November

Ich zwischen gestern und morgen

2011:Dec // Christoph Bannat

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12-2011
















Amelie kokst. Amelie geht zum Therapeuten. Amelie telefoniert. Amelie ärgert die Nachbarin. Amelie überlegt, was die Briefe von Martin Heidegger und die an Alfred Kubin, adressiert an ihre Großmutter, heute wert wären. Amelie kann vor Schmerzen kaum zeichnen. Amelie hat Angst, dass ihre Bilderpreise fallen. Amelie holt die letzten Bilder aus dem Galerielager. Amelie überlegt, wie sie den Kuratorenbesuch vorbereitet, Eliasson und Demand sollen ja zu solchen Besuchen einen Catering-Service engagieren. Amelie wundert sich über den namenlosen Sarg in der Familiengruft.

„Im Subjekt kreuzen sich die Dimensionen einer radikalen Passivität und einer hyperbolischen Aktivität. Das Subjekt ist der Schauplatz dieser Kreuzung. In ontotopologische Kategorien übersetzt, heißt dies: Das Subjekt ist der Ort, an dem die Zukunft in die Vergangenheit interveniert und die Vergangenheit die Zukunft determiniert. Intervention und Determination sind streng kompossibel, so sehr sie einander auszuschließen scheinen“, so Marcus Steinweg, und „man könnte auch sagen, dass das Subjekt zwar unmöglich ist (als Subjekt voller Autonomie und Selbsttransparenz etc.), dass es aber als diese Unmöglichkeit einen gewissen Subjektstatus behauptet. Denn was ist das Subjekt, wenn nicht der Bezug auf seine Unmöglichkeit?“ Etwas einfacher: das Ich steht zwischen Vergangenheit und Zukunft und denkt sich selbst als Subjekt in der Gegenwart. Das wird die Erfindung der Gegenwart genannt. Foucault sieht das Subjekt als Objekt erst durch den Druck von außen determiniert und für Hegel ist dessen Wesen das des ewig unerfüllten Verlangens. Wenn ich richtig aufgepasst habe.

Eine Kartoffel brüllt Weintrauben an. Eine Tomate bläst einer Birnen einen und Erdbeeren sehen dabei zu. Ein Törtchen fährt Roller, ein Dolomito-Eis Ski. Eine Paprika liegt ans Bett gefesselt, eine Karotte sitzt rauchend daneben. Ein Pinsel zeigt auf ein Bild während Radiergummi und Anspitzer sich unterhalten. Ein Hammer spielt Klavier und eine Schraube singt dazu. Im Parkett sitzen Tomaten, eine Birne, eine Zitrone und eine Karotte.
This is how it happened.

„November“ und „This is how it happened“ sind zwei Katalogbücher von Amelie von Wulffen, beide in diesem Jahr erschienen. Ersteres im Buchhandel, letzteres nur über Proqm, in Deutsch und Englisch, zu beziehen.
Beide Bücher sind autobiografisch angelegt und unbedingt parallel zu lesen. Nicht nur weil beide Zyklen in New York zeitgleich bei Greene Naftali und Alex Zachary ausgestellt wurden, sondern weil die gedankliche Wechselwirkung ein reizvolles Vergnügen bereitet; sich das freie Künstlertum in Form eines Anthropomorphismus vorzustellen. Das befeuert die vergnügliche Vorstellung, sich Jean Ignace Isidore Gérard, genannt Grandville, in unsere Zeit versetzt vorzustellen. Und schließt den Wunsch, mit einem Lachen aus dem Gefängnis der falschen Selbstständigkeit auszutreten, mit ein. Es heißt bekanntlich, lieber eine glückliche Verkäuferin als eine unglückliche Künstlerin, aber auch, lieber eine unglückliche Künstlerin als eine unglückliche Verkäuferin. Und bedeutet, dass das Versprechen der Kunst auch eines der Lebenskunst ist – einer Kunst als Selbstständiger, jenseits fremdbestimmter und entfremdeter Arbeit. Eine Form, die Widersprüche und Gegensätze, und seien sie nur formal, auszuhalten, ja sie zu lösen vermag. Und das ist immer auch das Versprechen einer (Selbst-)Heilkunst. Gepaart mit dem Versprechen, dass bereits die richtige Form der Frage die Antwort gibt. Das nenne ich, mit dem Versprechen der Kunst geködert und mit deren Ausstellen abgespeist zu werden. Was aber, wenn die Selbstständigkeit – dieses Selbst und dies Ständig-sein-zumüssen – eine Form der Entfremdung ist? Der Künstler als Unternehmer in eigener Sache: Ideenentwicklung, Entwurf, Ausführung, Vertrieb und Verkauf als Einpersonenbetrieb. Unter dem Konkurrenzdruck der Körper, befeuert durch ein kapitalistisches System.

Druck der nur durch echte Solidarisierung, also Berührung, gelindert wird. Wo aber berühren sich unsere Körper jenseits lediglich behaupteter Solidarität. Warum in diesem Zusammenhang nicht wieder von Klassengesellschaft sprechen? Das hat natürlich alles noch nichts mit Kunst und erst recht nichts mit Bildbetrachtung zu tun, spielt dabei aber mit. Für das Versprechen der Kunst, in ihren unterschiedlichen Ausprägungen, Verdachtsmomente zu suchen, das nenne ich ein detektivisches Vergnügen.
Amelie von Wulffen hat ihre Professur in Wien gekündigt und ihre Galerie in Berlin verlassen. Das gerade die narrativ-illustrative Bebilderung sich als Möglichkeit eines Bruchs – und für Amelies Arbeitsweise ist das durchaus ein Bruch – anbietet, spricht für diese Form. Und so zeigt sie mit beiden Publikationen Möglichkeiten auf, wie Brüche markiert werden können, in dem man die Form wechselt. Mit dem Versprechen, durch neue Formen zu neuen Inhalten zu kommen.

Amelie von Wulffen „“This is how it happend“, Distanz-Verlag, Berlin 2011
„November“ gibt es nur bei Pro qm, www.pro-qm.de

aus "This ia how it happened", 2011 (© Amelie von Wulffen)
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