzt und mich gekümmert um die Rente und eben nicht um die realistischen Sachen. Gut, ich hab eine Krankenkasse, und kaum war mein Vater tot, sofort eine Zusatzversicherung. Aber immer auf dem letzten Drücker, kurz vorm Absprung. Und meine Schwester ist genau das Gegenteil, und ich hab das immer verdrängt. Ich bin Weltmeister im Verdrängen. Ich dachte, ich werde nie alt. 60 sowieso nicht. Und jetzt geht es los. Jetzt ist es fast zu spät, ich muss mich sehr zusammenreißen, dass ich es noch hinkriege.

Mit meinem eigenen Nachlass hab ich Glück, weil ich in den letzten Jahren nicht viel gemacht hab und auch, weil ich davor viel verkauft hab. Viel an öffentliche Institutionen, weil ich so unbefangen war und überall angerufen hab, auch international, die Hauptzentralen der Goethe-Institute. Ich hab alle Videotheken durch. Ich hab mal so eine Performance gemacht Frau Lot dreht sich um und erstarrt zur Salzsäule. Alle kirchlichen Videodinger, weil ich musste das auch verkaufen. Insofern ist überall was, auch ZKM. Wenn das hier mal abbrennt, kann ich sagen, überall haben die da so einen Mikrofilm oder keine Ahnung wie die das dann machen. Ist mir auch egal. Das Beste, was mir vor zwei Jahren noch eingefallen ist, war die Deutsche Kine­mathek anzurufen, ganz schnell. Ich hab da allerdings auch einen Bekannten. Da hab ich gesagt, der ganze Videokram und die Filme, die müssen raus. Weil ich auch Angst hatte, wenn hier renoviert wird, das ist dann das, was sofort kaputtgeht. Bei mir war alles auf Umatic, das Schlimmste. Weil das sind ja Berge. Nun war ich so verrückt damals, ich dachte, ich muss eine Kopie ziehen und noch eine und noch eine, falls eine kaputt geht, genau das Gegenteil wie heutzutage, habe ich alles kopiert, hundertausendmal. Und das letzte war DVD. Davon hab ich noch ein paar, und der Rest ist mir egal. Die Kinemathek hat jetzt den ganzen Filmkram und auch die Originale, alles haben sie gekriegt, zehn Kisten. Das waren alles Schenkungen. Ich hab meine Arbeiten dokumentiert, die wichtigen, nicht das unwichtige Zeug. Und dann hab ich Videos gemacht, weil ich wollte die verkaufen, sofort. Und das meiste sind Dokumentationen. Und ich habe auch immer, da hab ich drauf geachtet, immer die beste Qualität, ganz teuer, 16mm und so. Und das haben die jetzt da gelagert. Und wenn jemand jetzt ein Video haben will, dann kann er da anrufen, dann gibt’s ne Kopie. Das kostet ein bisschen was, aber ich möchte das alles nicht mehr machen. Das bringt einen um. Und ist teuer, das kostet Geld. Du musst ja dauernd gucken, ob die Temperatur stimmt.

Wenn jetzt der Dritte Weltkrieg gekommen wäre, dann wäre es auch weg. Husch. Ich bin da ganz unsentimental. Ich hab mir eine Sentimentalität abgewöhnt. Das geht gar nicht. Weil ich zieh dauernd irgendwo was raus, wo Stockflecken drauf sind. Wir mit unserem Wahnsinn, alles zu restaurieren und dann im Museum die Temperaturen und die ganze Sache, das ist ja typisch deutsch. Dann ist dann ein Zaun drumrum, dass da niemand was zerstört. Ich war in Belgien mal eine Weile, und wenn es durchtropft, dann schieben die einen Eimer hin. Und daneben ist irgendwie, weiß nicht, ein van Dyck. Also wir haben da schon eine besondere Meise. Ich find’s total übertrieben.

