Wo ich war

2014:Mar // Esther Ernst

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03-2014
















PAINTING FOREVER! KEILRAHMEN         17. Sept. 2013
KW, Berlin

+ ewiges Anstehen mit Gedrängel, die ganze August-strasse vibriert voller DJ’s. Berlinartweek. Grauenhaft. In den KW dann etwas mehr Luft. An der Rückwand des unteren, grossen Ausstellungsraums hängen in Petersburger Manier 74 Bilder von derzeit angesagten Maler_innen. Und ich krieg sofort den Deutsche-Bank-Kunst-für-Alle-Flash und denke: boah, das sieht hier ja genau so scheisse aus. Woran liegt’s? Ist es echt nur die Brüllhängung, mit der man solche Aufladungen zu Stande bringt, dass einem die Augen zu explodieren drohen? Und plötzlich (mir selbst unerklärlich) setzt meine Freude ein: das ist eine Ouvertüre. Die läutet in einer immensen Verdich-tung ein, was nachher in aller Ruhe ausgebreitet wird. Es geht viel mehr um den Gesamteindruck als um das einzelne Werk. Dieses verschwindet nämlich ganz und gar und besticht nur im Kontext seiner Nachbarn. Es geht um Reibung, um Ansage und ums Feuerwerk. Es ist zu vergleichen mit einem 12-Gänge-Menü, das man durch den Mixer dreht und danach abschmeckt.


GROSSE KATHARINA                    7. Sept. 2013
Mein Schreibtisch, das Schneefeld
Kurt – Kurt, Berlin

+ Ein Raum voller Baumstämme, abgezirkelt und über-einandergeschichtet. Wände, Boden und Stämme mit blau-grüner Farbe überspritzt. Ein wuchtig beein-druckendes Bild. Schaut einfach immer super aus, was die Grosse macht. Von aussen und durchs Schaufenster guckend, löst sich die massive Installation noch viel mehr in Malerei auf und trügt die Sinne (ich stelle mir vor, wie man nachts ahnungslos auf der gegen-überliegenden Strassenseite vorbei läuft und diesen Anblick für eine Fototapete hält...). Den Baum hat Grosse vor ihrer Ateliertür in der Lehrter Strasse gefunden. Dort musste die Kastanie wegen Krankheit gefällt werden.
Grosses bunte, fröhliche und bombastische Brüllkunst funktioniert doch eigentlich immer ähnlich. Und kann überall angewendet und obendrauf noch mit dem Prädi-kat ortsspezifisch beschriftet werden. Das ist der-massen beneidenswert. Und ich verstehe total gut, dass ihre Arbeiten beste Laune machen.


STREULI CHRISTINE                    20. Okt. 2013
Nonstoppainting
Haus am Waldsee, Berlin
+ grossartig, grossartig, grossartig! Bereits der erste Raum fetzt. Lediglich eine Tapete mit superecht aussehenden gerahmten Bildern, Fotos oder Postern empfängt den Besucher und eröffnet die Ausstellung mit einer grandiosen Täuschung. Tapeten finden sich auch in allen weiteren Räumen, meistens aber mit wahnsinnig hübschen Batikmustern. Das ganze Haus wird stofflich und unterliegt einem Salon-Charakter (na gut, die Räume sind zu klein...). Und auf diesen Tapeten hängen Streulis übereinander geschichteten Ornamentmusterschlachten. Und das macht so gute Laune und ist so viel zu viel und viel zu laut und macht die Augen irre...
Schablonen, Airbrush, Abklatsch, Kaschiererei, Wiederholung, Schichtung, Verschränkung, Zitate, Zitate, Zitate...
Nur dass dann plötzlich so konkrete Bildkompositionen wie drei Asiatinnen beim Geschlechtsverkehr auftau-chen, die nicht mehr Muster sondern Inhalt werden, find ich gar nicht nötig.


