Einer von hundert

/ Tagebuch aus dem Berliner Winter

2011:May //

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03-2011
















7. Januar, Galerie Christian Nagel
Läuft man am Eröffnungsabend der Ausstellung „die gesänge des gedärms. moral & malerei 1“ von Dominik Sittig auf die Galerie zu, leuchten die Galeriefenster greller als sonst. Das Kalkweiß der Wände blendet heute regelrecht, der Bodenbelag ist kühler als in vergangenen Ausstellungen. Die Bilder erzeugen eine Überblendung des Raums. Aus ihrem Dunkel tönt ein leiser Singsang, der sich durch das Neonlicht hindurch in meine Richtung schiebt. Die Glocken, sie läuten, sie klingen. Klimbim klimbim, das himmlische Kind. In Sümpfe gefallen, erhoben das Haupt, die Wurst noch im Mund gibt’s Donner und Wetter. Rette sich wer kann! Die Eingeweide winden sich, krampfen, und die süßen fauligen Reste eines viel zu lange schon währenden Genusses pressen sich behäbig Richtung Körperaußen. Sie enthüllen, was sonst so oft verborgen bleibt. Ein Geschmack von See­tang, ein algenöliger Film, ein Flirren und Zirpen, eine Gemengelage aus sumpfschlingigen, amöbenhaften Geistfäden. Meine brennenden Augen erholen sich auf den reliefartigen Bildoberflächen. Der Farbauftrag wurde in oft jahrelanger Arbeit Schicht um Schicht übereinander gelagert. Schicht um Schicht wurde er dicker, öliger, gesättigter. Hier und da scheint ein helles Gelb, Rosa und zartes Grün zwischen Farbwulst und Leinwand auf. Ich suche feste Formen und unter der Farbschicht aufgeklebte Gegenstände. Vergebens. Es ist als würde jeder Auftrag eigentlich Abtragen. Staffage abtragen, Schmuck und Maskerade. Noch nie war ein Getöse so beruhigend. So freundlich und zugewandt. Klamauk und Schabernack ist mit im Spiel. Als wär’s zum Lachen, wenn sich die Gedärme winden. Für einen Moment bin ich froh. Daseinsgewissheit im schmerzhaften Grell der Galerieräume.

8. Februar, zuhause
Ob es zum Problem wird, wenn der beste Künstler einer Galerie höchsteigentlich ihr Galerist ist? Wie die Zeitschrift Monopol in einem Bericht zur kürzlichen New Yorker Armory Show zu kolportieren wusste (und was vorher schon Anlass zu so manchem Berliner Kneipengespräch gab), will Ben Kaufmann seinen, zugegeben waghalsigen, Job als bester Künstler seiner Galerie bis Jahresende an den Nagel gehängt haben. Mancherorts sicher kein Grund, aufzuatmen.

10. Februar, wieder Galerie Christian Nagel
Wahnsinn. Dominik Sittig in seiner Performance, besser in seinem performten Vortrag bei Nagel. Erst so kapiert man seine monochrom braunen, langweilig-expressiven Leinwände als reine Klischeeprodukte. Als ein Abbild der Generation der In-den-Siebzigern-Geborenen, der Generation Golf, als der Essenz all unserer Anstrengungen – kackbraun zugemalte, dicke Farbschlieren. Sein Vortrag ist ein Rundumschlag angefangen beim regressiv-pubertären Treiben eines John Bock, über gebärmutterähnliche Baugemeinschaftsrückzugsträume, inklusive Florian-Illies-Bashings bis hin zu sämtlichen in der FAZ-am-Sonntag ausgebreiteten Prenzlauer-Berg-Klischees. Vorgetragen mit Extrem-Pathos, Extrem-Gestik, stechende Augen, spritzender Mund, schreiend und wieder innehaltend, strampelnd und selbst gefangen im Sumpf der vorsichhinwabernden, sich-selbst-befriedigenden Künstler-etc.-Kaste, wie wir alle…

12. Februar, am Mehringdamm
Ganz großes Kino schon die Einladungen: Ein eigenes Kartenspiel hatte man drucken lassen, die exklusivste Presse­agentur der Stadt angeheuert und überhaupt, der ausstellende Künstler – eine Sahneschnitte unter den Zeitgenossen und dennoch irgendwie total kunstmarktkritisch: Bilder mit Aufschriften wie DIE COLLECTOR SCUM hatte er bereits ausgestellt und auch damit Erfolg gehabt. Nun also irgendwo am Mehringdamm, ungefähr Hausnummer 72, mit „Heroes“ der absolute Knaller – der sich bei genauerer Betrachtung dann doch irgendwie als das ganz große Luftknallereignis erwies. Wer sich nämlich allen ernstes in jener kalten Winternacht an einem Sonntagabend in die heiligen Hallen mit Fischgrätparkett aufgemacht hatte, fand dort ungefähr folgende Situation vor: Halb Brooklyn bzw. Leute, die so aussehen wollten wie die auch als „Peres People“ bekannte Neubevölkerung Kreuzköllns rauchend und gestapelt im Flur, ganz am Ende des Ganges ein Zimmer, an dem allein ein Kreditkartenlesegerät, ein freundlich lächelnder Galerist mit Seemannsbart und ein Zettel zu entdecken sind, auf dem EINTRITT 5000 EURO stand. Bilder – außer auf Spielkarten – keine zu entdecken, sie würden nur bei Zahlung gezeigt, aber später wäre dann ja noch Party in der Sanderstraße. Könnte man für einen einmaligen und einzigartigen Ausfall halten, diese „Haltung“, die der Künstler damit beweisen wollte – doch nur ein paar Wochen später im „Varieté“ der Kunst-Werke wurde zwischen der peinlichen Werbe-Performance für American Apparel und der peinlichen Werbe-Performance für ACNE Jeans deutlich, dass sich hier ein neuer Standard im Umgang mit dem in Lebenszeit zahlenden Publikum andeutet. Wenn’s so weitergeht – irgendwann vielleicht doch lieber gleich ins Kino, da sieht man wenigstens ordentlich Leinwand.

