Anna Niesterowicz „Samowzór/Autoform“

Galerie Jesco von Puttkamer

2007:Mar // Stefanie Peter

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04-2007








Ein menschliches Skelett hängt von der Decke. Doch es ist nicht das Bild, das man aus Geisterbahnen kennt, keine blanken, hellen Knochen, kein Totenschädel. Das Gebilde ist behaart und sieht also aus, als hätte man einem Skelett ein Tierkostüm übergestreift oder ein großes, bis auf die Knochen abgemagertes Tier in eine menschliche Pose gezwängt. Es könnte auch der Schatten eines außerirdischen Wesens in einem Science-Fiction-Film sein. Zugleich geht eine Art Possierlichkeit von ihm aus, etwas Nettes, gleichermaßen Warmes und Dynamisches. Man denkt an ausgestopfte Tiere im Naturkundemuseum, an Völkerschauen,  Hagenbecks Tierpark. Diese seltsame Erscheinung zwischen den Arten ist Bestandteil des Triptychons „Samowzór/Autoform“, einer Skulptur von Anna Niesterowicz, die Anfang des Jahres bei Jesco von Puttkamer zu sehen war. Und wo das aus Hirschfell gefertigte Skelett in seiner Zotteligkeit den schneeweißen Raum zu dominieren, ja der Star des Abends zu werden verspricht, übersieht man beinahe das feine Nervenkostüm auf dem Boden vorne links in der Ecke: ein lebensgroßer Scherenschnitt der menschlichen Nervenbahnen aus Transparentpapier liegt dort still und zusammengekauert; ein Häufchen – das beim leisesten Windstoß Gefahr zu laufen scheint, weggeweht zu werden. Zwischen Nerven und Skelett schwebt auf Augenhöhe der zarte Abdruck eines Gesichts. Die Tonmaske, ein Selbstporträt der Künstlerin, bildet den dritten Teil der Arbeit und steht für „Scham“, während die blanken Nerven „Liebe“ und das Knochengerüst „Angst“ bedeuten sollen. Anna Niesterowicz (Jahrgang 1974) hat  – wie Pawel Althamer, Katarzyna Kozyra und Arthur Zmijewski – an der Warschauer Kunstakademie bei Grzegorz Kowalski Bildhauerei studiert. Sie arbeitet mit verschiedenen Materialien und setzt dabei oft aufwendige Handarbeiten wie Nähen und Sticken ein. Sie zeichnet und schöpft aus dem Fundus polnischer Folk-Art. Ihre Neonskulpturen im Außenraum sind subtile Interventionen, beinhalten Sprachspiele, abstrakte Botschaften und gewitzte Kommentare.

Schon in ihrer Videoarbeit „Gierek“ (1999) hat die Künstlerin ihren Körper als Zeichenträger transparent gemacht. Sie greift darin auf Material aus einer polnischen Wochenschau der siebziger Jahre zurück: Während einer öffentlichen Kundgebung nimmt der erste Parteisekretär der Volksrepublik Polen, Edward Gierek, vor laufender Kamera ein Kind in den Arm; es handelt sich dabei um die kleine Anna Niesterowicz. Das lachende Kind kennt nur den privaten Körper. Für das Kind ist Gierek einfach ein freundlicher alter Mann, während sich Gierek im selben Moment des politischen Körpers bewußt ist. Er weiß um den symbolpolitischen Nutzen dieser kleinen pseudoprivaten Inszenierung. Niesterowicz geht es um den Punkt, an dem der Körper durchlässig wird für Zeichensysteme. In der Arbeit „Gierek“ ist es der Blick von außen auf die Geste, bei „Samowzór/Autoform“ ist es die Durchlässigkeit des skelettierten Körpers, der die Frage nach der Grenze zwischen menschlichem und animalischem aufwirft. Bezüge zu Meret Oppenheims Felltasse liegen ebenso nahe, wie solche zum Schamanen und seinem Coyoten. Wie bei diesen auch, spielt das tierische Fell in „Samowzór/Autoform“ eine zentrale Rolle. Von diesem geht eine organische Behaglichkeit aus und eine Wärme, die die pathologisch-klinische Kälte des nackten Skelettes konterkariert. Und vielleicht weist gerade das die Arbeit als einen Beitrag zum „Romantic Conceptualism“ aus.

Anna Niesterowicz „Samowzór/Autoform“
Galerie Jesco von Puttkamer
Straußberger Platz 3
13.1.‒24.2.2007
Anna Niesterowicz, „Samowzór/Autoform“, Installationsansicht (© Courtesy Galerie Jesco von Puttkamer, Berlin)
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