Thomas Demand

Neue Nationalgalerie

2009:Nov // Maren Lübbke-Tidow

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11-2009
















Obwohl oder gerade weil allein mit der Titelgebung „Nationalgalerie“ schon etwas Größenwahnsinniges mitschwingt, ist dies die erste Ausstellung von Thomas Demand, in der es mir möglich war, mich auf seine Bilder einzulassen und mich im Zusammenspiel mit ihrer aufwändigen Inszenierung im Raum, von ihnen auch verführen zu lassen. Das ist einigermaßen verblüffend und irritierend, denn seine papiernen Modelle von massenmedialen Verbildlichungen des politischen und gesellschaftlichen Tagesgeschehens, die er fotografiert und in stets überdimensionierten Formaten ausarbeitet, strahlen immer etwas sehr Braves, Konventionelles, Biederes, deutsch-Gründliches aus – das einem verführerischen Moment im Wege stehen könnte. An keiner Stelle wurde für mich in der Vergangenheit erkennbar, dass sein methodischer Zugriff über eine in der zeitgenössischen fotografischen Praxis durchaus gängige (und zwischenzeitlich auch etwas abgenutzte) Strategie hinausweist: Denn das Arbeiten mit Modellen und deren fotografische Reproduktion eignet sich sehr anschaulich, den Repräsentationscharakter des fotografischen Bildes kritisch zu bearbeiten. So hat Thomas Demand mit seinen zumeist großformatigen Modellbildern geradezu idealtypisch und überdeutlich auf die Problematik hingewiesen, wie sehr die Wahrnehmung unserer Geschichte und unserer politisch-sozialen Gegenwart von (visuellen) Medialisierungen beherrscht wird. Damit wurde er – und der gegenwärtige Presseauftrieb anlässlich seiner aktuellen Ausstellung bekräftigt dies noch einmal – zu einem der wichtigsten deutschen (und internationalen) Fotokünstler der Gegenwart gemacht. Der über Jahre gleich gebliebene methodische Zugriff des Künstlers auf sein Material und sein unermüdliches Durcharbeiten der mediatisierten Alltagswelt durch sein geduldiges und aufwändiges Nachbilden in Papiermodellen hatte aber auch immer etwas beklemmend Didaktisches; ein Merkmal, das das Werk vor meinen Augen stets erstarren und irgendwie tot erscheinen ließ.