25. Februar, im Hansaviertel
Sie fragen, wie man sich in Heidelberg die Avantgarde vorstellt? Dieter Roelstraete dürfte mit seinem kuratorischen Doppel-Coup „The Bell Show/The Gong Show“ bei den notorisch um Szene bemühten Junggalerien Lüttgenmeijer und Micky Schubert jede dahingehende Neugier mehr als befriedigen. Hat man nicht mal mehr im Westen seine Ruhe?

11. März, in der Stresemannstraße
Hau 1, die Zitty hatte geladen zur Podiumsdiskussion „Was braucht die Kunst“. Es ging um die langjährig durchgenudelte Kunsthallendiskussion und die daraus resultierende topaktuelle „Based in Berlin“-Ausstellung, ehemals „Wowis Leistungsschau“.

Schon der begrüßende Lilienthal kündigte einen eher informativen, denn streitlustigen Abend an und so war es dann auch. Claudia Wahjudi und Michael Sontheimer führten ihre Gäste (darunter Gabi Horn von den KW, Florian Wüst als Verfasser des offenen Briefs „Haben und Brauchen“, und als einzigen Vertreter der „Macher“, den Bürgermeistersprecher Torsten Wöhlert) flockig-verständnisvoll durch den Abend.

Heraus kam, dass die Kunsthallenidee sukzessive an die Wand gefahren wurde, sie eigentlich keiner so recht haben will, geschweige denn die laufenden Kosten aufbringen möchte. Soweit ok, aber dass jetzt von der Idee 1,6 Millionen Euro irgendwie übrig blieben, die in nur einer Ausstellung verbraten werden müssen, kapier ich nicht. Was machen die damit? Wenn auf der anderen Seite nur 100.000 in direkte Projektförderung und nochmal 180.000 in Form von Arbeitsstipendien jährlich an Künstler verteilt werden, ist das ein Schlag ins Gesicht der ortsansässigen „based in Berlin“-Künstler.

Nach der Verlegung weg vom Humboldthafen kommt das Ding zudem noch ohne kostspielige temporäre Architekur aus und findet in den ehemaligen Atelierräumen der Kunsthochschule Weissensee im Monbijoupark statt. Ableger landen wahrscheinlich im KW, der Berlinischen Galerie, im nbk und im Hamburger Bahnhof, die so indirekt gefördert werden sollen. Die, die mal wieder leer ausgehen, sind die Künstler und Projekträume. Die wuppen ihren Alltag ja eh irgendwie…

11. März, immer noch im Hau 1
Auf die Frage an Torsten Wöhlert, ob man das Geld nicht wirklich vielen, kleineren Projekten zukommen lassen könnte, antwortete dieser, dass uns alle hier im Raum ja nur die nachhaltige Finanzierung interessieren würde. Alle anderen vielleicht schon, Herrn Wöhlert aber offensichtlich nicht, denn die Ausstellung ist ja gerade das Gegenteil von Nachhaltigkeit, nämlich sinnloses Verpulvern. Bitte nehmt der Ausstellung eine Million weg und verdoppelt die direkte Künstlerförderung für die nächsten vier Jahre. Das ist das, was die Kunst braucht, mindestens … und es ist nachhaltig genug … in der nächsten Legislaturperiode wird eh wieder gekürzt.

12. März, im Büro
Eben bekam ich eine grobe Aufstellung der Verteilung der 1,6 Millionen Euro für die „Based in Berlin“-Ausstellung in die Hände, eine „kleine Anfrage“ der grünen Abgeordneten Alice Ströver unter dem Titel „Klaus Wille geschehe … künstlerische Leistungsschau am Humboldthafen zu Ehren Klaus Wowereits“: Bestandsaufnahme: 200.000 Euro brutto (wie bitte? 200.000 zum Mappenanschauen und in Ateliers dackeln. Beim Berliner Arbeitsstipendium landen genauso viele Portfolios und die kommen wahrscheinlich mit unter 5000 Euro Aufwands­entschädigung aus…, aber hier gibt es wahrscheinlich fünf Vollzeitkuratorenstellen über ein dreiviertel Jahr. Biesi und Obrist fliegen dann auch noch zusätzlich zehn mal mehr ein, als sie es eh machen würden oder kriegen die Flüge, die sie eh machen würden, Businessclass bezahlt…)

