Aufstehen, ins Atelier gehen, vor Skizzen und Leinwände brüten, essen, schlafen

Gespräch zwischen Wayra Schübel, Matthias Reinmuth und Sophia Schama

2014:Jul // Wayra Schübel

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07-2014
















Um die beiden Hauptereignisse Gallery Weekend und Kunst-Biennale fand im Berliner Mai eine Fülle von mehr oder weniger professionell angelegten Großveranstaltungen statt.
„Tasse wieder Komma noch Fisch“ war der Titel einer auffallend gelungenen Gruppenausstellung, die jenseits der üblichen Kunstpfade in der m3 Kunsthalle, dem Ausstellungsraum des Atelierhauses Mengerzeile, in Treptow stattfand.
Ziel war es, ein erzählerisches Diktat zu meiden und dennoch verspielten Humor herrschen zu lassen, wie es bereits der lautmalerisch gewählte Ausstellungstitel nahe legt.
Eine von Künstlern kuratierte Ausstellung muss nicht zwangsläufig diskursiv-theoretisch sein, sie kann sich jenseits gängiger logischer Muster bewegen und das sich dadurch deduzierende Konzept darf rein virtuell sein. Mit zwei der Künstler-Kuratoren um Antje Blumenstein, Matthias Reinmuth und Sophia Schama hatte ich die Gelegenheit, mich intensiv zu unterhalten.

Matthias Reinmuth  /     Wir folgten bei der Wahl der Künstler keinen politischen Erwägungen, im Sinne von: Wer ist mit wem vernetzt und zieht Aufmerksamkeit. Die Freiheit, oder besser der Luxus, den es bedeutet, allein das Auge entscheiden zu lassen, das hat eine ungemein befriedigende und befreiende Wirkung.
Sophia Schama  /     Doch auch wenn sich die Auswahl rein ästhetischen Erwägungen bedient hat, eine Ausstellung auf die Beine zu stellen, das ist Arbeit: Nachdem die Idee geboren war, trafen wir uns über den Zeitraum eines halben Jahres regelmäßig, um aus einer Unmenge an Positionen einen Extrakt zu gewinnen – neun Künstler schien uns die maximale Anzahl, die in dieser Halle kraftvoll miteinander zusammenwirken können, ohne sie zu überfrachten.
Reinmuth  /     Als die Auswahl dann feststand, ging es sofort richtig gut los. Die schwedische Künstlerin Sigrid Sandström hat, als ich ihr von der Idee erzählte, spontan Feuer gefangen. Sie brachte unmittelbar von ihrer Rückreise von Barcelona nach Stockholm ihre Arbeiten in Berlin vorbei.
Schama  /    Uns Künstlern wird die Aufgabe, eine Ausstellung auszurichten, meist abgenommen. Machen wir sie selbst, so ist das die Chance, einen strengen Rahmen zu schaffen, in dem sich ein luftiger Inhalt entfalten kann.
Vor allem wir Maler sind Künstler, die in der Regel eher wenig reden: Aufstehen, ins Atelier gehen, vor Skizzen und Leinwände brüten, essen, schlafen … Doch sobald es gilt, ein gemeinschaftliches Ziel in die Tat umzusetzen, muss dieses verbalisiert werden, und dann wird miteinander verhandelt. So ein Künstler wäre ja sonst ein in seiner Existenz von der restlichen Gesellschaft abgetrenntes Exemplar.
Wayra Schübel  /     Interessant! Auch wenn es für uns, und gerade in Berlin, schwer nachvollziehbar ist; doch während es gesellschaftlich akzeptierte Berufe gibt, wie Anwalt, Arzt, Beamter, so sind ja bereits Werber und Marketingmenschen für viele Menschen tendenziell Spinner. Und die Beweggründe für einen künstlerischen Werdegang sind schon gleich gar nicht nachvollziehbar.
Reinmuth  /     Im Gegensatz zu institutionellen oder kommerziellen Ausstellungen gibt es bei dieser keine einzige Entscheidung, die nicht aus formalen Gesichtspunkten getroffen wurde. Genau das macht sie so auffallend. Wir haben hier die Freiheit, in allen Entscheidungen und auch in allen Punkten der Ausführung, visuell vorzugehen.
Schübel  /     Es gibt die großen Stars, die Leuchttürme des Betriebes. Anders gesagt: In Museen und im Galeriewesen gelten zumeist ganz starre Bedingungen.

