Sven Marquardt

Berghain

2008:Feb // Estelle Blaschke

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02-2008











Man ahnt schlimmes: Eine Hommage. An Rainer Werner Fassbinder. „13 Monde“ der Titel der Ausstellung. Nach Fassbinders Tragödie „In einem Jahr mit 13 Monden“. Dem Jahr der unabwendbaren persönlichen Katastrophen. So sagt man. Interpretationen des barocken Leidens der Erwin/Elvira Weishaupt. Szenen aus „Warnung vor einer heiligen Nutte“, „Lili Marleen“, und „Angst Essen Seele auf“. An den harten Betonwänden der Säulenhalle des Berghains. Dem Ort der Entgrenzung. Ein Fotograf der, so wie die Menschen in seinen Bildern, ein wilder Mensch ist, und wilde Dinge hinterlässt, Schlangenhäute und Fotografien. In Schwarz-weiß. Damit man sich an sie erinnert. An die Menschen.

Seit seinen Anfängen als Fotograf in den frühen 80er Jahren, unter anderem für das ostdeutsche Modemagazin „Sibylle“, fotografiert Sven Marquardt ausnahmslos inszenierte Portraits. Die Bildprotagonisten für das Projekt „13 Monde“, welches in Zusammenarbeit mit dem Szenografen und Stylisten Viron Erol Vert entstand, castete er am Einlass des Berghain, dessen Türsteher er ist, oder in seinem Bekanntenkreis. So auch Frau Erplich. In der Adaption von „Angst essen Seele auf“ sitzt die ältere Dame als Braut gekleidet auf dem Schoss des jungen Mike, ihrem neuen Mann und dem schwarzen Türsteherkollegen Marquardts. Im Hintergrund posiert eine platinblonde, kurzhaarige Bedienung inmitten von Luftballons mit Adidaslogo. Die Party ist vorbei und wie in so vielen Bildern Marquardts, die von einer unglaublichen visuellen Eloquenz zeugen, ahnt man das bevorstehende Unheil. Aufgefangen wird diese düstere Stimmung jedoch durch den (kon-)frontalen und selbstbestimmten Blick der Portraitierten. Ein Kriterium bei der Wahl der Darsteller ist, so Marquardt, dass diese eine Rolle sind. Oder spielen. Oder im Bild entfalten. Vielleicht ist gerade das das Rätselhafte an den Darstellern, das Oszillieren zwischen vorgegebenem Rollenspiel und der Inszenierung ihrer Selbst. Das puppenhafte Gesicht oder die Puppe als Requisite ist dabei eine wiederkehrende Figur in der Bilderserie „13 Monde“, wie eine an Hans Bellmers Puppenspiele erinnernde kahlrasierte Babydoll oder eine in Korsett und Pranger gezwängte Romantik-Lolita. Auch findet sich oft eine räumliche oder physische Begrenzung in den Bildern wieder, ob Schranke, Rollstuhl, Käfig oder verbarrikadierter Ausgang, die aber in ihrer Fragilität oder puren Symbolhaftigkeit leicht zu überwinden sind.

Die große Stärke der neo-burlesquen Fotografien Marquardts ist, dass man seinen Inszenierungen das Handwerkliche und Ausgedachte auf den ersten Blick ansieht, ohne von dem bewusst künstlich-kitschigen Stil enttäuscht zu sein. Denn im Gegensatz zur zeitgenössischen surrealistischer Fotografie, die nicht mehr ohne die nachträgliche digitale Bildbearbeitung auszukommen scheint, arbeiten Sven Marquardt und Viron Erol Vert mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln, um ihre bizarren, naiven und verstörenden Welten zu entwerfen. Wie selbstverständlich zählt zu diesen Mitteln auch die Verwendung von ästhetischen oder inhaltlichen Referenzen. In manchen Bildern der Ausstellung scheint ihm das besser zu gelingen als in anderen. Jedoch lässt sich an den Fotografien Sven Marquardts der völlig freie Umgang mit diesen Mitteln und eine gewisse Unabhängigkeit gegenüber künstlerischen und vielleicht auch gesellschaftlichen Konventionen ablesen, die diese Bilder letztlich so interessant machen.


Sven Marquardt
„13 Monde“
Berghain
Am Wriezener Bahnhof
7.–22.12.2007
Sven Marquardt, aus der Serie „13 Monde“ (© Courtesy the artist)
Sven Marquardt, aus der Serie „13 Monde“ (© Courtesy the artist)
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