Architektur/Ausstellungsdesign inkl. Wettbewerb: 360.000 Euro (Humboldthafen fällt jetzt flach, Raumlabor sind raus, die kriegen wahrscheinlich eine Entschädigung, genau wie die 22 Büros, die zum Ideenwettbewerb eingeladen waren ihre 500 Euro bekommen, sagen wir also minus 30–40.000 Euro (immerhin tagte die Jury ja in Miami Beach, das kostet auch), bleiben noch 320.000. Dafür kann man die Monbijouschuppen noch mal bauen…. Bitte mindestens 280.000 überweisen an den Senat, Abteilung Projektförderung!) Realisierung der Präsentation (Produktion u. Einrichtung, Betrieb, Begleit- u. Veranstaltungsprogramme): 710.000 Euro (Ok, das ist wohl die Ausstellung, für die teilnehmenden Künstler bleiben wohl geschätze 400.000 oder 5000 Euro pro Kopf im Schnitt, großzügig, aber ok, hatte ich so auch noch nie.

… dann haben wir noch 310.000 Euro für Aufbau und Betrieb, lass es 60.000 für die Aufsicht sein, denn hier haben wir ja die Künstlerförderung in Form von 8-Euro-Jobs für 20 Künstler. Eines der Aufbauunternehmen macht dann das Rennen, Matzat, van den Berg/Abrell, was weiß ich, diesmal 15-Euro-Jobs für 10 Künstler, Videotechnik von Eidotech, klar, wenn sie das von den 5000 Euro Künstlerbudget nicht wieder abziehen, insgesamt nochmal 60–100.000, aber bitte keine Party für die restlichen 150.000, ich bin auch mit drei Bier zufrieden… rücküberweisen!)

Kuratorische Arbeit und Koordination: 130.000 Euro brutto (äh, die fünf Vollzeitkuratorenstellen hatten wir ja schon oben, aber jemand muss ja noch die Flüge von Obrist und Biesenbach buchen, trotzdem zurückzahlen) Gesamtsteuerung, Kommunikation und Werbung: 300.000 Euro brutto (bitte nicht die ganze Stadt zu plakatieren, bitte nicht die landeseigene Kulturprojekte GmbH mit Geld zuscheißen, die stecken das dann in 125 Jahre Ku’damm, 250.000 abgeben…)

27. März, abends wieder mal zuhause
1. lese ich in einer Kunstzeitung folgende Bildunterschrift: „Die Topkuratoren mit der hübschen Preisträgerin“ und frage mich, ob es denen noch gut geht.
2. überlege ich mir, wie man die Melancholie zurück ins Leben holt, wenn man plötzlich so ausgeglichen ist.
3. lese ich im Pressetext: „Seine Arbeiten begreifen die Malerei als spannungsgeladenes Feld, welches zum einen die Auseinandersetzung mit der Historie des Mediums und den damit verbundenen Diskursen evoziert, zugleich aber Möglichkeiten der (Selbst-)behauptung und Verortung bereithalten kann“ und denke, dass das schon ein schlimmer Allgemeinplatz ist.
4. fällt mit wieder die Senatsstipendiaten-Ausstellung im nbgk ein und ich denke noch immer mit Schaudern an die Arbeit von Ulf Aminde, der die Abdrücke von 12000 Ein-Euro-Münzen (Höhe des Preisgeldes!) auf ein Papier gedruckt hat und das dann auch noch „Mach doch was du willst“ nennt.

28. März, morgens dann im Büro
Nochmal ein Nachtrag zur Leistungsschau, sorry… Der Pitch zum Ideenwettbewerb fand standesgemäß in Miami Beach statt, die Entscheidung war wahrscheinlich belastet durch zuviel Sonne auf den Köpfen und zuviel Partynebel in denselben. Nicht dass der Entwurf von raumlabor schlecht ist, im Gegenteil, ihre Clusterarchitektur aus »Stadtmobiliarien« wie Containern, Partyzelten, Robben&Wientjes-Lastern und Weihnachtsmarktständen wirkt, als hätte man die früheren Art-Basel-Miami-Beach-Positions mit deren Con­tainer­architektur einfach konsequent weitergesponnen. Als wäre der Humboldthafen ein großer Sandkasten, der von großen Jungs mit Realspielzeug vollgestapelt wird. Kann man machen, nur dass den Kuratoren wahrscheinlich zu spät aufging, dass darin die auszustellende Kunst wenig Chancen hat. Das machten ihnen dann wohl erst die anvisierten Künstler klar… War das der Grund für den Rückzug aus dem Humboldthafen? So konnte man sich einer Fehlentscheidung scheinbar elegant entledigen.

Unrealisierter Siegerentwurf zur Architektur für die „Based-in-Berlin“-Ausstellung (© Raumlabor 2010)
Kreditkartenlesegerät (© the authors)
ACNE Jeans (© the authors)
Galerie Nagel (© Google Street View)
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