8. Berlin-Biennale

2014:Jul // Christoph Bannat

Startseite > 07-2014 > 8. Berlin-Biennale

07-2014














Pneumatische Liegestützübungen

Wen um Himmels willen soll diese Berlin-Biennale hinterm Ofen hervorlocken? Zum Glück ist Sommer und wir suchen sowieso eher ein schattiges Plätzchen, um ungestört unsere Bionade trinken zu können. Also, das heiße neue Ding ist das diesmal nicht. Schlimmer, ein geistloser Schimmer überzieht alles. Der böse Schimmer der hoffentlich endgültig letzten Kuratoren-Biennale. Und dazu noch der langweiligsten seit ihrer Erfindung. In Vorahnung, passend zum drohenden Sommerloch, vor der Herbstdepression, dem Winterschlaf und der Frühjahrsmüdigkeit. Also das Kunstlicht der Aufklärung, hier flackert es unangenehm. In den Museen Dahlem, bei Carsten Höller nervt es, wenigstens das. Aber auch gerade nur so hell, dass man nicht stolpert.
Halt, noch einmal zurück; geistlos wurde oben geschrieben, der Geist ist schließlich der zentrale Begriff der Metaphysik, wie meinen Sie das bitte? Konfuzius: Ich will es kurz mit dem Begriff des „Pneuma“ erklären. „Pneuma“, ist das „Lebensprinzip welches uns“, wir befinden uns im 6. Jh. v. Chr. und ich zitiere Anaximenes: „… ebenso wie unsere Seele, welche Luft ist, uns mit ihrer Kraft zusammenhält, so umfasst auch den ganzen Kosmos Wind [oder Atem, pneuma] und Luft“ (Anaximenes: DK 13 B 2). Doch Pneuma, auch Spiritus oder Geist genannt, ist nicht nur eines. Es ist drei, denn wir unterscheiden (machmal muss getrennt, andermal vereint werden, um denken zu können) zwischen „spiritus naturalis“, „spiritus vitalis“ und „spiritus animalis“. Das war gestern. In unserem technoiden Zeitalter wird der Geist oft als eine intelligent kombinierende Maschine beschrieben. Doch, will man sie erklären, kommt man letztendlich nicht ohne die Seele aus. Anhand der Sprache wird dies deutlich. Der menschliche Geist hat Buchstaben gefunden, aus denen er Worte zu Sätzen und Texten kombiniert, z. B. zur Produktion von Wahrheit. Doch es ist weder die Summe der Worte noch die ihrer Kombinationen, die den Text erklärt, er muss geistvoll oder beseelt sein, um bestehen zu können. Der Geist selbst aber ist sprachlosen, vielleicht natürlichen, Gesetzen, Wahrheiten und Notwendigkeiten unterworfen, deren Bedingungen er zu beherrschen versucht. Da Sprache tief im Menschen verankert ist, spielt sie eine besondere Rolle. Dass sie Rollen zu spielen vermag, macht einen Großteil ihrer Poesie aus.
Nimmt man nun die Kunstwerke der Berlin-Biennale und liest sie in ihrer Gesamtheit als Text, kommt dabei ein Klappentext für ein Kompendium gesammelter Künstler-Binsenweisheiten heraus. Kuratoren und Künstler gehen bei dieser Biennale Hand in Hand. Beide folgen Collage- und Montage-Prinzipien der einfachsten Art. Nichts gegen diese Prinzipien, bergen sie doch das Versprechen der Kunst, durch neue Formen auch zu neuen Inhalten, Fragestellungen (bzw. Lösungen) zu kommen. Unangenehm ist deren Duktus der herablassenden Komplizenschaft, die sagt: Wenn ihr euch nur lange genug mit den Texten und Werken beschäftigt, könnt auch ihr sie verstehen. Man spürt hier, dass die Künstler selbst keinen Mut haben, sich von ihren eigenen Werken überraschen lassen zu wollen. Und die Kuratoren keine (unangenehmen) Überraschungen von den Künstlern erwarten. Hier passt Sprache sich einmal mehr an ein konventionelles Denkmuster an, dass dann eben kaum mehr etwas mit der Lust am Denken, und nicht nur am Kombinieren, zu tun hat.