Zu diesen erstarrten Bildern passt die monumentalisierende Geste, mit der Demand durch die Titelgebung in seine Ausstellung einlädt: „Nationalgalerie“ verspricht pünktlich zum 20. Jahrestag der Wiedervereinigung und zum 60. Jahrestag der Gründung der BRD und nicht zuletzt zum 40-jährigen Jubiläum des Mies-Baus einen panoramatischen Blick auf Deutschland und trägt den Anspruch auf Repräsentation der Nation vor sich her. Dass nun mit seinem Werk „Lichtung“ (2003) ausgerechnet eines der historisch am meisten ideologisch vereinnahmten Symbole in der deutschen Identitätsbildung den Auftakt zur Ausstellung bildet – der deutsche Wald – ist auf der ganzen Bildbreite von nicht weniger als fünf Metern einigermaßen verstörend und auch nervtötend. Man fragt sich, ob es ausreicht sich zu vergegenwärtigen, dass die vielen tausend (Laub-)Blätter in Fleißarbeit aus Papier geschnitten, gefaltet und geklebt wurden und also keineswegs das repräsentieren, was sie zu suggerieren scheinen. Vor dem Hintergrund der prominenten Platzierung dieses symbolpolitisch vielfach verwerteten Sehnsuchtsmotivs „Wald“ erscheint aber die Entscheidung, mit dem Bild „Copyshop“ (1999) anzuschließen, schon fast genial. Denn in diesem auf einer aufgerissenen Wand angebrachten Bild eines Kopierladens steckt nicht nur explizit der Hinweis auf Demands Unglauben an die Versprechen der Fotografie, sondern auch der sich aus ihr ableitende Hinweis, dass es dem Künstler mit „Nationalgalerie“ und in seiner Auseinandersetzung mit deutscher Geschichte vor allem um die vielfachen Brechungen, Unschärfen, Überlagerungen und Abnutzungen wirkmächtiger (Deutschland-)Bilder geht. Und so ist im sich anschließenden Parcour durch diese Ausstellung interessant zu erleben, dass die Medienbilder, die Demand ausgewählt, räumlich nachgebildet und dann wiederum abfotografiert hat, nicht tot, sondern vielmehr leer sind. Sie vermitteln an sich erstmal keine Informationen, erst durch ihre narrativierenden Kontexte erhalten die Bilder Signifikanz: Durch die Geschichten, die sich um vorangegangene Ereignisse ranken und für die medial verwertbare Bilder gefunden werden mussten, nicht nur um das Geschehene zu visualisieren, sondern vor allem um es zu verifizieren. Es sind gleichsam Bilder, die sich abgelagert haben im kollektiven Bildergedächtnis, die wir diffus-verschwommen abrufen und die ein Anlass sein können, bestimmte (vielleicht deutsche) Erfahrungen abzugleichen. In der Zusammenstellung von insgesamt 40 Bildern zeigt sich auch, dass es Thomas Demand gelingt, jedes Bild gleich wichtig oder unwichtig erscheinen zu lassen. Unabhängig davon, ob er Ereignisse von politischer Brisanz oder gesellschaftliche Randnotizen bearbeitet – das ist eine  Qualität seiner Arbeit: Die Haltestelle, in der sich eine Teenie-Band formierte („Haltestelle“, 2009), das Parlament der Bonner Republik („Parlament“, 2009), die Saarbrücker Tosa-Klause, in der ein Kind gewaltsam zu Tode kam („Klause 1–5“, 2006), die gestürmte Stasizentrale („Büro“, 1995), das Kinderzimmer des Künstlers („Kinderzimmer“, 2009), die Baracke der Wolfsschanze, in der das Attentat auf Hitler verübt werden sollte („Raum“, 1994) – alle Arbeiten gleich gewichtet und damit in der historischen Bedeutung egalisiert.

Demand zeigt die Geschichte und Gegenwart Deutschlands weder als eine große Erzählung, die allen Bürgern bekannt und ihnen gemein ist, noch zeigt er sie als Ansammlung von Geschichtssplittern, die Rekonstruktionsarbeit notwendig machen würde. „(...) vielmehr kann sie immer nur so dargestellt werden, wie sich die Wirkung ihrer Szenen und Objekte auf Individuen wie Demand entfaltet – zufällig, persönlich, subjektiv.“ (Mark Godfrey im begleitenden Katalog zur Ausstellung). Das erscheint im Ansatz sympathisch, auch weil es ein Ansatz ist, der sich ganz explizit gegen eine normative Auslegung von Geschichte wendet. Er macht aber auch deutlich, dass das Werk nichts mit politischer Wortmeldung zu tun hat.

Statt dessen setzt Demand auf die Kraft der Suggestion. In seinen Bildern arbeitet er dabei mit einem in der Fotografie gängigen Verfahren: Durch einen minimalen Hinweis wird ein Maximum an Fantasie freigesetzt. Gemeinhin wird damit so etwas wie kulturelle Repräsentation erzeugt. Um ein anschauliches Beispiel zu geben: Das Bild der schwarzrotgoldenen Fahne ruft sofort die Begriffe Deutschland, Volk, Nation, Hymne, vielleicht auch Fußball etc. auf. So einfach aber macht es sich Demand natürlich – zum Glück! – nicht: Durch präzise Steuerung und Kontrolle seiner sparsamen und oftmals vordergründig unspezifischen Bildelemente (als Paradebeispiel kann hier die von der Rezeption gern aufgegriffene nachgebildete Badewanne gelten, in der Uwe Barschel starb („Badezimmer“, 1997)) entfalten sich die Szenen nur schemenhaft, allegorisch. Man kann nur darüber spekulieren, inwieweit dass, was Demand hier an Gefühlen, Erinnerungen oder auch an Wissen abruft, repräsentativ für alle Deutschen sein mag.

