wo ich war

2011:Aug // Esther Ernst

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07-2011
















HEROLD GEORG 1. April 2011
Sunny Side Up
Contemporary Fine Arts, Berlin
+ ich versteh das mit diesen Kaviar-Bildern nicht. Was genau nummeriert er da durch? Und weshalb? Sieht ja alles super lecker aus, seine riesigen mehrteiligen Werke, wie fein gezeichnete Landschaften, monumental, hübsch und zugleich dünkt’s mich dann eben ungewollt dekorativ, hohl, möchte-gerne-Anspruchs-Kunst (und komm mir bloss nicht mit der Moralkeuleninterpretation). Oder ich hab da was nicht gerafft – wird einem ja auch nichts erklärt in der elitären Bonzengalerie. 2005 hab ich von dem mal ne Ausstellung in der Hetzler Galerie gesehen, da erinnere ich mich an eine grosse, ockerfarbene, ovale Skulptur, die Herold von einer schlecht winzigen und gedruckten Photographie eines Architekturführers nachbaute. Fand ich damals doof, mochte ich aber über die Jahre immer mehr. Und jetzt, wo ich eben im Karteikasten nachschlage, sehe ich, dass war zwar ein Hetzler-Galerie-Besuch aber nicht mit Kunst von Georg Herold, sondern von Robert Grosvenor... Sachen gibt’s...

FLEURYS AGATHE 8. April 2011
La Division De Cassini
Kwadrat, BERLIN
+ Martin Kwade begrüsst uns mit Handschlag und während wir noch etwas über den netten Empfang irritiert sind, führt er uns sympathisch unkompliziert in Agathe Fleurys Arbeiten ein. Dass sie sich mit der Entwertung von einfachen Gegenständen beschäftigt, der Gerüststange zum Beispiel, die sie dekorativ mehrmals durchbohrt, bis sie zwar aufgehübscht, aber als solche nicht mehr zu gebrauchen ist. Oder zur Pyramide aufgestapelte Luftgewehrmunition, ein filigranes Objekt, welches man aus einem Krims-Krams-Laden der Bergmannstrasse vermutet. Und dass seine Schwester Alicja sich ja mit dem gegenteiligen Thema – der Aufwertung von alltäglichem Material wie geschliffene Kieselsteine oder vergoldete Kohlebrickets – auseinandersetzt und die Machart eine sehr ähnliche sei... Und, und, und... Das war nett, Konzeptkunst ist es allerdings trotzdem keine. Denn nicht jeder der eine Idee oder gar einen Gedanken verfolgt, macht Konzeptkunst. Das ist eine einfach ganz normale Alltags-Verschiebung. Ein Wahrnehmungsspässchen.

KNOEFEL JÖRG 21. April 2011
Alles klar – Der Versuch daneben zu pissen
Kuttner Siebert Galerie, Berlin
+ Hab nicht schlecht über die Einladungskarte mit der lässig gezeichneten Comicfigur auf Musterschichtungen und schablonierten Textfetzen gestaunt. Aha, jetzt also Zeichnung, alle paar Jahre probiert der ein neues Medium aus, und zwar total seriös, sieht so aus, als hätte der bisher nix anderes getan. In der Galerie hängen dann sieben dieser durchnummerierten und gerahmten Zeichnungen auf einer ziemlich locker hingerotzten und toll aussehenden Wandmalerei, bei der er Muster, Farben, Linien und Gesten der Blätter auf dem Putz weiterführt, vergrössert und die Zeichnungen in den Raum bettet. Man steht dann da mitten drin im Werk und kann unaufgeregt rein- und rauszoomen. Da steht: Knut ist tot und Michael J. auch. Ich bin total freudig, denke an Andrea Übelackers Filzstift-Datenbank und an Polke, aber später im Gespräch mit Jörg, bin ich mir dann doch sicher, dass der wiederkehrende Bildaufbau mit der zentral angelegten Comicfigur, sich als Serie relativ bald ausgeguckt hat.

FASSLER LARISSA 7. Mai 2011
This Is Nowhere
September Galerie, Berlin
+ holla-holla, das ist aber schick mit der Flicken-Papp-Wand-Instatllation, da heben sich die gerahmten Zeichnungen so schön von ab, und der ganze Raum kriegt dieses warme Schummerlicht wie im Porzellanmuseum. Aha und so-so, weder scannt Larissa ihre tausend Kleinst-Skizzen mehr, noch arrangiert sie diese wie bisher auf dem Plott, sondern zeichnet nun direkt aufs Papier. Wahrscheinlich bilden weiterhin ix Beobachtungs-Blätter, die sie vor Ort von ihren Architekturuntersuchungen macht, den Ausgangspunkt (obwohl ihre „Stadtpläne“ eher den Eindruck von Unmittelbarkeit ausstrahlen). Auf dem Place de la Concorde verfolgt sie Menschen und zeichnet deren Wege nach, richtet ihren Fokus auf den Umgang mit der Architektur und verzeichnet diesen. Manche Randnotizen geben Aufschluss über das Liniengewirr, andere Zeichnungen sehen einfach nur toll aus, oder man zieht eigene Schlüsse und Geschichten daraus. Tolle Ausstellung!