Die Rezeptur lautet: man nehme blöde Vorstadteinkaufszonenlampen (Olaf Nicolai, Museen Dahlem) und stellt sie in die Vorhalle des Ethnologischen Museums. Man nehme einen orientalischen Teppich (David Chalmers Alesworth, Museen Dahlem) und stickt einen Grundriss (von was auch immer, ich will hier gar nicht erst in die sinnstiftenden Untiefen gehen) drauf. Man nehme eine (bereits im Vitrinenorgienland Dahlem en Masse vorhandene) Vitrine und stellt was Banales rein (Wolfgang Tillmans, Museen Dahlem). Man nehme Museumsvitrinen, baut sie nach und projiziert den Besucherstrom hinein (Judy Radul, Kunst-Werke). Oder man erweitert den Leistungskurs Kunst in pennälerhafter Anpassung, indem man die Provenienzforschung banalisiert, indem man sie artifiziell verschleiert und meint, sie damit offen zu legen. So stellt man Verblendungszusammenhänge her. Indem man sie scheinbar sichtbar macht, beruhend auf dem Klischee, dass Sichtbarkeit der erste Weg zur Aufklärung ist. Ist es aber nicht, denn gerade die Provenienzforschung zeigt, dass es die geistvolle Kombination ist, die den Wissens-Kick erst ausmacht (Matts Leiderstam, Haus am Waldsee).
Gemäß diesen Prinzipien kann die Rezeptur der Ausstellungsbiennale als altbackene Hausmannskost mit Sättigungsbeilage gelesen werden (die Beilage: Sommer in Berlin. Denn schließlich gibt es nur zwei Gründe in Berlin zu leben: den Sommer und die Menschen, von denen jeder Einzelne eine Möglichkeit ist, solange es einem gut geht, und jede Person eine zu viel ist, wenn es einem schlecht geht; und es gibt viele Menschen in Berlin). Noch einmal: Kunst birgt das Versprechen, durch neue Formen auch zu neuen Inhalten zu kommen, deshalb machen Künstler etwas, dessen Ergebnis sie nicht kennen, ja, oft kennen sie ja nicht einmal den Auftrag(geber), denn erst im Machen wollen sie diesen kennenlernen.
Diesem Prinzip wird auf der Biennale nicht gefolgt. Hier kennt jeder schon seine Ergebnisse. Vielleicht daher der Schimmer der Langeweile, der alles umgibt. So bleiben z. B. Nicolais Lampen doofe Lampen, trotz Ortswechsel. Ihre Form wird nicht befragt und das Umfeld auch nicht, keiner muss sich ändern und es wird kein Pneuma erzeugt – keine atemstockende Erregung entsteht, und auch kein „Ricola-Effekt“, der Erlösung verspricht.
Wer Dahlem aus den 1980ern kennt, als hier noch die Gemäldegalerie untergebracht war, belächelt diesen taktischen Biennale-Zug, der ja nicht ohne Charme ist. Schließlich kennen die älteren Mitbürger unter uns die Museen Dahlem schon lange als Denkraum ohnegleichen. Gott hab ihn seelig! Wenn er nach Berlin-Mitte in den touristischen Rummelbums strafversetzt wird, ist es wohl aus mit ihm. Diese klassische Kuratoren-Biennale, mit ihrem halblebig verklemmten und gezierten Regietheater, bildet gemeinsam mit den Künstlern einen ebensolchen Text. Warum bebildern die Kuratoren ihren Gedankenquark nicht gleich selbst? Dann gäbe es vielleicht noch die Hoffnung auf produktive Missverständnisse. So findet in den Kunst-Werken, mit dem Kunstaufbautrupp Kartenrecht (wird nicht im Programm genannt) und ihrer Resterampe, Titel: „Schaulager“, einer Holz-Installation im Innenhof aus Aufbauabfallresten, der mit Abstand beste, selbstreferenzielle Kommentar statt – auch wenn der Titel einen leicht beleidigten Beigeschmack hat, nicht wirklich mit den Großen mitmachen zu dürfen.

8. Berlin-Biennale, Haus am Waldsee, Argentinische Allee 30, 14163 Berlin, Museen Dahlem – Staatliche Museen zu Berlin, Lansstraße 8, 14195 Berlin, KW Institute for Contemporary Art, Auguststraße 69, 10117 Berlin, 29.5.–3.8.2014
Zeichnung (© Christoph Bannat)
Zeichnung (© Christoph Bannat)
Microtime für Seitenaufbau: 1.2991771698