ART POSTALE                     23. Okt. 2013
Bilderbriefe, Künstlerpostkarten, Mail Art
Akademie der Künste, Berlin

+ ich weiss nicht, was an dieser Ausstellung so sensationell grossartig sein soll (im Gegensatz zur einstimmige Presse). Mir ist das tendenziell zu aufgeblasen und zu hübsch gemacht und zu klischiert (dass die ganzen Künstler dauernd so bebilderte Briefe senden und sich voll crazy mitteilen. Da hätt ich gern noch ein paar Aufregmahnungen oder den pupsnormalen Orgakram aus dem ollen Kunstalltag als wohltuende Berichtigung mitausgestellt gesehen...)
Aber nun gut. Natürlich sind die Briefe von Einar Schleef an seine Mutter beklemmend herrlich, in denen er beteuert, dass er’s leider ohne Alkohol nicht schafft und wie abgeknallt streng er um Mutters Berichte bittet...
Und natürlich hab ich mich auch über die Schwefelpostkarte von Beuys und Staeck gefreut.
frohe
schweflige
Weihnachten


HETZLER GALERIE                     10. Nov. 2013
Remember Everythin
Galerie Max Hetzler, Oudenarder Str., Berlin Wedding

+ 40-ig Jahre Galerie feiert Max Hetzler in seinen riesigen Wedding-Fabrikräumen. Und es sieht traurig aus, zu trinken gibt’s auch nix und die Stimmung ist ähnlich bedrückend wie im Wartezimmer eines Hals-Nasen-Ohren-Arztes. Grelles weisses Licht, hohe Stellwände, rohe Decken, vereinzelte teure und kontextlos ausgestellte Kunst an Wänden und im Raum. So möchte ich bitte niemals Geburtstag oder sonst was feiern. Viel mehr erinnert mich diese Tristesse an amerikanische Grossgeldgalerien (in denen ich noch nie war), vor deren Fabriken man sein Schwanzauto parkiert und später in hohlen Sätzen eine Tüte Jeff Koons kauft.
Grauselig. Und das an einem gemütlichen November-sonntag...   


OPPENHEIM MERET                    11. Nov. 2013
Retrospektive
Martin-Gropius-Bau, Berlin

+ wirklich beeindruckend und berührend finde ich das Zeichnungs- und Ausstellungsensemble Mon Expostion. In zwölf Blei- und Farbstiftzeichnungen hat Oppenheim minutiös, liebevoll und hübsch-pedantisch ihre Vor-stellung einer eigenen, perfekten Ausstellung auf-gezeichnet. Die einzelnen Werke, die in den richtigen Proportionen und in Reih und Glied, säuberlich beschriftet auf einer dünnen Bleistiftlinie stehen, bilden gleichzeitig ein katalogisiertes, nicht chronologisches Werkverzeichnis. Diese Werkgruppe entstand anlässlich ihrer Retrospektive in der Kunsthalle Bern 1984. Die Zeichnungen rühren mich besonders an, weil sie so fleissig, puppenstubenartig und brav daher kommen und die gezeichnete Mühe und Freude einem direkt ins Gesicht springt. Die Ausstel-lungsmacher haben tollerweise einiges davon umge-setzt, aber ich finde, ihre Kunst sieht in ihrer Anordnung echt bissel langweilig aus.


ACKERMANN FRANZ                    25. Nov. 2013
Hügel und Zweifel
Berlinische Galerie

+ mir ist überhaupt nicht klar, wieso ich so lange nicht gerafft habe, dass mich Ackermann ja total interessiert... Und dann, im Rahmen von Painting Forever! gibt’s gleich eine sensationelle Einzel-ausstellung vor meiner Haustür. Die Verschlingung von Malerei mit Fotografie und Zeichnung und installa-tiver Wandmalerei ist so überbordend grössenwahn-sinnig, dass es mich kaleidoskopisch einnimmt. Die grossformatigen Bilder mit den subjektiven Stadt-plänen und Weltwahrnehmungen auf Papier oder Leinwand sind in sich schon überwältigend. Die ganze Ausstel-lung funktioniert ohne lineares Gucken, sondern ist bestimmt durch ein zielloses Eintauchen in Ackermanns Welt. Der mikroskopische Blick eines Zeichnungs-details ufert über das Bild hinaus, in die Wand hinein und zoomt in grossen Bögen bis zur nächsten Zeichnung usw. Das lässt sich so lange wiederholen, bis man vollkommen gaga ist. Psychogeographie. Geilomat.