RUDI NELLY 7. Mai 2011
Innen ist Aussen
Mies van der Rohe Haus, Berlin
+ Nach Lichtenberg und Hohenschönhausen und mit ner halben Plattenbau-Depression und Unortsbestaunungen in der Rübe, ist es eine helle Freude in dieser schlichtweg schönen Architektur anzukommen. Und der Garten mit dem kleinen See davor (und der ProletenTechnomucke von gegenüber) ist wirklich fantastisch. Hier hat einst also Herr Lemke ganz idyllisch gewohnt. Und nun hängt hier viel zu olle Kunst von der Baslerin Nelly Rudi, die ja inzwischen eine alte Frau ist und zu den Zürcher Konkreten gehört. Aber diese Dopplung von mich langweilender Formenkunst in dieser klaren Architektur ist mir zu eintönig. Hier wär doch ne Ausstellung von irgendeinem Schweinemaler, John Bock oder Gregor Schneider (na gut, das ist bisschen übertrieben), aber zumindest eine Wandarbeit von Friederike Feldmann wäre ein passender Bruch. Ich stand da mitten drin und dachte, ja genau, das ist ordentlicher Schweizkram. Wo ist denn jetzt der Biergarten?

BÖHNISCH PETER 1. April 2011
Kanisfluh
Contemporary Fine Arts, Berlin
+ ich frag den Jörg, was sehen wir denn hier? Und er, irgendwas olles aus den 50-igern, und ich, nee, das ist bestimmt eben erst fertig geworden. Und dann staun ich selber nicht schlecht, dass der Peter Böhnisch so alt ist wie icke und so malt wie Shagalls Bruder. Ja und das ist natürlich total reizvoll, dass der diesen Spannungsbogen aufmacht, die Naivität gezielt einsetzt und mit dieser Nachahmung spielt, seine Malereien sehen aus wie hochkopierte Abbildungen einer Kinderbibel und gleichzeitig merkt man ja, irgendwas stimmt da nicht; grobe runde Figuren in kindlichen Landschaften, symbolische Muster, gestreifte Hintergründe... wahnsinnig anziehend. Mit was sind diese Leinwände eigentlich bearbeitet, oder ist das alles Farbe? Und erstaunlich, dass seine A4-Zeichnungen sich komplett von der Malerei abheben, dass ich den Zeichnungen diese Naivität sofort abkaufe, die fällt gar nicht erst auf, das sind strunznormale schöne Zeichnungen, während seine Malerei so dermassen irritiert.

NORDSTROM JOCKUM 19. Mai 2011
Kompass
Martin Gropius Bau Berlin
+ Aujah, volle Begeisterung, eine Abgrundzeichnung im Stile der naiven Heile-Welt-Kunst. Ein wirkungsvoll eingesetzter Widerspruch, passend, trifft voll ins Eingemachte, ist lieblich, hübsch, kläglich, hilfsbedürftig und dann eiskalt schonungslos im nächsten Moment. Im oberen Bilddrittel sind in architektonisch vereinfachter Form dargestellte Einfamilienhäuschen aufgereiht, ähnlich der Bauernmalerei, nur nüchterner, vom schwarzem Hintergrund kontrastreich abgesetzt, darüber gelegt ist eine Ebene mit zwei Krakel-Krakel-Bäumen und einem collagierten schwarzen Fleck. Und im unteren Bildstreifen finden sich zwei zusammenhängende und wie Film-Einzel-Bilder zugehörige Zeichnungen. Rechts eine Art Vergewaltigung, links ein explodierendes Verkaufsgespräch. Die Menschen ebenso naiv-gruselig gezeichnet, der Raum und das Geschehen mit vielen kleinen zeichnerischen Gesten-Strichleins. Das ist toll, genauso will ich auch zeichnen.

Georg Herold (© Esther Ernst)
Agathe Fleurys (© Esther Ernst)
Jörg Knöfel (© Esther Ernst)
Larissa Fassler (© Esther Ernst)
Nelly Rudi (© Esther Ernst)
Peter Böhnisch (© Esther Ernst)
Jockum Nordstrom (© Esther Ernst)
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