Lenin zu wiederholen, heißt …

Über Techniken der Kulturzerstörung

2021:Juni // Christoph Bannat

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06-2021

Gerade erscheint Hermann Parzingers Kampfschrift „Verdammt und vernichtet – Kulturzerstörungen vom Alten Orient bis zur Gegenwart“. Hermann Parzinger ist Präsident der Berliner Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Kampfschrift, da er nahelegt, die Menschenrechte mit dem Kulturgüterschutz zu verbinden. Im Sinne von: Erst brennen die Kulturgüter, dann Menschen. Kampfschrift auch, da das Sachbuch aus westlicher Perspektive verfasst wird, inklusive des Verwertungs- und Vernichtungsfeldzugs der Nazis. Gleichzeitig unterscheidet er gute und böse Vernichtung. So wenn er von der legendären Ausradierung einer De-Kooning-Zeichnung durch Roy Lichtenstein schreibt, oder wenn er den bewussten „Akt des Fallenlassens“ einer 2000 Jahre alten Han-Vase vor laufender Kamera durch Ai Weiwei als einen energetischen Akt des Bewusstseins darstellt. Was einem nahelegt, dass doch in allen anderen Fälle, wir denken uns einen flauschigen Bombenteppich, nur das falsche Bewusstsein am Werk ist. Oft zitiert er seinen Berliner Kumpel und Schlossverteidiger Horst Bredekamp, einen Teilzeitexperten von Geschichtsüberschreibung. Und so sehr hier auch die hohen Ziele der Menschenrechte bemüht werden, wissen wir, was diese in Berührung mit Bürgerrechten gelten. Wenn es z.B. über Bodenschätze, Asylrechtsfragen oder die Sicherung von Außengrenzen geht. Über „Das Böse“ schlechthin, die Nazis, als Referenzgröße für deutsche Wiederaufarbeitung, sind sich sowieso alle einig. Komplizierter aber wird es bei zwei anderen Themen. Zum einen bei den ersten deutschen Enteignungen und der Verteilung von Kirchengütern um 1800, die den Grundstock unserer heutigen Staatsbibliotheken bilden. Und zweitens beim Schleifen von Denkmälern und Gebäuden der DDR. 1800 wurde von Vergangenheit auf Zukunft umgeschaltet. Von Bildung nur für privilegierte Schichten auf Volksbildung, verbunden mit dem Versprechen, dass sich (Bildungs-)Arbeit für jeden auszahlt. Und von hier aus gibt es eine feine Linie zum Leninplatz, dem heutigen Platz der Vereinten Nationen, in Berlin-Friedrichshain.
Betrachteten wir den Kommunismus ganz einfach als eine Kulturtechnik der Menschenführung mit einem dazugehörenden internationalistischen Ideal von Brüder- bzw. Schwesterlichkeit und Freiheit, dann hätten wir das Wörtchen Kultur schon eingeführt (so wie wir Westler unsere Techniken der Wegwerfkultur, ein Wort meiner Jugend, hatten).
1949 wurde die Große Frankfurter Straße in Stalinallee umbenannt. 1961 wurde die Stalinbronze über Nacht entfernt, zersägt und die Straße in Leninallee umbenannt. Später wurde aus dem Landsberger Platz, an dem der 19 Meter hohe steinerne Lenin ab 1970 stand, der Leninplatz. Beide Skulpturen kamen aus der Werkstatt von Nikolai Tomski. Als Lenin 1991 abgerissen werden sollte, bildete sich ein Komitee aus über 2000 Ost- und Westlern. Anwohner, Professoren und Künstler (der nGbK startete einen Aufruf für den Erhalt) und verdiente Antifaschisten wie die legendäre Ruth Werner (siehe Wiki-Eintrag) setzten sich für den Verbleib ein und entwarfen skulpturale Kommentare. Diese einzigartige Chance, Verhandlungen über Ästhetik und Politik an zentraler Stelle zu führen, machte die E.-Diepgen-Regierung zunichte. Das zuvor denkmalgeschützte Ensemble wurde zu Fall gebracht und im märkischen Sand vergraben.
Ich jogge im Volkspark Friedrichshain und fahre oft am Platz der Vereinten Nationen vorbei, wobei ich mich frage, wie es zu dieser Scheußlichkeit von Platzgestaltung kommen konnte. So begann ich mich, als Künstler, für den Wettbewerb zu interessieren. Doch es gab gar keinen – nie. Adalbert-Maria Klees, ein technischer Leiter, angestellt beim Grünflächenamt, übernahm die Gestaltung. Als eine Mischung aus (hoffentlich) demokratischen Abstimmungsritualen und westdeutscher Arroganz, ohne Beachtung des symbolischen Werts des Platzes, kann die Berufung Klees nur als Staatszynismus gelesen werden und nicht einmal als rein technische, sondern auch noch als hochgradig dilettantische Auf-Lösung von Geschichte (vgl. Klees Planschebrunnen im Volkspark Friedrichshain). Das Narrativ der jetzigen Brunnenlandschaft lautet: internationale Bäume und Steine aus aller Herren Länder, arrangiert in lockerer Plauderformation (die Steine dürfen plaudern, während die Bäume Strammstehen müssen), umgeben von einer makellos gepflegten Rasenfläche. Ein steingewordenes Mahnmal für Kunst im öffentlichen Raum. Denn wer kann schon etwas gegen international gepflegte Natur, in preussischer Raumordnung und entspannter Plaudertonformation haben? Und so geht es ja mit allen Kunstwerken im öffentlichem Raum, von der Staatswippe, über die ZWEIFEL-Installation auf dem Palast der Republik, von Lüpertz bis Balkenhol. Allein Per Kirkeby ist da eine Ausnahme.
Doch sollten wir nicht vergessen, dass auch Lenin den Berlinern (vermutlich) aufgezwungen wurde. Denn der Hermann-Henselmann-Entwurf wurde verworfen. Eine in eine stilisierte Fahne gehüllte Bibliothek auf dem Leninplatz. Ein Entwurf, der klammheimlich von der Bildfläche verschwand. Leicht stellt sich dabei das Bild ein, wie dort, Lenin lesend, Volksbildung betrieben werden sollte.
Und damit schließt sich der Kreis mit der ersten deutschen Enteignung. Lenin zu wiederholen, heißt ... nicht das zu wiederholen, was er tat (da seine Lösung ein Fehlschlag war, ein ungeheurer Fehlschlag sogar), Lenin zu wiederholen heißt, dass man unterscheiden muss zwischen dem, was er tatsächlich getan hat und dem Feld der Möglichkeiten, das er begründet hat … es heißt, die von ihm versäumten Gelegenheiten wieder aufzugreifen, so Slavoj Žižek, in „Lenin heute“, 2020 feierte Lenin seinen 150. Geburtstag.


