Index

2009:Jun // Andreas Koch

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06-2009



Der neue Index ist da! Schon seit September 2001 ist das alle drei Monate erscheinende Galerienfaltblatt ein gern genutztes Medium, listet es doch alle wichtigen Galerien und Ausstellungsorte mit deren aktuellen und künftigen Ausstellungen auf. In diesem Satz liegt schon ein wesentlicher Bestandteil und das Hauptkapital des Leporellos, denn „wichtig“ bedeutet vor allem Selektion. Immerhin gibt es über 500 Ausstellungsorte in Berlin, aber nur 97 davon sind im Index vertreten. Für die Berliner Ausstellungsmacher bedeutet eine Listung einen unschätzbaren Vorteil, denn wer drinnen ist, gehört zur erweiterten ersten Liga und wird auch von außen so wahrgenommen. Da stören auch die mittlerweile 90 Euro Teilnehmergebühr pro Galerie nicht – es lohnt sich.

Auch für den Nutzer ist es hilfreich, alle vermeintlich wichtigen, großen und hippen Ausstellungen auf einen Blick serviert zu bekommen, muss man sich nicht erst langwierig durch andere Medien wie Zitty, Kunstkalender oder Kunstmagazin zappen. Um aber das dahinter liegende Selektionsprinzip zu verstehen, lohnt sich ein Blick zurück in die Geschichte, in die frühe und mittlerweile legendäre Aufbruchstimmung der Kunstszene rund um die Auguststraße, zurück in die neunziger Jahre, als in diesem Urkunstbezirk alle sechs Wochen der Galerierundgang tobte.

Judy Lybke von EIGEN + ART saß damals im Zentrum der Bewegung und er gab zu Beginn auch die Termine der Rundgänge vor. Auf einfachen Faltblättern mit kleinem Gebietsplan druckte er die teilnehmenden Galerien samt Adressen, zudem die Daten aller sechswöchig stattfindenden Rundgänge, sonst nichts, keine Künstler, keine Ausstellungen, keine Eröffnungen. Deshalb richteten die meisten Galerien ihre Termine nach dem vorgegebenen Turnus aus und das reichte auch erstmal für einige Zeit. Bis dann eine Initiative um Ulrich Gebauer und dem umtriebigen Büro-Friedrich-Betreiber Waling Boers 1997 ein präziseres Medium erfand, das Lybkes Faltblatt nach und nach ablöste. Das ab 1998 von Heidi Specker, Künstlerin und Mitgründerin der Grafik­agentur moniteurs, in knalligen Farben gestaltete Faltblatt wurde, weil gebietsbegrenzend, schlicht „Berlin-Mitte“ getauft. Ein erstes Ausschlusskriterium war geschaffen, die Charlottenburger (1997 z.B. noch neugerriemschneider) blieben erst mal außen vor. Dann versammelte man einen ersten Kreis von Galerien, die für die Gründer genügend Street-Credibility mitbrachten, beauftragte die damalige Mitarbeiterin von Gebauer, Marie-Blanche Carlier mit der Organisation und stellte eine Regel auf: Alle im Galerien-Flyer bereits Aufgenommenen stimmen regelmäßig darüber ab, wer neu dazukommen darf.

Soweit so gut, das Blatt wurde schon damals zum wichtigen Informationsträger, man zahlte im Jahre 2000 als teilnehmende Galerie 150 Mark netto und stimmte alle drei Monate über die Neuzugänge ab. In dieser Zeit gab es auch einen Wechsel in der Koordination. Marie-Blanche Carlier stieg in der Galeriehierarchie von Gebauer zur Teilhaberin auf und fand ihre neue Tätigkeit nicht mehr vereinbar mit dem Sortieren der eingehenden Galerieinformationen, zumal sie ja nun Teil der aufgeführten Galeristen wurde. Sie übergab die Aufgabe an Kirsa Geiser, damals bekannt als Kuratorin des Raumes „Kunst Raum Mitte“ und zwischenzeitlich Assistentin bei Christian Nagel.

Kirsa Geiser gab sich jedoch nicht mit der schnöden Rolle der Dateneintreiberin zufrieden, sie hatte mehr vor. 2001 relaunchte sie das Faltblatt und nannte es Index mit der Unterzeile „Ausstellungen, Institutionen, Galerien in Berlin-Mitte“. Auf dem ersten von Stephan Müller (aka pronto) gestalteten Index, waren alle Büroschreibtische der gelisteten Galerien zu sehen. Eine schick reduzierte schwarzweiße Typographie auf ungestrichenem Papier läutete auch hier das Ende der poppigeren Elektro-Nineties ein. Wahlen fanden weiterhin regelmäßig statt und, ähnlich wie ihre Vorgängerin Marie-Blanche Carlier, stieg auch Kirsa Geiser im weiteren Verlauf zur Galeristin auf, bei Johann König. Doch mitt­lerweile war der Index zu sehr zu ihrem Produkt geworden, als dass sie ihn wieder abgeben wollte. Neben dem schönen Nebeneffekt, dass, wenn man Kosten und Einnahmen hochrechnet, ein hübsches Sümmchen pro Ausgabe übrig bleiben dürfte, war sie zudem, zumindest bei den anklopfenden Projekt- und Ausstellungsräumen, die Entscheiderin, ob man in Zukunft drinnen oder draußen war – und alle wollten natürlich drinnen sein. Diese Arbeit kann vielleicht nerven, man kann die Stellung aber auch genießen.

