Booklets / VeneKlasen/Werner

2014:Mar // Christoph Bannat

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03-2014
















Wortlose Heftwunder
/For better or worse, I am a painter wife who has
raised two children
(Miyoko Ito, 1918–1983)

Miyoko Ito als Stewardess in einem Luxusbus. Daneben das Polaroid einer Matisse-Kopie, auf einer Tuschezeichnung. Rudi Dutschke, verpixelt, vor einer Menschenmenge, über eine Doppelseite. James Lee Byars mit Megaphon auf dem Dach des Fridericianums, allein, in Kassel. Die nutzlos gewordenen Versorgungstürme des Palasts der Republik neben einem Gründerzeit-Portal. Ein assozativer Bildteppich aus Kopien und Gemälden, gegenüber der gestürzten Vendôme- Säule. Rechts der Rauchpilz einer Atombombenexplosion, links ein abstraktes Strukturbild. Bilder, davon viele, aus dem kollektiven Unbewussten und kein Bildnachweis, nirgends. Kramen im Unbewussten, als Leistung, nach Halt suchend, als Mehrwert. Oder man legt es, wie ich es tat, einfach weg. Es, das ist ein postkartengroßes 48 Seiten starkes Heft der Berliner Galerie VeneKlasen/Werner. Verschweißt in Klarsichtfolie erreichte es mich das erste Mal postalisch. Und jedes Mal, wenn die stützende Graupappe herausfällt, legt es sich schmeichelweich über die Hand. Ein Genuss. Aber ersteinmal tat ich es als irgendein postmodernes Jugendheft ab, in dem sich junge Menschen ausprobieren. Bis zur „Querelle“-Ausstellung 2012. Plötzlich sah ich das Heft als einen kleinen Katalog mit spannender Bilddramaturgie, der angenehm durch seine Wortkargheit auffiel, die sich beim näheren Hinsehen als ein Kennzeichen neben den meist angeschnittenen Motiven der Hefte herausstellte. Diese „Verschwiegenheit“ in einem traditionell wortträchtigen Kunstbetrieb gefiel mir. Sie trug wesentlich dazu bei, dass die Hefte für mich zu Fetischen wurden. Nun betrachtete ich sie aufmerksamer, nach inhaltlichen und bildrhetorischen Merkmalen, und entdeckte immer mehr Lesemuster. Ich lernte einmal mehr zu lesen, in den endlosen Beziehung zwischen Wort und Bild. Miyoko Ito hatte 2012 bei VeneKlasen/Werner nicht nur eine museumsreife Ausstellung, sondern auch eines der aufschlussreichsten Ausstellungshefte. Vorbildlich schlampig gestaltet, mit faksimilierten Briefen, aus denen das Anfangszitat stammt, Listen mit handschriftlichen Notizen und Fotos aus dem Nachlass. Und wie bei vielen dieser Hefte griff auch bei diesem eine überbelichtete oder verschwommene Reprotechniken palimpsestartig kommentierend ins dokumentarische Bildgeschehen ein.
So fungieren die Hefte im Verhältnis zur Ausstellung als selbst­ständige, assoziative Bildkommentare, können aber auch als künstlerische Ausstellungskataloge gelesen werden. Dabei ist es von unschätzbarem Wert und eine große Freiheit, dass hier nicht auf pädagogische Didaktik der Bild- und Kunstervermittlung bestanden wird. Die Bilder werden von den Künstlern und/oder Kuratoren ausgesucht und zusammengestellt. Nach New York zum Grafiker und dann zurück nach Berlin geschickt, und von hier – ohne Overvoice – in die Welt. Wortkarg geben sich dann auch die Macher. Egal, schließlich gehen die Hefte in Richtung Kunst und bekanntlich müssen Künstler nicht mehr als ihr Werk wissen. Dass bei so unterschiedlichen ästhetischen Ansätzen wie denen von Peter Saul über historische Fluxus- und Themenausstellungen bis zu Miyoko Ito das Erscheinungsbild der Heftchen nicht zerfällt, ist ein kleines Wunder. So bewegt es sich selbstsicher in seinen eigenen Parametern, und das mit hohem Wiedererkennungswert. Bei Peter Saul war das Heft besser, meint hier spontaner, als die Ausstellung. Bei Miyoko Ito machte beides glücklich. Und das Heft zu „Shakers & Movers“ rief zur richtigen Zeit Bilder aus der jüngsten Vergangenheit der Bundesrepublik wieder ins Bewusstsein. Die Galerie ­VeneKlasen/Werner, mit angeschlossener Bühne, Kino und Saal für Lesungen, sowie einer Künstlerresidenz mit Atelier, ist nur ein Knotenpunkt im Netzwerk von Michael Werner. Zu ihm gehört auch die Galerie Michael Werner in Köln, die Künstler der klassischen Moderne zeigt, neben Standorten in London und New York für zeitgenössische Kunst. Plus Michael Werners Ausstellungen in Märkisch Wilmersdorf. Auch wenn die Ausstellungen meist zu gediegen geraten, die Hefte sind einzigartig und werden dem Anspruch einer zeitgenössischen Galerie  auf höchstem Niveau gerecht – eine Freude, ein Spaß, ein Genuss mit nachhaltiger Wirkung und Vorbildcharakter für alle Heftchenmacher.
 
Bilder aus den Booklets, Courtesy VeneKlasen/Werner (© )
Bilder aus den Booklets, Courtesy VeneKlasen/Werner (© )
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