Parzinger, Hermann
„Verdammt und vernichtet“
Kulturzerstörungen vom Alten Orient bis zur Gegenwart, C.H.Beck,München 2021

Recherche:
„Bildersturm. Die Zerstörung des Kunstwerks“, hrsg. von Martin Warnke, Syndiat, Frankfurt am Main 1973 (meiner Meinung nach das bessere Buch zum Thema, mit Texten von u.a. Barzon Brock, Horst Bredekamp, Martin Warnke)

Zitate:
Slavoj Žižek, „Lenin heute“, WBG Academic, Darmstadt 2018

Architekturarchiv:
https://deu.archinform.net/projekte/12435.htm
Kreuzbergmuseum:
https://fhxb-museum.de/xmap/media/S9/T1699/text/fhxb_sfh_014_2Seiten_72.pdf
Wikipedia:
https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Brunnenanlagen_im_ Berliner_Bezirk_Friedrichshain-Kreuzberg
Rosa Luxemburg Stiftung:
https://www.rosalux.de/news/id/39169/buergerinitiative-lenin-denkmal-1991-bis-2004?cHash=ff6ca677ef5946e8ed60c9aeed305514
ngbk-Archiv
https://archiv.ngbk.de/projekte/erhalten-zerstoeren-veraendern/




 
Zeichnung und Collage aus „Christoph Bannat – Paper Trail 3a“, 28 Seiten A5, 2020