"Unklarheit ist ganz besonders wichtig."

/ Carsten Höller im Hamburger Bahnhof

2011:May // Sabine Husikiewiz

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03-2011
















Monumental, tendenziell protzig und sperrig: Beim Betreten des Hamburger Bahnhofs verwehrte ein großes Gerüst die Sicht aus dem Eingangsbereich auf die Architektur der Halle. Einer der ersten Eindrücke bestand darin, dass es nach Zoo roch. Bereits an der Kasse waren Gerüche und Klänge wahrnehmbar, die das ganze Gebäude einnahmen. Das Museum gab sich tier- und familienfreundlich. Eine Kunstausstellung wurde zu einer Besucherattraktion, weil die beiden Freizeitangebote Museums- und Zoobesuch miteinander verknüpft werden konnten. Dies wurde zwar nicht in der Ausstellung thematisiert, aber dafür verschiedenste andere Aspekte.

Wenn man an dem zunächst nur von hinten sichtbaren Gerüst, das nun als Tribüne erkennbar wurde, vorbei schritt, konnte man den Aufbau der Ausstellung erahnen, der die gesamte Länge des Gebäudes einnahm. Bestieg man die Tribüne, konnte man ihn auch von oben überblicken. Ein interessanterer Aspekt war die Aufteilung des Raumes: Der mittig zu einer Plattform mit einem Doppelbett führende Gang spiegelte einerseits einen Teil der Dachkonstruktion, andererseits teilte er die Bahnhofshalle in zwei symmetrische Hälften. Ein weißer Absperrzaun rahmte die sich ergebenden rechteckigen Flächen. Die Plattform und die zu ihr hinauf führende Treppe waren weiß. Das kreisförmige „Hotelzimmer“ sowie die Tribüne und zwei Waagen standen als in die Höhe weisende Elemente in und neben den übrigen Objekten. Es gab eine zweite schwarzweiße Plattform, die „Doppelpilzuhr“, auf der eine Ansammlung überdimensionaler nachgebauter Pilze stand.

Es fiel jedoch schwer, sich auf den Umgang mit dem Raum oder auf Details zu konzentrieren, denn der Gesamteindruck wirkte überfrachtet und die Aufmerksamkeit sprang unruhig von Objekt zu Objekt. Dadurch wurde man als Betrachter aber auch explizit zu einer über formale Lösungen hinausgehenden Auseinandersetzung mit der Arbeit geführt. Ein Text, der im Begleitheft veröffentlicht wurde und als unübersehbares Banner an beiden Eingangswänden zur Installation hing, klärte über den Titel „Soma“ auf, indem es den entsprechenden Vers aus dem „Rigveda“ zitierte. Man las auch über die Annahme des Ethnologen Wasson, Rentiere hätten das Soma produzieren können, und schließlich über Höllers Anknüpfen an die vorangegangenen wissenschaftlichen Überlegungen mit einem „hypothetischen Experiment“. Tatsächlich konnte eine Gruppe der Rentiere, die „Testgruppe“, die Fliegenpilze essen, während die andere, die „Kontrollgruppe“, darauf verzichten musste. Die anderen Tiere, Vögel oder Mäuse, konnten den Urin der Rentiere trinken. Aber verhielten sich die Tiere daraufhin anders? Welche Schlussfolgerung hätte man dann daraus ziehen können? Solche Fragen spielten aber offenbar keine Rolle, ebenso wenig wie der Aufbau des sogenannten Doppelblindversuchs. Das Gedankenspiel „Soma“ tangierte außerdem die historische und die religiös-rituelle Ebene. Doch was hatte dieser pseudowissenschaftliche Versuch mit einem schamanistischen Trank aus religiösem Kontext gemeinsam? Steht die Suche nach Erkenntnis und Gegenwart hinduistischer Götter in Zusammenhang mit dem Thema „Glück“? Höller stellt in seinen Arbeiten immer wieder Fragen nach Glück und Glücksversprechen. Im Rahmen seiner Ausstellung „Glück“, die 1996 im Kunstverein Hamburg sowie im Kölnischen Kunstverein und 1997 im Centraal Museum Utrecht zu sehen war, fand jeweils ein Symposium zum Thema statt.

Eigentlich wirft die Installation im Hamburger Bahnhof, je länger man über sie nachdenkt, immer mehr Fragen auf. Dabei wird ein völlig logischer Zusammenhang suggeriert und zudem die Erwartung geweckt, dass uns ein echtes Erlebnis geboten werde: Echte Kameras, echte Tiere im Gehege und in den Käfigen, echte Pilze in Kühlschränken. Echter Urin? Echtes Soma? Echtes Glück? Vielleicht. Was dem Rezipienten aber gezeigt wurde, sind gleichsam lebende und vor allem auch erstarrte Bilder, die versuchen, ein reales, aber realitätsfernes Gedankenspiel zu illustrieren.

