Eine Liste von hundert

/ Milleniumskünstler

2010:Dec // Andreas Koch

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11-2010
















Natürlich ist diese Liste ein bisschen blöd. Es handelt sich um eine Auswahl von Künstlern der Taschen-„Art-Now“-Reihe und deren Nachfolgeband „100 Contemporary Artists“, zudem drei Namen, die dann noch in der gerade erschienenen Jungtalenteauswahl des Bandes „Art of Tomorrow“ (Distanz) auftauchen. Die letzte Spalte ist also eher eine Art Appendix. Hier könnte sich jedoch ein größerer Generationswechsel ankündigen (auf die Nennung der 74 anderen Künstler wird aus Platzgründen verzichtet).

Die Bücher waren eigentlich immer Hass- und Neidobjekte, selbst Listen, die einerseits versuchten den Betrieb abzubilden („Einen noch umfassenderen und dabei so kompakten Leitfaden zu finden, dürfte schwer sein!“ Taschen-Verlag), und ihn gleichzeitig mitdefinierten (zum Beispiel sind fast alle Neugerriemschneider-Künstler durchweg vertreten). Die Bücher haben immer einen Touch von Insiderhandel, sind immer auch „selbsterfüllende Prophezeiungen“.

Allein die Pressemitteilung des Bandes „Art of Tomorrow“ tönt, „einen Ausblick auf die Kunst von morgen und die 77 Künstler, die sie maßgeblich prägen werden“ zu bieten. So wird es dann wohl auch kommen, denn Christian Boros, der den Verlag mitbetreibt, dreht auch noch an ganz anderen Rädchen. Allein seine Sammlung besitzt etliche der aufgeführten Künstler. Die Herausgeber verknüpfen Markttendenzen und Hypes mit eigenen Geschmäckern und Protegierungen und stricken daraus einen vermeintlichen Kanon. Anfangs eben noch Burkhard Riemschneider mit offensichtlichem Mehrinteresse, jetzt zum Beispiel Yilmaz Dziewor, der auch Mitglied der Ankaufskommission der Bundesrepublik Deutschland ist und das Kunsthaus Bregenz leitet. Natürlich sichert und steigert so ein Buch einerseits den Wert der bundesdeutschen Sammlung, was ausnahmsweise auch mal dem Steuerzahler zugute kommt, dürfte aber auch sein künftiges Programm in Bregenz begleiten. Da ist man gespannt. Uta Grosenick sorgt bei den Bänden dann für die notwendige Kontinuität, war sie immerhin bei vier der sechs genannten Bücher maßgeblich beteiligt, also bei Taschen und im Distanz-Verlag.

So zeigt die Liste hier relativ viele Durchläufer, Künstler die von Anfang bis Ende dabei und damit zehn Jahre dauerpräsent waren. Eliasson, Cattelan, Hirschhorn, Gordon, Pardo, Rehberger usw. – das erstaunt aus heutiger Sicht nicht weiter, interessant sind da vielmehr die einmaligen Erscheinungen: Tomma Abts, Björn Dahlem, Jeppe Hein, Jonathan Monk Anselm Reyle oder Olaf Nicolai. Haben die es nicht geschafft? Mussten sie den neuen gehypten Künstlern Platz machen? Warum gerade sie? Auch vermeintliche Dauerabonennten, die vier Bände mitmachen durften, ereilte jetzt das gleiche Schick­sal, darunter Manfred Pernice, Gregor Schneider, ­Pierre Huyghe oder Thomas Ruff.

Andere tauchen alternierend auf, wie Vanessa Beecroft oder Tacita Dean. Tauschten sie die Plätze, einmal ich und dann bist du wieder dran? Hat Heimo Zobernig seinen österreichischen Platz an Erwin Wurm verkauft? Wer ist Andreas Schulze? Warum taucht Robert Gober erst 2005 auf, gipfelte seine Karriere doch in der Teilnahme an der Documenta 9 schon 1992? Ist Tim Eitel ein schlechterer Maler als Martin Eder oder warum darf der eine wieder rein und der andere fliegt gleich wieder raus? Hat es was zu bedeuten, dass die beiden mittlerweile verstorbenen Künstler Jeroen de Rijke und Jason Rhoades in den gleichen Bänden erschienen und dann nicht mehr? Warum steht aber Rhoades zusammen mit Keith Haring 2010 von den nichtpublizierten Toten wieder auf, genauso wie Kippenberger nach fünf Ruhejahren? War Damien Hirst 2005 im Urlaub? Wer sind die neuen Freunde von Rudolf Stingel? Und was hat George W. Bush mit all dem zu tun?

Sicher ist jedenfalls, dass die Kompendien am Büchermarkt sehr erfolgreich sind – als Leitfäden und Orientierungsmedien werden sie genauso vom kunstfernen Interessierten, wie vom Monopolmagazinleser gekauft. Watch-Lists haben eben den Vorteil eines kompakten Überblicks, da muss man nicht langwierig durch Kataloge blättern. Das Verhältnis ist ähnlich dem der Messe zur Einzelausstellung. Der Überblick vereinfacht und verhindert den tieferen Einblick, um den es offensichtlich nicht gehen soll. Reinschauen tut man trotzdem oder genau deshalb gerne.

Andreas Koch

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