Tiefkühlkost ohne Verfallsdatum?

/ Öyvind Fahlström bei Scheibler Mitte

2011:May // Birgit Effinger

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03-2011
















Öyvind Fahlströms Œuvre will partout keinen Staub ansetzen. Seit den ersten, vereinzelten Retrospektiven in den 90er Jahren treten die spielerischen und auch vor Informationen berstenden Werke immer wieder unter verschiedenen Vorzeichen in Erscheinung. Gewiss bietet die Mehrgliedrigkeit und Vielschichtigkeit der künstlerischen Produktion keine Erklärung für die derzeitige Attraktivität. Fahlström (1928–1976) bediente sich einer imposanten Fülle kreativer Wahlmöglichkeiten: Konkrete Poesie, Malerei, Assemblage, Installation, Zeichnung, Druckgraphik, Texte in Kunstzeitschriften, Fernsehberichte, Filme sowie Theater- und Hörstücke und Performances. Obendrein ist alles von deutlicher, politischer Kritik durchdrungen und geprägt von einem tief greifenden Interesse an Sprache. Die Bedeutung von Sprache als parallelem und gleichwertigem Modus des künstlerischen Schaffens ist jedoch ebenso wenig ausschlaggebend – obgleich nicht unerheblich – für die augenscheinliche Zeitgenossenschaft der Arbeiten.

Indes offerieren vereinzelte Anhaltspunkte, etwa § 9 des Manifests „Kümmere Dich um die Welt“ (1966), erkleckliche Nahrung, um Fahlström beispielshalber in die Sparte der visionären Vorkämpfer des gegenwärtigen Engagements für das bedingungslose Grundeinkommen einzureihen. So heißt es zum Thema Versorgungsleistungen: „Freie Grundnahrungsmittel, Nahverkehr, Wohnungen, die aus Steuermitteln finanziert werden. Risiko: Niemand wird mehr arbeiten wollen. Wert: Wirkliche Gleichheit – jeder zahlt Steuern, entsprechend dem, was er verdient.“ Das hört sich unbestreitbar sehr sympathisch an und riecht gewissermaßen nach aktuellem Gegenwartsbezug. Fahlströms comicartige Bildwelten und Arrangements sind gleichwohl weit davon entfernt, als didaktische Predigt zu den Konvertierten aufzutreten. So betritt man in der erstaunlich gut erhaltenen und anlässlich des 20-jährigen Jubiläums der Galerie Aurel Scheibler gleichsam wieder aufgeführten Installation „Garden – A World Modell“ von 1973 einen laut dem Gebot des Künstlers eigens in Grün gestalteten opulenten Farbraum. Erst bei näherer Betrachtung lassen sich die unzähligen Daten und Fakten über die ökonomische Ausbeutung und die Unterdrückung der Dritten Welt entziffern, die dort auf den vegetabilen, farbigen Papierformationen aus den Blumentöpfen emporsprießen. Strategisch bezieht diese fragile Installation ihre Ästhetik vornehmlich aus der Trash- und Bastelkultur und verlässt sich dabei doch auf den bühnenartig inszenierten Austragungsort. Insofern ist es möglicherweise vor allem die schrille und dennoch aufgeräumte Bastelästhetik, die für die Bedeutsamkeit dieses Papierblütenensembles sorgt.

Freilich kommen auch die in der Ausstellung ebenfalls präsentierten Weltkarten in Cartoonmanier wie vermeintliche Zeit­genossen daher. Die kleinteiligen Kartographien sind detailreiche Wimmelbilder, in denen piktogrammartig und farblich eingefasst die Lieblingsfeinde der sechziger und siebziger Jahre – neben dem Logo von Esso, Verweisen auf Umweltverschmutzung und Kriege – weitere historische Fakten zu politischen Sauereien wuchern. Dabei wohnt den reichen, überbordenden Weltkarten eine fast schon selbstverständliche, harmlose Leichtigkeit inne. Es ist, als sähe man den ebenso belehrenden wie unterhaltsamen ökonomiekritischen Universalismus zum ersten Mal, als könne man sich noch ein­mal an die Startlinie der Aufbruchsstimmung zurückversetzen und kenne die Aneignungswut des Kunstsystems noch nicht. Die gegenwartsdiagnostischen Ambitionen von gestern und die dichte, buntfarbige Komposition ihrer Darstellung schlagen dialektische Volten ohne sich gegenseitig im Weg zu stehen oder gar von dem fragwürdigen Zwang zur gesellschaftskritischen Wirkkraft vereinnahmen zu lassen. Mit anderen Worten bieten Fahlströms Arbeiten sowohl ein Reservoir an gegenkultureller Energie als auch die Kapazität zu umfangreichem ästhetischen Vergnügen. Wenn sie auch laut Entstehungsdatum bereits Geschichte sind, wirken sie frisch und alt zugleich, eben wie ein Tiefkühlprodukt. Dies macht es offensichtlich auch so kommod, Fahlström augenfälliger ins derzeitige Kunstgeschehen zu integrieren, als dies mit einer intensiveren Beschäftigung des historischen Entstehungskontextes und des eben von jener Zeit geprägten moralischen Engagements möglich gewesen wäre. Fahlström gab sich nicht der Illusion hin, dass seine künstlerische Praxis eine Veränderung der Politik herbeiführen könne, meinte dazu aber: „Künstler können (könnten). Organisieren. Veröffentlichen. Sprechen. Demonstrieren. Streiken. In Gemeinschaft arbeiten“. Es ist einerseits zwar wünschenswert, anderseits aber mehr als fraglich, ob dieses Anliegen unter derzeitigen Umständen noch uneingeschränkt up-to-date ist.

Öyvind Fahlström, Scheibler Mitte, Charlottenstraße 2, 10969 Berlin, 19. 2.–21. 4. 2011

Öyvind Fahlström, Ausstellungsansicht (© Scheibler Mitte, Foto: Birgit Effinger)
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