Ähnliche Meinung

2012:Dec // Philipp Simon

Startseite > Archiv > 12-2012 > Ähnliche Meinung

12-2012

















Choreografie der Wrestler
/ Ähnliche Meinung – über das Selbstgespräch hermetischer Netzwerke

Jedes System, das sich einer perfekten Operationalität annähert, ist seinem Untergang nahe. Wenn das System sagt: „A ist A“ oder „2+2=4“, geht es zugleich seiner absoluten Macht und seiner totalen Lächerlichkeit entgegen, d.h. einer unmittelbaren und zu erwartenden Subversion – es reicht ein kleiner Finger, um es zum Einsturz zu bringen. Man kennt die Kraft der Tautologie, die die Anmaßung des Systems zur vollkommenen Kugelgestalt vorantreibt.

(Jean Baudrillard „Der symbolische
Tausch und der Tod“, München 1982, S. 12)

Was Jean Baudrillard als die „perfekte Operationalität“ und der damit verbundenen „absoluten Macht“ des Systems beschreibt, scheint auch Systeme künstlerischer Netzwerke zu betreffen. Solche Netzwerke bezeichnen Räume künstlerisch geteilter Wissensstände und Geschmacksurteile, die parallel und unabhängig von anderen kulturellen Netzwerken sein können. Handlungen innerhalb dieser Netzwerke bedürfen keiner allgemeinen, äußerlichen Rechtfertigung. Da Außenstehende nicht in der Lage sind, die Symbole und Codes des Netzwerks zu lesen, haben sie auch keine wirksame Urteilskraft. Mit der Segmentierung der Kunst in Mikrokosmen wird die Frage nach der Relevanz eines Kunstwerks innerhalb desjenigen Netzwerks entschieden, in dem es stattfindet. ­Diese ‚Selbstbewertung‘ stellt eine Macht über die Bestimmung der eigenen Wertigkeit dar. Nur Kunstwerke, die dezidiert politisch oder gesellschaftskritisch konzipiert sind und in diese Richtung wirksam sein sollen, fordern auch außerkulturelle Geltung ein und können dadurch effektiv kommentiert werden.
Der „totalen Lächerlichkeit“ gehen die künstlerischen Netzwerke in der Hinsicht entgegen, als dass sie, von außen betrachtet, sinnfrei sind. Ziel des zeitgenössischen Schaffens scheint momentan nicht mehr die allgemeingültige Aner­kennung, sondern bloß die Anerkennung innerhalb des Netzwerks – innerhalb eines Raums geteilter Wissensstände. So bleiben viele netzinterne Diskurse für Dritte verborgen und vermitteln sich als ‚alberne‘ ästhetische Praxis ohne Bedeutung.

Die Fragmentierung der Kunst in Netzwerke und das gleichzeitig zunehmende Aufkommen des Referenzierens innerhalb des kulturellen Raums führt tendenziell zu einer In-sich-Gekehrtheit der Kunst – zu einer ‚Introversion‘. Weil sich die Netzwerke abkoppeln, sich von einer Makro- auf eine Mikroebene begeben, sind sie gezwungen, ihre eigenen Diskurse selbst zu bewerten. Das tautologische Potenzial – die Möglichkeit des „A ist A“ – birgt dabei die Gefahr des Kollapses. Solange aber die netzinternen Diskurse verantwortungsbewusst und selbstkritisch geführt werden, kann es zu internen Innovationen und Weiterentwicklungen kommen. Doch die Möglichkeit der Selbstbestätigung beinhaltet permanent die Gefahr eines ‚Endes‘. Dieses Ende bestünde darin, dass sich ein Netzwerk unmerklich zu einem hermetisch geschlossenen System entwickelt, dessen Elemente sich uneingeschränkt selbst reproduzieren. Somit unterläge es einer sinnlosen Unendlichkeit, bei der keine Intervention von außen wirkungsvoll greifen könnte.
Die innerkulturelle Referenz, die immer dominanter gegenüber einer schlichten Bezugnahme zum außerkulturellen, sozusagen profanen Raum wird (vgl. Boris Groys, „Über das Neue“, München 1992, S. 56) führt zu einer Zuwendung der Kunst zu sich selbst. Ursache ist das Phänomen, dass profane Inhalte und Materialien, die zum wiederholten Male künstlerisch verwendet werden, nur noch als Referenz gedeutet werden und so die Bezugnahme zum außerkulturellen Raum kaum noch gewährleistet bleibt. Die Distanz zur außerkulturellen Wirklichkeit verstärkt sich in dem Maße, wie profane Elemente in der kulturellen Nutzung lediglich als Bezug auf Kunst gelesen werden. Das Verhältnis von Zeichen und Bedeutung, das zu Beginn der Moderne im Zentrum künstlerischer Produktion stand, wurde abgelöst von einer generischen, selbstreferenziellen Produktion und Deutung (vgl. André Rottmann, „Reflexive Bezugssysteme“, Texte zur Kunst, Heft 71, September 2008, S. 78 ff.)