Immer wieder gab es verbale Klagen, gelegentlich auch per Anwalt. 2004 zweifelte z.B. die Galerie Schuster und Scheuermann das Abstimmungsergebnis an, da sie auf Eigenini­ tiative eine Vorabstimmung durchgeführt hatten, nach der die Mehrheit scheinbar für sie gestimmt hatte. Dass solche Wege von beleidigten Abgelehnten eingeschlagen wurden, ist bei dem anfangs erwähnten möglichen Prestigegewinn verständlich, trug aber meist nur zum Imageverlust der Kläger bei und verfestigte in den Augen der bereits Aufgenommenen nur deren Zweitligastatus. Ein durchaus menschlicher Vorgang, moralisch vielleicht verwerflich, aber nachvollziehbar. Die ganze Prozedur und die Klagen darüber zeigte aber vor allem eins, nämlich dass Geiser vollständig auf Transparenz verzichtete. Es gab niemanden, der die Ergebnisse kontrollieren konnte, niemanden, dem sie den Abstimmungsmodus darlegte, niemanden, der die Finanzen überblickte. Das Gründerteam Krome, Gebauer und ­Boers hatte mittlerweile das Interesse an dem Flyer verloren. Der Index war komplett in der Hand von Kirsa Geiser. Die Kriegskassen waren gefüllt und Anwälte wurden mit eigenen Anwälten zurückgeschlagen. Die Abstimmungen verkamen zum Relikt, das zwar zwei Mal im Jahr abgehalten wurde, bei dem aber nicht mehr all zu viele mitmachten.

Höchste Zeit also für einen neuerlichen Relaunch. Der „Index“-Schriftzug auf dem Titel ist nun schnörkeliger, das x sieht jetzt aus, als würden sich zwei Eurozeichen den Rücken reiben. Innen wurden Schriften getauscht, meist nicht zum Besseren. Außerdem wurde ein glänzenderes, aber auch billigeres Papier gewählt. Der Index wirkt nun wie eine schlechte Kopie des Alten. Viel wichtiger allerdings ist, dass der aktuelle Relaunch dazu genutzt wurde, auch das ursprüngliche demokratische Prinzip komplett über Bord zu werfen und es durch das im Kunstbetrieb beliebte oligarchische System zu ersetzen. Kirsa Geiser installierte eine Jury aus drei Galeristen, die natürlich allesamt der ersten Liga angehören und teilweise auch bei der zweiten, wichtigen Selektionsinstanz, dem Gallery Weekend involviert sind. Dem Board gehören Johanna Kamm (Galerie Johanna Kamm), Giti Nourbakhsch (Galerie Giti Nourbakhsch) und Alexander Schröder (Galerie Neu) an.

Die erste Handlung dieses neuen Entscheidungsgremiums war eine inhaltliche Überarbeitung der Liste von Galerien und anderen Ausstellungsorten. Neue Galerien, kürzlich zugezogene ebenso wie neu gegründete, wurden in das Faltblatt aufgenommen, einige wenige andere wurden mit dem Verweis auf die sich verändernde Berliner Kunstlandschaft aus dem Index verbannt. Hier traf es die Galerien Magnus Müller, Jette Rudolph, Klara Wallner und mit Kuckei + Kuckei auch eine Galerie, die der ersten Index-Generation angehört und somit seit zehn Jahren in diesem Medium vertreten war. Ob dieses Aussortieren von vier Galerien (dem gegenüber steht die Neuaufnahme von elf Galerien) tatsächlich zu der angestrebten qualitativen Straffung führt, oder ob es sich hier doch eher um eine simple Ausgrenzungsbestrebung handelt, das bleibt letztlich offen.