Wenn ich mal wo bin, dann bleib ich da. Ich verreise höchst ungern. Wenn ich zu Hause bin, dann ist das wie so eine Klosterfrau. Es war mal sehr witzig, da kam der alte Eberhard Roters, damals bei der Berlinischen Galerie, in meine Abbruchhöhle. Damals hatte ich nur ein Zimmer. Und der sagte, ja, wie ein Mönch, wie ein Mönch, die Kleene. Der kaufte mir Fotos ab und kletterte da hoch. Das war wirklich abenteuerlich. Das vergesse ich nie. Damit fühle ich mich wohl. Nicht, dass ich unbedingt immer gern alleine bin. Das finde ich nicht witzig. Aber ich brauch das nicht, immer diese Reisen und ablenken oder überall alles angucken, weil das hab ich schon. Und das beunruhigt mich auch. Weil dann muss ich ein Ticket kaufen und ich weiß gar nicht wie. Weil ich Internet nicht mag oder auch nicht kann. Dieser ganze Umstand. Ich möchte schon lieber, dass alles an seinem Platz ist, egal welche Unordnung. Und wenn ich hier raus muss, das gibt schon eine Kata­s­trophe. Obwohl die Hälfte ist schon weg. Das war noch viel viel voller. Und wenn ich jetzt hier meine wichtigen Fotos, die ich mit Frank Thiel zusammen gemacht hab, wenn die kaputt gehen, wäre ich schon auch sauer, aber ich kann’s nicht ändern. Ich schaffe es auch kräftemäßig nicht mehr. Mein Ziel ist es, dass ich endlich Räume finde oder einen Raum, der bleibt. Und zwar bis zu meinem Lebensende, sodass ich meine Sachen aussortieren kann. Die sind ja hier alle in Kartons, ich finde auch nichts. Und dann möchte ich meine Ruah ham. Schnauze voll hab ich. Und ich will nicht mehr an das alles denken. Und das ist gar nicht so einfach, weil die Situation immer schwieriger wird und ich bin auch verwöhnt. Ich mag nicht so ein Zimmerchen, ich will auch ein bisschen Platz um mich rum haben. Es wird schon irgendwie weitergehen. Ich bin aber auch insofern verwöhnt, weil ich mich nie mit solchen Sachen beschäftigt habe.

Und was ich auch gemerkt hab, ich kann kein Geld ausgeben. Das klingt jetzt absurd, aber ich hatte nie welches. Also habe ich mir auch nie was gekauft. Anziehsachen habe ich geschenkt gekriegt und das Essen ist einfach in Containern. Es wird genug weggeworfen, es reicht für alle. Und gerade in Charlottenburg, großartig! Und wenn etwas kaputtgeht, hab ich immer jemanden gefunden, der mir das repariert, so Internet oder was weiß ich. Eine Hand wäscht die andere. Ich musste neulich Batterien kaufen, da hab ich geschaut, wo sind die am billigsten. Das ist so in mir drin. Meine Schwester hat gesagt, kauf dir mal einen richtigen Anorak, wie der aussieht. Aber es geht für mich nicht. Ich schaff’s nicht. Ich wollte mir einen Pullover kaufen, weil letzten Sommer sind die Motten überall reinspaziert. Ich geh da raus und kaufe nichts. Weil ich finde auch alles scheußlich, natürlich. Ich bin eine echte Antikapitalistin, denn ich finde das System zum Kotzen. Ich probier es ja dauernd. Dann geh ich durch den Supermarkt und überlege, brauche ich das wirklich? Dann gehe ich raus und kaufe gar nichts. Oder eine Zucchini. Aber es ist ja auch witzig, man geht so dadurch, schaut sich die Leute an und kauft gar nichts. Hat auch was. Und ich probiere es wirklich. Ich hab mir neulich mal Seife gekauft. Die hab ich sonst immer geklaut. Oder Klopapier. Das gibt’s doch überall umsonst. Und wenn ich das meiner Schwester erzähle, dann kriegt die einen Anfall. Ich bin eine Organisatorin. Seit Jahrzehnten. Und das jetzt umschalten? Ich fahre jetzt nicht mehr schwarz, ich bin zu oft erwischt worden und das halten meine Nerven auch nicht mehr aus. Da hab ich keinen Bock mehr. Also ich bezahle BVG. Nein, das System, da würde ich gerne raus und was ändern und da auch eine Arbeit wieder machen. Aber im Augenblick muss ich Luft holen.

