Nathan Peter

New Life Berlin

2008:Jul // Andreas Koch

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07-2008
















Die zentimeterdicken Plakatschichten Berlins erlangen immer wieder die Aufmerksamkeit hiesiger Künstler. Ob sie nun als Skulpturen in den Raum gestellt oder dieser mit Plakatresten verkleidet wird, das über 50 Jahre alte Prinzip der Décollage wird beständig neu entdeckt. Nachdem die Street­art ihren Siegeszug durch die Straßen nun auch in Galerie­räumen fortsetzt oder in Boutiquen als Editionsware ihre Käufer findet, wird der Kreis der Kunstgeschichte an dieser Stelle geschlossen, denn die Décollage war ja nichts anderes, als Streetart, die noch ohne diesen Namen zu tragen, nachbearbeitet direkt in die Galerie gebracht wurde.

Eine interessante Variante war kürzlich in der Choriner Ecke Zehdenicker Straße zu sehen. Man fuhr vorbei und zögerte kurz, war da nicht kürzlich noch eines dieser typischen Ladenraumbüros? Jetzt fehlten offensichtlich alle Fenster. Der Eckraum ging direkt in den Straßenraum über und erinnerte an die osteuropäischen Bushaltestellen, die sich manchmal als merkwürdige Verschränkungen von öffentlichem und privatem Raum in Häusern befinden – Relikte der kommunistischen Vergangenheit, als die Häuser dem Staat gehörten und dieser Teile des ebenerdigen Raumes für die Öffentlichkeit öffnete.  

Jetzt in Berlin geschah diese Öffnung nur temporär. Die Verbindung zu den hinteren Räumen wurde mit dicken Holzplanken gesichert und darauf klebten A1-große Plakatstapel. Nathan Peter, der im Rahmen des Festivals „New Life Berlin“, die Ausstellung realisierte, überklebte die letzte Schicht mit Silberpapier und bohrte in diese Plakatverklebungen in regelmäßigen Abständen tesafilmrollengroße Löcher. Das sieht erstmal hübsch aus, hat aber durchaus auch andere Qualitäten. Gleich einem Archäologen verknüpft der Künstler seinen Berlinaufenthalt mit einer Untersuchung des temporären Kulturlebens und bohrt in die einzelnen Schichten vergangener Zeiten. Jedes Loch ist verschieden tief und so sieht man je nur einen kreisrunden, meist knallbunten Ausschnitt eines Plakates, das in den seltensten Fällen erkennbar wird. So macht auch die silberne Folie Sinn, denn dem obersten, aktuellsten Plakat wird die gleiche Aufmerksamkeit teil wie allen anderen – meist auch gar keine, denn es kleben weit mehr Plakate übereinander als der Künstler Löcher bohrte. So rückt die jüngste Zeit bei dieser Arbeit in eine ähnliche Entfernung wie das antike Griechenland, lediglich Puzzlestücke werden sichtbar. Zudem fungieren die Löcher als Pixel dekonstruierter romantischer Bilder von Caspar David Friedrich bis hin zur Ruine des Tacheles, die, nicht mehr zu erkennen sind. Er schließt völlig unterschiedliche Zeit- und Medienebenen kurz und lässt diese hinter einer poppig-flirrenden Street-Art-Oberfläche verschwinden. Das ganze Festival „New Life Berlin“ schien sich Berlin ähnlich ärcheo- und soziologisch vorgenommen zu haben. Von der hiesigen Kunstszene weitgehend ignoriert wurde es von der Internetbasis „wooloo.org“ aus organisiert, die seit ungefähr einem Jahr eine physische Präsenz in der Choriner Straße hat. Die Internetseite ist eine Mischung aus My­space, Artnet und Kunstblog und versucht die Möglichkeiten dieser Seiten zu vereinen. Man kann dort chatten, Filme hochladen, erzählen warum man Künstler ist, gleichzeitig schauen was die Kollegen machen usw. Natürlich sind die Jahrgänge meist 1980 und jünger und natürlich ist die Betriebssprache englisch. „Wir haben uns Berlin auserwählt, wegen der wachsenden Bedeutung der Stadt als bevorzugter Treffpunkt kultureller Produzenten aus der ganzen Welt“ heißt es da und weiter „…die Künstler von Berlin bilden verstärkt neue menschliche Kollektive, die die Grenzen der Staatsbürgerschaft oder Nationalität überschreiten“ – auf englisch liest sich das noch besser.  

Das Festival spiegelte diesen Anspruch. Man konnte eine Mauer backen und essen (wooloo.org/eat the wall), zwei Wochen zusammen mit sieben anderen Künstlern eine Filmfigur in einer Berliner Wohnung sein (wooloo.org/fictive days) oder Alt- bzw. Neuberliner treffen (wooloo.org/old berliners to new berliners).  Alles klingt genauso frisch wie absurd. Als hätte sich ein Netz jung-globaler Künstler über Berlin gelegt, das von den Lokalkünstlern genauso weit entfernt ist, wie von den hiesigen internationalen Stars. Ein Netz, dass die Community-Idee des Internets einfach physisch-real über eine „auserwählte“ Stadt ausbreitet, sich dort dann wirklich trifft, Ausstellungen organisiert und irgendwann vielleicht wieder weiter zieht – Prag, Berlin, Brüssel… (siehe auch Seite 3) Dass dem wirklich so ist, bemerkt man an genau den Ausstellungen, an denen man zufällig vorbeifährt, niemanden kennt, nur englisch hört und von den ausgestellten Arbeiten manchmal positiv überrascht wird.

Nathan Peter „Eminent Domain“, „New Life Berlin“
Festival
Choriner/Ecke Zehdenicker Straße
1.–15.6.2008
Nathan Peter „Eminent Domain“, 2008 (© von hundert)
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