Artur Żmijewski

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2009:Jun // Raimar Stange

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06-2009
















„Democracies“ – wörtlich: Kräfte des Volkes – lautet der Titel der Einzelausstellung von Artur Żmijewski und schon dieser Titel deutet an: In dieser aktuellen Videoinstallation des polnischen Künstlers steht der Status Quo ‚unserer‘ Demokratie auf dem Prüfstand. Dazu zeigt Żmijewski auf elf in Reihe gehängten Plasmabildschirmen Videoaufzeichnungen inklusive Originalsound von unterschiedlichen Massenveranstaltungen, in denen angesammelte Teile des Volkes ihre Meinung und ihr Begehren kundtun. Da sind die Feierlichkeiten von Fußballfans in Berlin während der Europameisterschaft 2008 ebenso zu sehen, wie Demonstrationen in Jerusalem oder die Beerdigung des jüngst verstorbenen österreichischen Rechtspopulisten Jörg Haider, da ist eine feministische Demonstration in Polen genauso zu begutachten, wie die „Krawalle“ am 1. Mai in Berlin oder das militärische Reenactment der historischen „Schlacht von Boyne“ in Belfast. All diese dokumentierten Events behauptet der Künstler klugerweise als „Democracies“, als freiheitlicher Aus­druck der Stimmungslage von Bevölkerungsgruppen. Und damit stellt er unmissverständlich klar: Nicht nur das Agieren im Regierungsgebäude oder regelmäßig stattfindene Wahlen sind ‚demokratisch‘, sondern eben auch das Gegröle von alkoholisierten Hooligans, das Hetzen von Nationalisten, die Gewalt von Anarchos oder die Verzweiflung von Unterdrückten und Marginalisierten. Visuell spannend und überraschend ist dabei, wie sehr sich die politisch so unterschiedlich motivierten Massenveranstaltungen dann doch gleichen: nationalistische Symbole etwa finden sich bei Ausschreitungen rund um den Fußball genauso wie bei den Veranstaltungen von Neonazies sowie bei besagten historisierenden Reenactments. Bekanntlich unterscheiden Gilles Deleuze und Felix Guattari in ihrem „Anti-Ödipus“ revolutionäre und faschistische Demonstrationen u.a. dadurch, dass sie erstere durch ein „Chaos“ von „Mikro-Vielheiten“ charakterisieren, zweitere aber durch die „Organisation“ von „großen Einheiten“. Dass es so einfach in der Praxis nicht ist, auch dies ist in den Videos von Zmijewski ablesbar, hier wie da nämlich bewegen sich Massen in einer Spannung von Ordnung und deren Zerfall.

 

Brisant aber wird „Democracies“ (2009) vor allem durch die Gleichsetzung von vermeintlich kultivierter Politikausübung und einer eher unreflektierten und unkontrollierten Meinungsäußerung. Erinnern wir uns: Das Modell „Demokratie“ ist seit der Aufklärung, der Philosoph Immanuel Kant hat es als einer der ersten betont, verknüpft mit der Idee der Ausbildung von „mündigen Subjekten“. Was aber ist von dieser Verknüpfung heute noch geblieben? Bildung dient mehr oder weniger nur noch zur Vorbereitung auf den Arbeitsmarkt, die Massenmedien, von Bertolt Brecht noch als Volkshochschule gedacht, verblöden das Volk gezielt und nachhaltig, die Ausübung der demokratischen Rechte beschränkt sich fast auf das Kreuzchenmachen im Rythmus von vier Jahren. Und die Rhetorik der offiziellen Politik – Stichwort: „Umweltprämie“ – ist längst eine der bewussten Volksverdummung. So ist sind dann auch die Randale von Fußballfans oder der Schwachsinn von Neonazies eben keine Randphänomene unserer kapitalistischen Gesellschaft, sondern sehr wohl adäquater Ausdruck ihrer mentalen Verfassung.

Artur Zmijewski „Democracies“,

daadgalerie,

Zimmerstraße 90/91,

28.03–09.05.2009

Artur Żmijewski, „Democracies (Warsaw 2)“ (Videostill), 2009 (© Courtesy of Artur Żmijewski, daadgalerie)
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