Wir leben hier praktisch in der Weimarer Republik – durch diesen Rechtsruck. Auf der einen Seite schlafen die Leute draußen unter der S-Bahn. Und hier steht ein Haus seit fünf Jahren leer. Dann gehe ich zu den Leuten und sage, warum besetzt ihr es nicht? Leerstand ist verboten. Das ist ja auch nicht das einzige Haus oder die einzige Wohnung. Ich kann dir all die Wohnungen zeigen, weil ich da ja auch angerufen hab. Ich wollte die haben oder mieten. Die bleiben leer und dann werden sie verkauft zu dem Preis, der gewünscht ist. Und solange bleiben sie leer und zwar Jahre. Nebenan und überall.

Ich kenne schon ein paar, die so sind wie ich. Es sind auch schon welche gestorben. Aber die meisten waren schlauer, die haben genug Geld verdient und sich dann auch was gekauft. Die paar, die es nicht geschafft haben, die sind so angestrengt, die müssen immer arbeiten, und das wird immer mühsamer. Und ich kenne auch viele, die gar nichts machen und einfach ihr Erbe verleben, da möchte ich aber nix mit zu tun haben. Und es gibt welche, so um die achtzig, die dann Essen gehen jeden Tag und, ach, gehen wir ins Konzert, und die sich überhaupt nicht engagieren. Und das möchte ich nicht haben. Ich wäre aber froh, einen Austausch zu haben. Ich muss aufpassen, dass ich nicht meschugge werde, weil ich auch die Leute anspreche, einfach so, ob sie nicht einen Schuss weghaben, dass sie sich das kaufen. Brauchen Sie das wirklich? Manchmal wenn ich gut drauf bin, mache ich das. Dann werde ich komisch angeguckt, die komische Alte oder so. Die jungen Leute finden es natürlich gut. Also ich hab da auch meistens Sympathie. Ich hab auch eine Weile unterrichtet, das ging wahnsinnig gut, weil ich leb ja so wie die. Und das gibt es nicht so oft.
Was mich tröstet ist die Literatur, es sind auch die Theater, so wie die Schaubühne. Der Ostermeier spielt die ganze Zeit Horvath. Warum? Weil wir wieder in dieser Zeit leben. Weil meine Schwester die ganzen Bücher wegschmeißen will, hab ich mir noch schnell die Klassiker rausgezogen und lese die wieder. Die sind aktueller denn je.

Es war auch damals immer schon, mei, ist die nett. Und dann, oh, ist die kompliziert. Ich hab zu viel gequatscht, ich wusste zuviel, und ich war immer nicht angepasst in Anführungszeichen. Natürlich hab ich mich auch anpassen müssen. Aber eigentlich hab ich schon mein eigenes Ding gemacht. Sonst hätte ich ja auch eine Sitzgarnitur und hier aufgeräumt.

Es ist so, dass ich manchmal sehr müde bin und denke, warum heben wir alles auf? Wenn ein Dritter Weltkrieg gekommen wäre, wäre das eigentlich die größere Chance, neue Kunst, Architektur, wieder Platz, alle Depots leer. Natürlich haben wir Glück, Krieg ist immer furchtbar. Und ich glaube, wenn wir jetzt einen Krieg erleben, ist die Welt hin, dann gibt’s gar nichts mehr. Aber das war ja der Vorteil, nach dem Zweiten Weltkrieg konnte Deutschland so erfolgreich sein – eigentlich haben die ja gewonnen –, weil alles hin war. Das ist nicht von mir, das hat der Heiner Müller immer gesagt. Das ist einfach eine Feststellung. Weil, wir werden uns noch wundern, die ganzen Dritte-Welt-Länder, die haben die Schnauze voll. Die haben mehr Kraft. Wenn ich die hier sehe, was die Frauen, die farbigen, für eine Kraft haben. Also, ich find’s toll. Aber irgendwann hauen die uns die Köppe ein. Für mich ist es mir egal, aber für dich würde es mir leidtun. Und ob wir dem gewachsen sind? Die können noch laufen, aber wir müssen ins Fitnessstudio. Wie absurd. Also ich fahre immer Fahrrad, alle Strecken. Da haben sie auch gedacht, ich sei irre, aber im Grunde hat das mir das Leben gerettet. Das ist einfach bessere Luft und Bewegung und mich macht das – klingt ein bisschen albern – glücklich.