Höllers Inszenierungen sind in den letzten Jahren immer gigantischer geworden, z.B. wie 2006/07 seine fünf Rutschen in der Tate Modern oder 2008 seine Installation „Carroussel“ im Kunsthaus Bregenz. Hier tauchte – nicht zum ersten Mal – ein Bett auf, in einem sich drehenden Hotelzimmer. Das ist nur ein Beispiel dafür, wie „Soma“ viele Elemente älterer Arbeiten vereint und wiederholt. Der Künstler erhebt den Anspruch, jedem Besucher zugängliche Angebote zu machen, wie er auf der Pressekonferenz formulierte: „Die persönliche Erfahrung nimmt jeder zu sich mit nach Hause und je nach dem, wie man das Ganze erlebt hat, kann man damit was selber anfangen.“ Aktive Teilhabe des Zuschauers sei eine wichtige Eigenschaft der Arbeit im Hamburger Bahnhof. Diese hatte in Höllers bereits erwähnter Ausstellung „Glück“, im Kontext der partizipatorischen Kunst der neunziger Jahre, einen plausiblen Stellenwert, da die Besucher die Objekte und Installationen tatsächlich benutzen konnten. Doch bei „Soma“ wurde dieser Anspruch nicht eingelöst. Es besteht hier eine große Distanz zwischen Betrachter und Ausstellungsobjekten, obwohl das Gegenteil proklamiert wurde. Der Katalogtext zu „Glück“, verfasst von mehreren Autoren, beschreibt, was teilweise auch bei „Soma“ zu bemerken ist, jedoch nicht erfüllt wird: „Neben den scheinbaren Objektivierungstendenzen dominieren im Werk von Höller vor allem genau gegenteilige Erfahrungen. So ist die emotionale Involvierung der Rezipienten nicht selten der Auslöser für die Auseinandersetzung.“

Der Rezipient des Spektakels „Soma“ blieb jedoch ein passiver und illustrativer Teil des Ganzen, weit entfernt von einer unmittelbaren Erfahrung. Der Höhepunkt – wörtlich und im übertragenen Sinn – offenbarte sich ihm nur wenn er den abgesperrten Mittelgang betreten und zum Bett gelangen durfte. Exklusivität und Exklusion gingen miteinander einher, denn bei entsprechender Bezahlung oder nach erfolgreicher Teilnahme an einem Gewinnspiel, gewährte das Museum gar nachts Zugang zum echten Erlebnis des Bettes, zum inneren Kern der „Welt des Soma“ und zu den übrigen Ausstellungsräumen.

Als Tagesbesucher jedoch kam man am Ende der langen Halle bei einem Raum mit verspiegelten Scheiben an, durch die man die Szenerie geschützt und im Sitzen weiter verfolgen konnte. Dort angelangt, befand man sich im Zustand völliger Überforderung, in gedanklichem Chaos oder grenzenloser Euphorie oder allem zugleich. Dies ist, was offenbar der Intention gemäß war, denn, so Höller: „Unklarheit ist ganz besonders wichtig. Unklarheit ist überhaupt ein wichtiger Punkt in dieser Ausstellung, denn darin steckt ein sehr großes Potenzial.“ Ein klarer Gedanke stellte sich spätestens jetzt ein, nämlich der, dass diese Aussage jeglichem Anspruch widerspricht, ernsthaft auf Wissenschaftlichkeit zu verweisen. „Die Gefahr einer Fehlinterpretation liegt nicht selten in dem Umstand, in den künstlerischen Praktiken Höllers die unmodifizierte Fortsetzung seiner nichtkünstlerischen, agrarwissenschaftlichen Ausbildung zu sehen“, heißt es in der Publikation zur Ausstellung „Glück“. Obwohl sich das Nebeneinander der Elemente mit folgendem Satz legitimieren ließe: „Es scheint, als ob Carsten Höller daran interessiert ist, eine Reihe von experimentellen Szenarios, die auf vollkommen verschiedene Weise funktionieren, gleichzeitig wirksam werden zu lassen“, bleibt trotzdem der Eindruck, dass sich die formalen und inhaltlichen Aspekte, die angerissen und unzusammenhängend aneinandergereiht wurden, gegenseitig ausbremsten. Nicht aus der Form oder aus künstlerischen Entscheidungen geht ein Impuls für Umsetzung und Anordnung der Objekte hervor, sondern die Elemente dienen allein dem Zweck der Illustration. Der illustrative Charakter äußert sich darin, dass die Bestandteile der Arbeit bloße Stellvertreter sind. Die modernistisch anmutenden Kästen sind eigentlich Kleintierkäfige, die mit Pilzen bestückten Kühlschränke verweisen auf ein Laboratorium. Kunst genügt nicht sich selbst, sondern steht in einem Verweiszusammenhang, ohne dass die Elemente der Installation einen wirklichen ästhetischen Eigenwert bekämen. Vielleicht entstehen die inhaltliche Relevanz und der künstlerische Wert von „Soma“ erst dadurch, dass die Betrachter sie rezipieren, beobachten und dass darüber berichtet wird.

Carsten Höller „Soma“, Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart, Invalidenstraße 50-51, 10557 Berlin 5.11.2010–6.2.2011

Zeichnung vom ZKM (© Zeichen Klub Münster)
Zeichnung vom ZKM (© Zeichen Klub Münster)
Zeichnung vom ZKM (© Zeichen Klub Münster)
Zeichnung vom ZKM (© Zeichen Klub Münster)
Zeichnung vom ZKM (© Zeichen Klub Münster)
Zeichnung vom ZKM (© Zeichen Klub Münster)
Zeichnung vom ZKM (© Zeichen Klub Münster)
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