Eine Sammlung macht eine Ausstellung, um die Urteilsfähigkeit des Sammlers zu demonstrieren und daraus z. B. ein gutes Merchandising abzuleiten. Ein Museum macht eine Ausstellung, um viele, möglichst auch kulturferne Schichten anzulocken, um den folgenden Förderzeitraum zu rechtfertigen. Galerien wollen zumeist Käufer, und die kaufen selten nach Auge, sondern eher nach Ohr, also brauchen die Galeristen viel Rumor, um zu Glamour zu kommen.
Schama  /    Die Kunstproduktion ist innerhalb des Kunstbetriebs nur einer von vielen Aspekten. Jeder Künstler beginnt seine Beziehung zur Kunst als eine Liebesbeziehung. Für alle von uns ist aus einer Liebes- eine Lebensbeziehung geworden, mit Trauer, Trennung und Wiederversöhnung.
Klar wird dabei, dass der Kunstmarkt im Atelier nichts zu suchen hat. Das ist der wirklich existentielle Aspekt an dem Beruf, nämlich bei sich zu bleiben: Läuft es im Atelier gut, dann ist es wahres Glück. Nicht etwa, wenn ein Tausender mehr auf dem Konto ist oder ein Museum anfragt. Diese Herangehensweise an die eigene Arbeit, das ist etwas, das wir Künstler bereits leben und das perspektivisch gesehen in der Gesellschaft der Zukunft den Arbeitsbegriff aller verändern kann.
Schübel  /     Der urbane Mensch in westlichen Gesellschaften entfernt sich immer mehr vom prototypischen Arbeitnehmer des 20. Jahrhunderts: Die globale Entwicklung fördert und fordert geradezu einen Zwang zur Selbstverwirklichung, sich als individuelles Produkt zu definieren und die eigenen relevanten Prozesse selbst von A–Z zu konzipieren und umzusetzen.
Schama  /    Genau das ist ja, was wir Künstler machen. Natürlich gibt es auch den Typ Künstler, der den Klischees entspricht: Der ewig Party feiernde, unzuverlässige, unberechenbare Künstler.
Schübel  /     Das hat ja Ursachen. Die eine ist, dass es die Fans so wollen: das Wilde, das Unbezähmbare, das strahlt Erotik aus. Die zweite, traurigere Ursache ist, dass viele junge Künstler instrumentalisiert und als Shootingstars geradezu missbraucht werden. Erst hochgeschossen, dann fallen gelassen. Niemand kümmert sich darum, dass sie mit dem ganzen plötzlichen Hype nicht klar kommen. Jeder von uns kennt jemanden, dessen Preise als junger Künstler in die Höhe getrieben und nie wieder an die reale Nachfrage angepasst wurden.
Schama  /    Das ist ein Aspekt und da ist auch was Wahres dran, dass helles Feuer schnell verglüht. Als Künstler bleibt einem bestenfalls immer das Bedürfnis, seine Bilder zu malen. Und die Bilder selbst.
Reinmuth  /     Es geht auch um Rollen, die eingenommen und angenommen werden, Rollen, die gespielt werden wollen, wie der Meese zum Beispiel, der will auf der Theaterbühne offensichtlich der Zampano sein. Wir bewegen uns in einer Kultur, die wir mit all ihren Facetten begreifen wollen. Selbst als Künstler bin ich anfällig dafür, diese Codes zu erfüllen. Bin aber auch mitbestimmend für die Entwicklung ebenjener.
Schübel  /     Die Welt, in der wir leben, verändert sich. Die Gesellschaften, ihre Codes und ihre Werte verändern sich mit. Das bedeutet, dass sich auch der Wert von Arbeit verändert. Von mittelalterlichen Bauerngesellschaften, in denen der Ertrag für Leben und Tod ebenso ausschlaggebend war wie in den industriellen Gesellschaften, in denen Prozesse optimiert und effizient gemacht wurden.
Reinmuth  /     Die technischen Möglichkeiten vernetzter Maschinen entwickeln sich rasant. Im Maße, wie der Dienstleistungssektor langsam überflüssig werden wird, zeichnet sich jetzt schon ab, dass Maschinen vieles nicht nur allein, sondern auch besser machen können. Für diese enorme Masse an arbeitslos werdender Bevölkerung müssen Jobs geradezu neu erfunden werden. Oder die arbeitslos Gewordenen erfinden sich selbst neu und werden gleichzeitig ihre eigenen Manager und Anteilseigner. Bleibt aber die Frage, wo und in welchem Feld?
Schübel  /     Was macht der Künstler? Ein Künstler produziert Produkte. Er schafft sich selbst einen Markt. Und es funktioniert manchmal. Im Vergleich zu allen anderen Arbeitsformen ist das Künstlersein eine würdige Arbeit, die sich höchstens selbst ausbeutet.
Reinmuth  /     So sehr sich der Wert von Arbeit gerade verändert: Gesellschaften werden durch Menschen verändert und Menschen lernen nie aus. Sie können immer den Zeitpunkt festlegen, an dem sie sich das Dilemma aus einer anderen Perspektive anschauen wollen, und somit eine andere Lösung wählen.
Schübel  /     Währungssysteme entwickeln sich ja ebenfalls, da sich Werte weiterentwickeln.
Reinmuth  /     Es gibt heutzutage von Tauschbörsen bis zu Bit-Coins eine ausgeklügelte Menge an Parallelsystemen des Finanzmarktes, die, wie es scheint, weniger korrumpierbar sind. Das goldene Zeitalter für Konzepte wie McDonald’s ist genauso vorbei wie für Kataloghäuser – siehe Quelle –, und bald vielleicht auch für Zalando.
Schübel  /     Viele Kritiker beobachten, dass sich der globale Galerienmarkt erst seit kurzem in die Richtung von Mega-Konzernen entwickelt. Die expandierenden Galerien sind auf den renommiertesten Messen vertreten und verdrängen die mittleren und kleinen. Da scheint der Kunstmarkt hinterher zu hinken. Doch wäre nicht genau jetzt auch dort der richtige Zeitpunkt, um neue Modelle zu entwickeln?
Schama  /    Niemand ist frei. Wir stecken auch alle fest und gern in unseren komfortablen Alltags- und Konsumsystemen. Wissend, dass der Mainstream nicht immer richtig ist. Einen Schritt zur Seite zu gehen und die Sicht des Außenstehenden einzunehmen: genau das ist ausschlaggebend, um den eigenen Weg zu erkennen. Das ist Künstlerdasein, wie ich es verstehe.
Reinmuth  /     Genau. Das ist die kleine Schicht Humus, die uns vor karger Barbarei schützt: Es war für die gesamte Entwicklung der Menschheit wichtig, dass sich von den Höhlenmenschen auch einige den Höhlenmalereien widmeten, und nicht alle mit Keulen auf Mensch und Tier losgestürzt sind.
Schama  /    Die Frage ist doch: Was ist Luxus? Vielfach wird Kunst als unnötiger Luxus abgetan, sie sei kein Grundbedürfnis … Und dennoch steckt in jedem Menschen ein elementares Verlangen, Kunst zu sehen, oder zumindest, für sich Schönheit zu definieren. Wie Matthias es schon eben sagte: Kunst bildet für die Menschen den zivilisatorischen Humus. Das ist ganz tief in jedem verankert, ein Urbedürfnis. Der einzige wirkliche Luxus sind die beiden knappsten Ressourcen: Zeit und Raum.