Warum das Messer so geschärft werden muss, um einen scheinbar noch präziseren Schnitt zwischen erster und zweiter Liga zu setzen, das ist die eigentliche Frage. Tatsächlich exekutiert nun ein kleiner Teil der Topgaleristen den Ausschluss aus einem Medium, dessen Akzeptanz gerade deshalb so groß wurde, weil es von vielen Galerien legitimiert war. Hätte Kirsa Geiser schon damals, am Anfang der nuller Jahre, das Blatt ganz übernommen, dann wäre daraus wahrscheinlich nur ein weiterer Galerienführer unter vielen geworden. Wichtig war die Legitimation aller. Ab jetzt wird es aber persönlich. Jetzt wird die Konkurrenz einfach ausgeschlossen. Jetzt bestimmen Galerien auch über Kollegen, die selbst noch vor Jahren für die Aufnahme ihrer heutigen Richter in den Index gestimmt hatten. Eingesetzt wurden diese Richter aber auch nicht von den teilnehmenden Galerien, genauso wenig wie das neue System von diesen beschlossen wurde. Ausgetüftelt hat das ganze die Herausgeberin, die sich offenbar nicht traute, alleinverantwortlich zu handeln. Da müssen andere vor, um dann als Tribunal ein einstimmiges Urteil zu fällen, damit sich dann jeder hinter dem Rücken der anderen verstecken kann.

Diese neuerliche Verschärfung der Marktkontrolle ist unter anderem auf die ständig härter werdende Konkurrenzsituation in Berlin zurückzuführen. Die aufkommenden Gewitterwolken, als Vorboten des vorläufig in sich zusammenbrechenden Markts gewertet, führen zur Wagenburgmentalität, das eigene Terrain wird gnadenloser als bisher verteidigt. Das bedeutet im Fall „Index“ faktisch, dass neben den ganz Großen, die neu in die Stadt kommen, besonders die zweite Generation, also ehemalige Assistentinnen und Assistenten, die sich selbständig gemacht haben und von den ehemaligen Arbeitgebern einen Starterbonus mit auf den Weg bekamen, keine Probleme haben und hatten, das Auswahlverfahren zu überstehen. Beispiele hierfür sind u.a. die Galerien ­Sandra Bürgel, Micky Schubert, Jan Wentrup oder Sommer & Kohl, die jeweils schon kurz nach ihrer Gründung in den illustren Kreis aufgenommen wurden.

Dieses Verfahren verdeutlicht eine der unangenehmeren Ver­schiebung in der Berliner Kunstlandschaft. War es zu Beginn der nuller Jahre noch eher möglich, sich in Berlin mit neuen Ideen, Tatendrang und mit zielgerichteter Arbeit mittelfristig eine beachtliche Perspektive zu erarbeiten, dreht sich dieses Prinzip nun ins Gegenteil. War in der Berliner Kunstwelt vor einigen Jahren eine weniger elitäre Durchlässigkeit von unten nach oben spürbar, die unter anderem erst zu der hohen Attraktivität geführt hat, die Berlin heute ausmacht und die zu einem ungebremsten Zuzug an Galerien aus aller Welt geführt hat, droht nun Stillstand. War es vorher so, dass man unabhängig von Herkunft und Stallgeruch seine Karriere machen konnte, so spielt dieser Stallgeruch jetzt eine ungleich größere Rolle, wenn man in den sich verfestigenden Hierarchien nach oben kommen will. Konnte man bis vor wenigen Jahren als Ausstellungsraum bzw. als junge Galerie in kurzer Zeit eine stabile Gemeinschaft bilden und sich so die nötige Aufmerksamkeit und Glaubwürdigkeit schaffen, die dann fast automatisch zur größeren Wahrnehmung führte, so reicht diese Arbeit alleine jetzt nicht mehr. In den meisten Fällen hilft auch jahrelanges Strampeln nicht. Das System hat in dieser Hinsicht den Zenit seiner Innovation überschritten. Es drohen Verfestigung und Stillstand. Die Flucht vor dieser Art von Stillstand aber war für viele Zugezogene der Grund ihres Kommens aus Stuttgart, Karlruhe, Bremen, Düsseldorf und anderen Städten. Besonders frustriert aber kamen die jungen Leute aus Köln nach Berlin, denn die ehemalige Westhauptstadt der zeitgenössischen Kunst war eine einzige Engtanzparty auf der die Partner schon lange vergeben waren. Und so bot Köln für innovative Entwicklungen ungefähr so viel Platz wie es Beinfreiheit im Morgenzug von Mumbai nach Dehli (3. Klasse) gibt.

Leider werden genau diese Knebelstrukturen jetzt auf Berlin übertragen. Die deutschen Big Player der Galerienszene sind nun restlos in Berlin angekommen. Lediglich ein paar Enthusiasten sind in anderen Städten verblieben und freuen sich hoffentlich an der sie plötzlich umgebenden Freiheit. Ihre über Jahrzehnte gewachsenen Strukturen haben die Großen nach Berlin mitgenommen, deswegen wird es hier jetzt eng. Das merkt man an der Neuausrichtung des Index, das wird man auf dem diesjährigen Artforum sehen, vom Gallery Weekend und der ABC-Veranstaltung mal ganz abgesehen. Die Akteure sind identisch. Was bleibt ist die Hoffnung, dass die Krise die Szene ein bisschen stärker durcheinander schüttelt als sie das bisher tat, dann könnte es vielleicht wirklich mal heißen: Ein neuer Index ist da.

www.indexberlin.de
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