Fake or Feint

Alexander-Carré

2009:Jun // Fiona McGovern

Startseite > Archiv > 06-2009 > Fake or Feint

06-2009



Das Ausstellungsformat „exhibition as school“ scheint Schule zu machen. Nach „United Nations Plaza“ und dem „Glaspavillon“ ist die von dem freien Kurator Jörg Franzbecker und dem Theoretiker Martin Beck organisierte Ausstellungsreihe „fake or feint – sechs Szenarien zur taktischen Markierung“ in zwei Ladenlokalen des Berlin Carrés am Alexanderplatz ein weiterer Anlauf, jenseits institutioneller Einrichtungen, den Raum für zeitgenössische Kunst mit einem hohen theoretischen Anspruch und aus unterschiedlichen Perspektiven zu öffnen. Performances, Vorträge und Seminare erweitern das sechsteilige Ausstellungsprogramm.

 

Bereits zuvor suchten Franzbecker und Beck im Rahmen von Ausstellungen oder Publikationen die Zusammenarbeit, ohne dabei explizit als Duo aufzutreten. Mit „fake or feint“ rücken sie das Verhältnis von Theorie und kuratorischer Praxis selbst in den Fokus und stellen es auf verschiedenen Ebenen zur Diskussion. So werden in dem Projekt kuratorische Verfahrensweisen nicht nur auf Kunst, sondern eben auch auf damit zusammenhängende oder assoziierte Theorien bezogen.

Ausgehend von der These, dass Markierungen ein physischer, Oberflächen verändernder Akt sind, der Differenzen erzeugt bzw. sichtbar macht, ist „fake or feint“ bestrebt, anhand von einer auf den ersten Blick durchaus heterogenen Bandbreite künstlerischer Positionen, Markierung als bewusste Eröffnung von Handlungsräumen zu interpretieren. Arbeiten wie Eran Schaerfs raumgreifende Installation „Scenario Data #42 (Cevos Ceniakos‘ Wardrobe), 89/97/09“, Amy Granats „The W. Lee Prints“, Tim Stüttgens „PPP TAUSCHGAME – Performance on Economies of Pleasure, with Special Guest Liz Rosenfeld“ oder Kaucyila Brookes 5-Kanal-Filminstallation „Alma Mater“ werden unter Bereichen wie Stadtraum, Geschlechterpolitik, Mode, Körperinszenierung, Clubkultur und Entertainment als ‚taktische Markierung‘ analysiert und lose zueinander in Beziehung gesetzt.

Mit der Wahl des Begriffs „Szenario“ für die einzelnen Ausstellungen wird dabei die Unverbindlichkeit, der Versuchscharakter dieser einzelnen Herangehensweisen zum Thema betont und erinnert darüber hinaus an selbstreflexive kuratorische Ansätze, vergleichbar denen der letzten Berlin Biennale, die für ihr offenes Konzept einerseits gefeiert und andererseits abgelehnt wurde. Bei „fake or feint“ bilden ein Vortragsraum und eine Bibliothek, mit je nach Ausstellung variierenden Informationen zu den KünstlerInnen und ihrer theoretischen Kontextualisierung, eine symbolische „zweite Ebene“, die über diese Benennung aber indirekt für den Vorrang der künstlerischen Arbeiten vor ihrer Diskursivierung plädiert. Statt begleitenden Ausstellungstexten liegen Abreißblöcke mit Zitaten zum Mitnehmen aus. Doch so einfach das Abreißen ist, umso komplexer sind die gebotenen Denkanstöße.

„Fake or feint“ ist als Untersuchung einer grob umrissenen Fragestellung angelegt, bei der die einzelnen Szenarios jeweils nur als mögliche Antworten erscheinen, mehr ein An-denken als ein Durch-dachtsein darstellen und durch ihr Begleitprogramm und Textmaterial zur Partizipation einladen. Der übergreifende Zusammenhang der einzelnen Szenarios – einschließlich eines Filmprogramms im Arsenal – wird durch eine von dem Grafiker Flo Gaertner entworfene Corporate Identity des Ausstellungsprojekts und Katrin Mayers je nach Szenario variierende Raumgestaltung der „Zweiten Ebene“ verstärkt, wenn nicht erst hergestellt. Mit einfachen Materialien wie Styropor und bedrucktem Papier greift sie Fragen des Displays auf und wird selbst zur räumlichen Markierung der „Zweiten Ebene“. Corporate Design wie Raumgestaltung rufen immer wieder das dahinter liegende Konzept in Erinnerung, ja visualisieren,als stets präsente Selbstdarstellung des Konzepts der Organisatoren, das Zusammentreffen von künstlerischem und kuratorischem Arbeiten. So entsteht ein kontinuierliches Pingpongspiel von Kunst, ihrer diskursiven Rahmung und ihren Präsentationsbedingungen – letzteres auch verstärkt durch die Glastüren, die unvermeidlich zu einer Gegenüberstellung von Kunst und Shoppingkultur führen, die mal bereichernd, mal bitter und mal selbstironisch erscheint.

„Fake or feint“ verzichtet bewusst auf klare Aussagen und eindeutige Theoretisierungen, vielmehr eröffnet sie eine mit jedem Szenario komplexer werdende Verweisstruktur zwischen Kunst und begleitenden Texten. So besteht durchaus die Gefahr, dass das Herstellen von Zusammenhängen vor der Betrachtung der einzelnen Werke dominiert. Die offene Struktur des Projekts überlässt aber auch gerade dem Publikum die Wahl, über verschiedene Wege und Medien in das Thema einzusteigen – als ein Angebot, das ebenso angenommen wie abgelehnt werden kann. In diesem Sinne gilt für die Abreißzettel wie für das gesamte Ausstellungsprojekt: Take it or leave it.

„fake or feint“

Einkaufszentrum Berlin Carré am Alexanderplatz,

Karl-Liebknecht-Straße 13, 10178 Berlin

10.01.–25.07.2009

Katrin Mayer „Club Carré Berlin“, 2009, Installationsansicht fake or feint / Szenario 4 (© Foto: Heiko Karn)
Microtime für Seitenaufbau: 1.27426099777