Wenn diese bipolare Relation [die das System im Gleichgewicht hält] nicht mehr wirksam ist, wenn sich das System selbst kurzschließt, produziert es seine eigene kritische Masse und gibt den Weg frei zu einem exponentiellen Abdriften.
(Jean Baudrillard, „Der unmögliche Tausch“,
Berlin 2000, S. 12)

Die Auflösung des Spiegelstadiums zwischen Kunst und außerkulturellem Raum bedeutet tendenziell die Auflösung einer bipolaren Relation und den Beginn einer ‚Selbstähnlichkeit‘. Dieses Stadium lässt sich als „Co-Evolution“ verstehen (Niklas Luhmann, „Soziale Systeme“, Frankfurt 1987, S. 92), bei der sich beide Pole einander bereichernd weiterentwickeln. Ein dialektisches (Aus)Tausch- und Gleichgewichtsverhältnis dieses dualen Systems wird durch die festgestellte Introversion der Kunst stark beeinträchtigt. Denn eine solche Austauschbeziehung geht die Kunst zunehmend zu sich selbst ein – wie ein vereinsamter Mensch, der in seiner Isolierung beginnt, Selbstgespräche zu führen. Diese Situation ist jedoch keine Überbrückung von Einsamkeit, sondern funktioniert als Selbstgespräch, bei dem beide Gesprächspartner eins sind und nur scheinbar einen Konflikt austragen. Letztlich fallen sie in einer Person zusammen und gestehen ihrem fiktiven Gegenüber ein, dass sie gleicher Meinung sind. Dieses Selbstgespräch ist keine umstandslose Selbstbestätigung – es muss den Weg über einen vorgetäuschten Konflikt gehen, der jedoch nicht mit der Außenwelt ausgetragen wird.

Ähnlich vermitteln sich manche Diskurse der künstlerischen Netzwerke, die dabei sind, tautologisch zu enden. In diesen Netzwerken gibt es, neben der wirtschaftlichen Verstrickung zwischen Galerien, (kritischen) Magazinen und Institutionen, eine Verstrickung zwischen dem Künstler und dem kritischen Betrachter – beide tauschen hin und wieder die Rollen und schlüpfen in die des jeweils Anderen. Um als Kritiker eine relevante Position einzunehmen, muss eine künstlerische Arbeit sorgfältig und kritisch betrachtet werden, denn nichts ist uninteressanter als ein Kritiker, der uneingeschränkt zustimmt. Doch die kritische Beurteilung darf in diesem Fall nicht zu schroff sein, weil der Künstler beim nächsten Treffen möglicherweise selbst als Kritiker auftritt und seine Gunst nicht verwirkt werden darf, damit am Ende alle zwar skeptisch, aber dennoch positiv kritisiert werden – ein intersubjektives Übereinkommen sozusagen. Ist diese Einigung zwischen dem Künstler und dem Künstler als Kritiker durch wirtschaftliche Beweggründe motiviert, bewirkt sie einen Scheinkonflikt: Es ist ein Schaukampf zweier Wrestler, die nicht zu doll zuschlagen, um den anderen nicht wirklich zu verletzen. Der Ringrichter, der beim Wrestling nichts zu sagen hat und je nach festgelegter Storyline durch einen ‚Referee Bump‘ außer Gefecht gesetzt wird, stellt den außenstehenden, ohnmächtigen Betrachter dar; denn es braucht seine Reglementierung nicht. Der Sieger steht schon fest und dennoch wird der Umweg über den choreografischen Kampf gegangen. Darin decken sich Wrestling, das kritische Selbstgespräch und der tautologische Diskurs – „A ist A“ oder zumindest A ist a – eine stille Übereinkunft.

Martin Liebscher "Picasso", 2007 (© )
Bettina Hoffmann "4 on the road", 1997-1999 (© )
Daniela Comani aus der Serie "Eine glückliche Ehe, Teil 2, an der Ostsee", 2004 (© )
Microtime für Seitenaufbau: 1.30458188057