Henrik Plenge Jakobsen

ZK-Galerie

2009:Jun // Andreas Schlaegel

Startseite > Archiv > 06-2009 > Henrik Plenge Jakobsen

06-2009
















Es ist wahrscheinlich ungerecht. Aber während ich diese Buchstaben in die Tastatur tippe, summen fette Landfliegen um mich herum, aus dem Panoramafenster der Blockhütte sehe ich den Ponys zu, die behäbig auf der Koppel stehen. Obwohl die Sonne scheint, spielen die Kinder oben in ihren Zimmern und flüstern, um ihre schlafende Mutter nicht zu wecken. Noch zwei Stunden bis zum Mittagessen, das die Bauersfrau im Haus nebenan serviert, die auch die Kekse gebacken hat, die vor mir auf dem Tisch stehen, von einem Küchentuch vor den Fliegen geschützt. In einem mit Blumen bemalten Becher dampft schwarzer Tee, nach lokalem Brauch mit Himbeersirup parfümiert. Eigentlich alles in Butter.

 

Nur ich muss noch etwas arbeiten und diese Gedanken irgendwie ordnen. Während des Gallery Weekends nahm ich nämlich für ein knappes Stündlein eine Auszeit vom glamourösen Trubel, und fuhr nach Moabit. Vorbei am Naturkundemuseum, Hamburger Bahnhof, Hauptbahnhof und der Strafanstalt, um eine neue kleine Galerie zu erreichen: „ZK“, für zeitgenössische Kunst. Der Grund meines Besuchs war eine Facebook-Einladung gewesen, überraschend hatte mich der dänische Künstler Henrik Plenge Jakobsen zu seiner Ausstellung „Kapital Melencolia“ eingeladen.

Natürlich wollte ich hin, der Künstler ist ein herausragender Künstler der Generation des „Nordic Wonder“, und als Professor an der Osloer Akademie mit dafür verantwortlich, dass eine spannende Generation junger Künstler aus Norwegen international reüssiert und vielleicht auch nach Berlin zieht.

Wie angesichts des Trubels zu erwarten war, hatten nicht viele Besucher den Weg in die winzige Galerie in der Emdener Straße gefunden, die sich hier als kleines aber feines Grafik-Kabinett vorstellte. Die vermeintlichen Grafiken entpuppten sich als primärfarbene Gouachen – auf der einen Wand sechs Zielscheiben, jeweils mit dem ausgesparten Schriftzug „Everything is Wrong“, ihnen gegenüber drei unterschiedliche Arbeiten.

„Total Institution“, ein Raster aus Rechtecken mit abgerundeten Ecken, eine Scheibe mit abwechselnd blauen und schwarzen Segmenten und dem titelgebenden Schriftzug „KAPITAL MELENCOLIA“, sowie eine Komposition aus gelben und orangenfarbenen Diamantenformen, die an Firmenlogos erinnern, diesmal ohne Text, aber „Kapital Melankolie Diamonds“ betitelt. „Das ist beinahe eine Retrospektive“, witzelte der Künstler.

Ganz falsch ist das nicht. Denn obwohl sich eine Lesart der Werke in der Ausstellung als Kommentar zur aktuellen Krise und der damit verbundenen Panik aufdrängt, sind einige der Arbeiten über zehn Jahre alt. Die „Everything is Wrong“-Zielscheiben, eine Hommage gleichermaßen an Cady Noland und Jasper Johns, wurde zum ersten Mal als Wandmalerei bei der ersten Manifesta-Ausstellung gezeigt. Die Feststellung, dass nichts richtig sei, hatte der Künstler damals von dem gleichnamigen Album von Moby übernommen. „Das sehe ich immer noch so!“ sagt der Künstler heute, und man sucht vergeblich nach Ironie in seinen Worten.

Fast zehn Jahre alt ist die Auseinandersetzung von Henrik Plenge Jakobsen mit dem Begriff der „Totalen Institution“, auch die „gefräßige Institution“, die nach Erving Goffman das Leben von Menschen so strukturiert, dass sie sich zu jeder Zeit ihres Lebens in einem Verhältnis zu einer Autorität aufhalten müssen. Die Arbeiten, die der Ausstellung ihren Titel leihen, sind nicht ganz so alt, sie wurden für die Schau „Adorno“ im Frankfurter Kunstverein produziert, und stellen den Versuch des Künstlers dar, Werke zu schaffen, die um das „prismatische“ Denken des Philosophen, die Radikalität seiner kulturellen Kritik und das „Scheitern der von ihm bis zu seinem Tode vehement vertretenen Zwölftonmusik“ kreisen.

In der Moabiter Ausstellung gibt es noch ein Hinterzimmer, dort hängt ein Multiple, die wohl aktuellste Arbeit: ein Poster, das so aussieht wie das Feld auf dem man beim Roulette-Spiel die Einsätze platziert. Aber anstatt Einsätze zu verlieren, verdoppeln oder zu verdreifachen, verweisen die Felder hier auf die Zusammenhänge von Wirtschaft und Kriminalität: Polizei, Gericht, Gefängnis steht auf einer Seite, und auf der anderen: Industrie, Kapital, Produktion.

Was auf den ersten Blick so schön plakativ und einfach wirkt, ist tatsächlich ein Spiegel der Verflechtungen von Spieltrieb, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Zusammenhängen, die immer wieder das alltägliche Leben mitbestimmen, nicht nur das der Künstler. Und keiner kann sagen, das habe niemand gewusst, die Zitate bringen es auf den Punkt. Selbst Moby wusste schon vor 13 Jahren Bescheid.

„Schlimme Nachrichten in freundlichen Farben“, meinte der Künstler.

Nun ist eine Fliege in meinem Tee gelandet und schwimmt aufgeregt umher. Meine Neigung sie zu retten ist begrenzt. Jemand ruft: „Ah, Mittagessen!“

Henrik Plenge Jakobsen „KAPITAL MELENCOLIA“

Galerie ZK, Emdener Str. 5, 10551 Berlin

02.05.–12.06.2009

Henrik Plenge Jakobsen „Everything is Wrong“ (© Courtesy Galerie ZK)
Microtime für Seitenaufbau: 1.29085803032