Nachwort

 Während wir uns unterhalten, kommen einige Besucher vorbei. Sie verweilen lange, obgleich draußen die Sonne scheint und es einer der ersten Berliner Sommertage ist.
Einer davon, ein junger Musiker, ist auf der Suche nach einem Proberaum. Er erkundigt sich danach – auch eine kleine Kammer sei ihm Recht. Er zeigt sich ganz überwältigt davon, wie museal die Ausstellung anmutet, die ganz ohne erklärende Texte auskomme und dennoch eine tiefe intellektuelle Ausstrahlung auf ihn hat, die direkt der inspirierenden Stimmung des Areals zu entstammen scheint.
Reinmuth schmunzelt den Besucher achselzuckend an, als er ihm mitteilt, dass der neue Eigentümer ab dem nächsten Jahr das Atelierhaus leer geräumt haben wird. Der junge Mann reagiert ganz verstört auf die Nachricht, dass die paar wenigen, gut funktionierenden künstlerischen Arbeitsräume nicht besser geschützt sein sollen.
Die Frage ist: Von wem?
Am Strausberger Platz droht einer etablierten Tanzschule eine Räumungsklage, da der neue Eigentümer, Kunstsammler Christian Boros, seit 2011 nachträglich eine Mieterhöhung um ca. 50% geltend macht. Auf der Suche nach einer Alternative zum Atelierhaus in Treptow haben sich einige der Künstler zusammengetan und sich in Lichtenberg auf dem Gelände der ‚Fahrbereitschaft‘ der Sammlung Haubrok umgesehen. Bei aller anspruchslosen und improvisationsfreudigen Grundeinstellung der Künstler, sich neue Wirkungsorte zu erschließen, versetzten stolze neun Euro Kaltmiete dem Pionierwillen dann aber doch einen Dämpfer.
Reinmuth jedoch betrachtet die Entwicklung gelassen, der Standort ist in seinem Fall nebensächlich.

„Tasse wieder Komma noch Fisch“ mit Heather Allen, Antje Blumenstein, Marcel Bühler, Thomas Henriksson, Franziska Hünig, Matthias Reinmuth, Sigrid Sandström, Sophia Schama, Philip Topolovac m3 Kunsthalle, Mengerzeile 1–3, 12435 Berlin, 10.5.–25.5. 2014
Ausstellungsansicht „Tasse wieder Komma noch Fisch“ (© Antje Blumenstein)
Ausstellungsansicht „Tasse wieder Komma noch Fisch“ (© Foto: Antje Blumenstein)
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