Unterstrichen wird diese Strategie durch die Art und Weise, wie er seine Bilder in der Neuen Nationalgalerie arrangiert: Die mehrfache Teilung des Raumes durch wallende Vorhänge, mit denen Demand die Sicht nach Außen zum Teil verdeckt und durch neu entstandene Räume lenkt sowie die ungewöhnliche (schwebende) Platzierung seiner Bilder vor Stoffbahnen, all das unterstreicht den kulissenhaften Charakter, den auch seine Bilder begleiten. Verschiedene Stellwände erweisen sich als nicht so gediegen-hölzern, wie ihre polierten Oberflächen suggerieren, sondern offenbaren mit ihren aufgerissenen Kanten ihre Brüchigkeit: Sie sind genauso Simulakren wie Demands Modelle, deren Bilder er auf ihnen anbringt. Die präzise und perfektionistische sowie aufwändige und kostenintensiv wirkende Inszenierung lässt die gewaltige Halle Mies van der Rohes selbst zum Modell schrumpfen. Man nimmt ihr den Repräsentationsanspruch für einen Moment gar nicht mehr ab. Und so oszilliert die ganze Ausstellung durch die sich überlagernden Inszenierungen zwischen einem abstoßend monumentalem Gestus einerseits und der verführerischen Zerbrechlichkeit eines Kartenhauses andererseits.

Der Zaubertrick, den Thomas Demand anwendet, um dieses Wackelbild zwischen Opulenz und Leere, zwischen Monument und Fragment in der Ausstellung entstehen zu lassen, heißt einerseits: thematische Rahmung! Die Arbeiten brauchen offenbar diesen starken thematischen Zusammenhalt, der mit „Nationalgalerie“ nicht dicker hätte aufgetragen werden können, um jenes suggestive Moment freizusetzen, das in den entleerten Bildern steckt. Die wuchtige Inszenierung, die den Betrachter in eine atmosphärisch verdichtete Situation führt, tut andererseits das Ihrige dazu. Hätte es Demand geschafft, es hierbei zu belassen, käme man vielleicht zu dem Schluss, dass wir es hier mit einer wahrhaft antiideologischen Arbeit zu tun haben – oder zumindest mit dem Versuch, ein ideologisch besetztes und gegenwärtig in unzähligen Jubiläums- und Erinnerungsausstellungen breit gewalztes Thema mit den Mitteln der Kunst antiideologisch zu bearbeiten. Dazu aber konnte sich Thomas Demand nicht durchringen, er hat sich im Gegenteil dazu veranlasst gesehen, seinem Werk zusätzlichen „Sinn“ zu geben, indem er Botho Strauss einlud, mit literarischen Randnotizen zu jedem Bild zu assoziieren und durch die Ausstellung zu führen. Damit erfährt das Werk nicht nur eine überflüssige Nobilitierung, sondern wird vor allem in eine an die Romantik anknüpfende Tradition gesetzt, in der mit den zur Verfügung stehenden künstlerischen Mitteln Geschichte und Gegenwart nicht durchgearbeitet, sondern verzaubert werden – eine Tradition, in der auch Strauss selbst steht.

Auch das umfangreiche Rahmenprogramm, in welchem die Ausstellung dafür herhalten muss, die unsinnige Frage zu durchleuchten „How German is it?“, schwächt eine Radikalität, die man in „Nationalgalerie“ zu erkennen glaubt. Und so sehnt man sich statt „Lichtung“ unbedingt „die bepisste Jogginghose aus Rostock-Lichtenhagen“ herbei, die selbst dem Künstler als erstes einfällt, wenn er an Deutschland denkt.

Thomas Demand „Nationalgalerie“
Neue Nationalgalerie
Potsdamer Straße 50
10785 Berlin
18.9.2009–17.01.2010

Thomas Demand „Lichtung“, 2003, Ausstellungsansicht Neue Nationalgalerie (© Foto: Andreas Koch)
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