MEISE MICHAELA                  03. Dez. 2013
Im Kreis, am Kreis
Galerie Johann König, Berlin

+ Anja hat mir von Meises Tonportraits erzählt und ich hab mir naserümpfend eine Vorstellung davon ge-macht, die den tatsächlichen Werken allerdings über-haupt nicht nahe kommt. Ton ist laut Meise ein Mate-rial, das hervorragend Menschen repräsentiert. Erst ist es weich, schwer, einfach zu bearbeiten und trägt taktile Qualitäten inne. Im Verlauf des Trocknes wird Ton aber zur Mimose, empfindlich und brüchig. In A4 grosse Tonplatten aus zwei ineinander verwurschteten Tonsorten hat Meise Portraits von Freunden geritzt und spärlich mit Glasur bemalt. Die Portraitzeich-nungen sind kindlich und herzzerreissend. Manche sind gebrochen und wieder zusammengeklebt oder haben zünf-tige Risse. Meises Skulpturbidler prallen so angenehm auf die High-end-Galerieräume und machen die Spanne von „selbstgemacht“ zu „superprofichick“ auf, die mir persönlich wahnsinnig gefällt (und aha, die singt auch mit Akkordeon und war Gast bei Tocotronic).


CIRCLE WALKED CASUALLY            23. Dez. 2013
Kunst Halle by Deutsche Bank, Berlin

+ Liebe Victoria Northoorn, vielen Dank für die schöne Ausstellung. Ihre Ausstellung ist fein, schafft Zugänge und kippt nicht ins Didaktische.
Eine helle Freude, Ihr Gehänge.
Mobileartige Hängung der Zeichnungen von der Decke (dachte erst, oh Gott, das geht ja gar nicht, geht aber total super!), fantastisch gleichmässiges und indirektes Licht, James Turell-Ecken. Eine konzen-trierte Guck-Atmosphäre wie in der Bibliothek. Aufregung bei der Zusammenstellung von  Marina De Caros kindlichen Zeichnungen und Luise Bourgeois’ Handannäherungsserie 10AM Is When You Come To Me neben Trockel und Bächli. Die Ähnlichkeiten und Verschiebungen, das Hin- und Herschauen, Toll! Dann die Gegenüberstellung von Grosses bunten Farbschich-ten zu Kandinskys extrem leuchtenden und zarten Aquarellflecken zu Richters Aquarellschmieren lassen mich freudig schmunzeln. Ein toller Anblick, eine grossartige Aufladung. Grosse, Kandinsky und Richter noch nie so gesehen und gedacht. Herrlicher Moment.


BOHÈME LA                    25. Dez. 2013
Giacomo Puccini
Staatsoper im Schiller Theater, Berlin
+ Es ist die Oper ohne Mord und Totschlag, ohne In-trigen, Verwechslungen, Hexen, Königinnen oder son-stigen Ungeheuer. Also furzenöde. La Bohème erzählt eine einfache Liebesgeschichte, die durch Krankheit mit dem Tod endet. Sie verfestigt seit über hundert Jahren das beschissene Klischee, wie Künstler voller Spass und tiefgründiger Gedanken, aber ohne Geld im Atelier frieren und ein sehnsuchtsvolles Leben ab-seits der Norm bestreiten. Die Inszenierung ist unter aller Kanone. Regieeinfälle zum Schämen. Bühnenbild und Kostüme durch sämtliche Jahrzehnte gemischt. Kulissen werden weggeschoben (toll, dass man das noch machen darf). Die Musik allerdings ist fein, ver-woben, undurchsichtig romantisch. Musette singt voll und mit weniger Vibrato als Mimi (ich halte das Gedonnere einfach nicht aus und frage mich gleich-zeitig, was für ein Gefühl das sein muss, allein mit seiner Stimme gegen ein ganzes Orchester anzukommen). Die leisen, sachten Arisosi sind umwerfend. Der vorbestellte Sekt in der Pause auch! Halleluja.
00PAINTING.JPG (© Esther Ernst)
01GROSSE KATHARINA, 7. Sept. 2013.JPG (© Esther Ernst)
02STREULI CHRISTINE, 20. Okt. 2013.JPG (© Esther Ernst)
03ART POSTALE, 23. Okt. 2013.JPG (© Esther Ernst)
04HETZLER GALERIE, 10. Nov. 2013.JPG (© Esther Ernst)
05OPPENHEIM MERET, 11. Nov. 2013.JPG (© Esther Ernst)
06ACKERMANN FRANZ, 25. Nov. 2013.JPG (© Esther Ernst)
07MEISE MICHAELA, 3. Dez. 2013.JPG (© Esther Ernst)
08CIRCLE WALKED CASUALLY, 23. Dez. 2013.JPG (© Esther Ernst)
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